Kom­plett zer­legt

Klosterbrücke Wettingen

Das denkmalgeschützte Duo aus einer Holz- und einer genieteten Eisenbrücke über die Limmat zwischen Neuenhof und Wettingen erhielt eine drastische Verjüngungskur. Die Ingenieure von Staubli, Kurath & Partner liessen die Eisenbrücke dafür in ihre Einzelteile zerlegen.

Data di pubblicazione
09-09-2021

Sie ist ein besonderer Ort: die Klosterhalb­insel in der Limmatschlaufe bei Wettingen im Aargau. Das 1227 hier gegründete Kloster war über Jahrhunderte ein Ort der Stille und der Einkehr. Für die Verbindung zwischen Wettingen und Neuenhof sorgte ab dem 13. Jahrhundert ein Fährbetrieb über die Limmat, aus dem das Kloster gros­sen Nutzen zog.1 1766 beauftragte der damalige Abt Kaspar Bürgisser den bekannten Teufener Zimmermann Hans Ulrich Grubenmann (1709–1783) mit dem Bau einer 61 m langen Holzbrücke. Sie war bereits ein Jahr später fertig – inklu­sive Zollhaus.2

Grubenmann konstruierte diese gedeckte und verschalte Brücke aus zwei verzahnten und geschraubten Holzbögen, die sich aus je sechs aufeinander gelagerten Balken aus Tanne zusammensetzten. Diese Bögen trugen die Fahrbahn und das Dach über verschraubte Zangenpfosten. Die Zeitgenossen bezeichneten diese mutige Konstruktion über eine so grosse Spannweite als Wunderwerk der Technik.3 35 Jahre später steckten die französischen Truppen diesen ­be­eindruckenden Bau in Brand, als sie von den Österreichern unter Erzherzog Karl zurückgedrängt wurden.2 Die ­danach erstellte Notbrücke fiel innert Jahresfrist einem Hochwasser zum Opfer, sodass man sich in den Jahren danach wieder mit einem Fährdienst behalf.

Als Zeitzeuge zum Denkmal

Erst 1819 errichtete man eine neue, aus zwei Jochen bestehende Brücke mit einem Mittelpfeiler in der Limmat. Das linksufrige Joch entspricht der noch heute erhaltenen Konstruktion: eine gedeckte Holzbrücke aus einem Hänge- und einem Sprengwerk. Das rechtsufrige Joch bestand ursprünglich aus einem einfachen, nicht überdachten Sprengwerk, das aufgrund der Witterungsschäden 1886/87 durch eine genietete Eisenkonstruktion mit unten liegendem Bogentragwerk ersetzt wurde.

Die Eisenbrücke ist aus Flusseisen4 gefertigt. Ihr Tragwerk bilden vier Fachwerkbögen, die mit vertikalen und in der Bogenebene liegenden Windverbänden ausgesteift ist. Für den Oberbau wurden Zoreseisen5 verwendet, überdeckt mit Stampfbeton.

Sowohl die Holzkonstruktion als auch die Stahlfachwerkbrücke gehören zu den Letzten ihrer Art im Kanton Aargau. Entsprechend steht die Brücke seit 1971 unter kantonalem Denkmalschutz, ist im Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz (IVS) geführt und wird als national bedeutende Verbindung eingestuft. 1970 war sie von einer Kantons- auf eine Gemeindestrasse zurückgestuft worden, weil eine neue Stahlbetonbrücke als Kantonsstrassenführung schräg über dem historischen Bauwerk erstellt worden war.

Heute dient die Verbindung ausschliesslich dem Fuss- und Veloverkehr – die Bauwerke sind Teil des regionalen Wanderwegnetzes – sowie den wenigen Unterhaltsfahrzeugen.

Klassische Instandsetzung der Holzbrücke

Doch am denkmalgeschützten Kulturobjekt nagte der Zahn der Zeit. Aufgrund der undichten Dachein­deckung war die Holztragkonstruktion verfault, und an der ­Eisenbrücke zeigten sich stark korrodierte Bauteile. 2017 brach ein Obergurt der Holzbrücke, und sie musste notgespriesst werden. Um die historisch und bau­kulturell wertvolle Substanz der Holzbrücke und ihrer Vorbrücke aus Eisen zu erhalten, war eine voll­umfängliche Instandsetzung erforderlich.

Die Schäden am ­Holz- und Eisentragwerk sollten be­hoben, der Fahrbahnbelag, die Fassadenhaut und das Dach er­neuert werden. Das beauftragte Ingenieurbüro Staubli, Kurath & Partner musste dabei alle Massnahmen mit der Kantonalen Denkmalpflege abstimmen.

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Die Arbeiten erfolgten in zwei Etappen, wobei man als Erstes die Holzbrücke instand setzte und restaurierte. Die Eisenbrücke stellte dabei die Zugänglichkeit sicher, denn die Neuenhofer Seite ist für den Antransport von Materialien und Maschinen nicht geeignet. Von Mai bis November 2020 arbeitete man an der Holzbrücke, dabei erhielt sie ihr ursprüngliches Aussehen zurück: Man ersetzte gebrochene Gurte, tauschte Sparren aus und reparierte das Sprengwerk sowie die Hänge­pfosten stellenweise, zudem säuberte man das Dach und erneuerte, wo nötig, die Ziegellattung mit darüber liegenden alten Biberschwanzziegeln (Einfachdeckung), brachte über den Portalen neue Giebelkrönungen an und rüstete die komplette Konstruktion mit einem Blitzschutz aus.

Der Ersatz der schadhaften Bauteile des Windverbands im Dach und unterhalb der Fahrbahn erfolgte mit Weisstanne, und für die Schindeln der Aussenverkleidung kamen statt der bislang verwendeten Eternitschindeln neu Holzschindeln zum Einsatz, wie sie ursprünglich am Original zu finden gewesen waren. Die vorhandenen Stahlverstärkungen unter den Bindern wurden mit Korrosionsschutz und Farbanstrich behandelt.

Der neue Fahrbahnbelag, bestehend aus 60 mm dicken Eichenholzbohlen, ist mit feuerverzinkten Nägeln an den unteren Längsträgern befestigt. Der Zimmermann verlegte sie in zwei Schichten und einem 45°-Winkel (untere und obere Lage 90° verdreht zueinander) zur Fahrtrichtung. Den dadurch redundant gewordenen ­unteren Windverband behielt man mit Rücksicht auf Balteschwilers ursprüngliche Idee bei und ­restaurierte ihn.

Ungewöhnliches Vorgehen bei der Eisenbrücke

Während der zweiten Etappe von Januar 2021 bis ­September 2021 liess die Bauherrschaft die Eisen­brücke renovieren. In der Regel würde man dies vor Ort tun: Man haust die Tragkonstruktion ein, lässt sie sandstrahlen und mit einem neuen, allenfalls mehrschichtigen Korrosionsanstrich versehen.

Nicht aber bei dieser Eisenbrücke. Eine um­fassende Überprüfung des 130-jährigen Tragwerks ­attestierte einen desolaten Zustand der Bauteile – auch statisch relevanter Elemente. Vor allem im Bereich der vier vorhandenen Entwässerungsöffnungen fand man starke Korrosionsschäden – sowohl Kontakt- als auch Spaltkorrosion, insbesondere in den Kontaktflächen von mehreren zusammengenieteten Elementen. Es ­stellte sich die grundsätzliche Frage, die sich nur im ein­vernehmlichen Dialog zwischen Ingenieuren und Denkmal­pflegern ­beantworten liess: Durfte die Eisenkonstruktion für ihre Instandsetzung komplett aus­einander­genommen werden?

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 27/2021 «(Nicht) neu genietet».

Anmerkungen / Literatur

 

1 Diese Fähre gewährleistete zusammen mit der Limmatbrücke von Baden den Übergang der Hauptstrassen zwischen Zürich und der Westschweiz über die Limmat, weil das linke Limmatufer in diesem Bereich schwierig zu passieren war. Da Zürich seit dem Mittelalter keine Brücke über die Limmat oberhalb von Baden dulden musste, konnte das Kloster die Fähre jahrhundertelang nicht durch eine Brücke ersetzen. Erst 1766 erhielt es die Bewilligung.

 

2 Badener Neujahrsblätter, 1934, zehnter Jahrgang, «Die Limmatbrücke beim Kloster Wettingen».

 

3 Schweizer Ingenieur und Architekt, SIA-Tag 1987 Aarau, 150 Jahre SIA, «Brücken im Aargau – Brücken von der Römerzeit bis 1940», Dr. sc. Techn. J. Killer, dipl. Bauing. ETH/SIA, Baden, S. 634–645.

 

4 Der Begriff «Flusseisen» wurde im 19. Jahrhundert geprägt, um das damals noch allgemein verwendete, im Puddelverfahren hergestellte Schmiedeeisen von dem neuen, im Bessemer- bzw. Thomas-Verfahren oder in einem Siemens-Martin-Ofen erzeugten flüssigen Eisen zu unterscheiden. Dieses Flusseisen wurde später, im frühen 20. Jahrhundert, dann Stahl genannt. Früher bezeichnete Stahl nur eine kleine Gruppe von Spezialprodukten mit einem Kohlenstoffgehalt von 0.4 % bis 1.2 %, die schmied- und schweissbar und vor allem härtbar waren. Alle anderen Produkte aus gefrischtem Roheisen wurden als schmiedbares Eisen, Schmiedeeisen oder Frischeisen bezeichnet.

 

5 Zoreseisen (auch: Z-Eisen) waren von dem französischen Ingenieur Charles Ferdinand Zores in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte Eisenprofile zur Verwendung in den Tragwerken verschiedener Eisenkonstruktionen. Sie waren in Frankreich sehr verbreitet und dienten als eiserner Brückenbelag, der die Fahrbahnträger über­deckte und die Unterlage des Schotters, des Betons oder des Pflasters für die eigentliche Fahrbahn bildete.

Klosterbrücke Wettingen

 

Bauherrschaft: Einwohnergemeinden Wettingen und Neuenhof

 

Gesamtplaner / Bauleitung: Staubli, Kurath & Partner, Zürich

 

Denkmalpflegerische Begleitung: Heiko Dobler, Kantonale Denkmalpflege, Cornel Doswald, Fachberater IVS

 

Metallarbeiten: Moritz Häberling, Uerzlikon

 

Tiefbau/Baumeister: Aarvia Bau, Wettingen

 

Mauerwerksarbeiten: Hächler, Wettingen

 

Malerarbeiten: Giuliani, Wettingen

 

Brandschutzanlage: Zentex Brandschutz/Siemens Schweiz

 

Holzbau / Fassadenarbeiten: Fleischmann Holzbau, Würenlos, Wagner Bedachungen + Fassaden, Wettingen

 

Gerüstbau: Pama, Zetzwil

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