Ge­flo­ch­ten und ge­formt

Der japanische Architekt Shigeru Ban hat in den letzten Monaten zwei neue Projekte vorgelegt: Ein Clubhaus bei Seoul in Südkorea wurde Ende 2009 fertig gestellt, das Centre Pompidou im französischen Metz wird im Mai 2010 eröffnet. Beide Bauten haben ein filigran geflochtenes, frei geformtes Holzdach. Konstruiert haben es die Schweizer Ingenieure Franz Tschümperlin (SJB Kempter Fitze) und Hermann Blumer (Création Holz).

Data di pubblicazione
12-02-2010

Auch wenn traditionelle Erzeugnisse aus Asien – ein Sonnenhut bzw. ein Kissen aus geflochtenem Bambus – die netzartige Dachkonstruktion der Bauten in Metz und Yeoju inspiriert haben, ist das gebaute Ergebnis in beiden Fällen eine Hochleistung moderner Holzbautechnologie. Die Dächer wirken leicht, ausgewogen und organisch gewachsen; doch ohne digitale Hilfsmittel wären weder Planung noch statische Berechnung, Fertigung, Transport oder Baukoordination denkbar gewesen.

Centre Pompidou, Metz (F)

Der Neubau liegt im Quartier Amphithéâtre beim TGV-Bahnhof am Rand des Stadtzentrums von Metz. Es bildet das Kernstück eines ambitionierten Plans des Architekten und Urbanisten Nicolas Michelin, den Stadtraum aufzuwerten. Der Neubau enthält nebst zahlreichen Ausstellungsräumen auch ein Studio für Aufführungen und künstlerische Aktionen, ein Auditorium, eine Buchhandlung, ein Restaurant und ein Café. Der Standort Metz wurde gewählt, weil er nahe bei Luxemburg, Belgien, Rheinland-Pfalz und dem Saarland liegt; über TGV und Autobahnen erschlossen, kann die Hauptstadt von Lothringen eine internationale Ausstrahlung entwickeln.

Der internationale Architekturwettbewerb für das Projekt wurde im März 2003 ausgeschrieben. Aus 157 eingegangenen Dossiers wurden sechs für die engere Wahl bestimmt. Das Projekt von Shigeru Ban, Jean de Gastines (Paris) und Philip Gumuchdjian (London) in Zusammenarbeit mit Cecil Balmond (Arup, London) erhielt einstimmig den Zuschlag. Bereits im Juni 2004 wurde das Vorprojekt erstellt, im September 2005 die Baubewilligung erteilt und im November 2006 der Grundstein gelegt. Die Eindeckung mit dem Holzdach und den Membranen begann 2009.

Erfahrungsbericht der Ingenieure über den Bau des Centre Pompidou

Gemäss Shigeru Ban soll der Neubau leicht und gleichzeitig stark erscheinen und das Publikum dazu einladen, unter sein Schutzdach zu kommen. In der Tat beruht die Wirkung der Architektur vorwiegend auf dem wie ein riesiger Strohhut gebauten Holzdach mit seiner transluziden Membran – doch ist dieser Strohhut 8000 m2 gross. Das Dach besteht aus Holzstäben mit einem Querschnitt von 14 × 44 cm; 18 000 Laufmeter davon wurden auf CNCgesteuerten Maschinen zugeschnitten.

Diese Holzstruktur wurde in der Schweiz berechnet. Ingenieur Hermann Blumer arbeitete eineinhalb Jahre daran, bestimmte die Flächengeometrie und berechnete die Vorstatik mit den notwendigen, neuartigen Verbindungen. Fabian Scheurer von designtoproduction (Erlenbach ZH) verfeinerte diese Vorgaben zur Dachgeometrie und verschaffte so der Produktionsfirma die notwendigen CAD-Tools, um die Details zu den rund 18 000 doppelt gekrümmten Brettschichtholzteilen zu erarbeiten. Für die Holzbaustatik war SJB Kempter Fitze mit Hermann Blumer, Création Holz (Herisau), verantwortlich.

Die Membran wurde in Japan produziert und besteht aus Glasfasern mit einer Teflonbeschichtung (PTFE Poly-Tetra-Fluoro-Ethylen). Sie lässt 15 % des Tageslichts durch und schützt Dach und Fassade vor Wind und Wetter. Nachts scheint das Bauwerk wie eine Laterne zu glühen. Die Form von Grundriss und Dach basieren auf einem Sechseck. In der Mitte steht ein 77 m hoher Turm, über den die drei Ausstellungsebenen erschlossen sind und der die Dachstruktur trägt.

Die Ausstellungsebenen wirken wie rechteckige, übereinander geschobene Riesenschachteln. Ihre Enden durchbrechen die Dachstruktur, sind verglast und geben den Blick über die Stadt frei. Die Innenräume sind hell: Die Wände sind weiss gestrichen, die Böden aus perlgrauem Beton, das Dach aus hellem, natürlich belassenem Holz und mit der lichtdurchlässigen Membran versehen. Die Räume sind vielseitig nutzbar. Insgesamt weicht die Architektur des Centre Pompidou Metz weit vom Herkömmlichen ab und erinnert kaum an bereits Gebautes.

Centre Pompidou, Metz


Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft: Communauté d’Agglomération de Metz Métropole (CA2M), Beauftragte der Bauherrschaft: Ville de Metz, Partner der Bauherrschaft: Centre Pompidou, Paris

Architektur: Shigeru Ban Architects, Tokio/Paris; Jean de Gastines, Architecte, Paris; Philip Gumuchdjian Architect, London (Wettbewerbsphase)

Tragkonstruktion Wettbewerb/Ausschreibung: Arup, London

Tragwerksplanung Stahlbeton: CTE sa, Riedisheim (F)

Tragwerksplanung Stahlbau allg.: ETI sa, Echirolles (F)

Planung Stahlbau, Ringe und Anschlüsse: SJB Kempter Fitze, Herisau

Tragwerksplanung Holzbau: SJB Kempter Fitze, Herisau

Beratung Tragwerksplanung Holzbau: Création Holz, Hermann Blumer, Herisau

Geometrieanalyse Holzdach: designtoproduction, Fabian Scheurer, Erlenbach ZH

Prüfingenieur Bauherrschaft Holzbau: Dominique Calvi, Avignon (F)

Prüfingenieur Gegenmodellierung Gesamtstruktur: Socotec sa, Paris

Prüfingenieur für die Bauherrschaft: Terrell, Boulogne-Billancourt (F)

Amtsprüfer: Dekra, Paris

Prüfingenieur für die Versicherung: Cabinet Guillermain, Boulogne-Billancourt (F)

Generalunternehmung: Demathieu & Bard, Montigny-lès-Metz (F)

Stahlbau: Fa. Viry, Eloyes (F)

Holzkonstruktion: Holzbau Ammann, Weillheim-Bannholz (D)

Membrane: Taiyo Europe, München

Quartierplanung: Agence Nicolas Michelin & Associés (ANMA), Paris

Umgebungsplanung: Paso doble, Villette (F)

 

Technische Daten
Nutzfläche: gesamt 10 700 m2, davon Ausstellungsfläche 5000 m2

Fundament: 405 Rammpfähle mit Durchmessern von 50 bis 100 cm, Tiefe: 11 m

Materialien: Beton für Fundament und Rohbau: 12 000 m3; Armierungsstahl: 1500 t; Stahl für Fassade und zentralen Turm: 970 t; Holz für Dachkonstruktion: 650 t, total 16 000 Einzelteile und 18 km Bretter; Membrane: 8500 m2 Glasfasergewebe mit Teflonbeschichtung (PTFE)

Baukosten: 69.33 Millionen Euro, davon 51 Millionen Baukonstruktion und 18.3 Millionen Honorare, Möblierung, Innenausstattung, Umgebungsarbeiten und Diverses

Clubhaus Hasley – Nine Bridges, Yeoju (Südkorea)

Der Hasley Country Club in Yeoju, eine Fahrstunde südlich von Seoul, ist ein 18-Loch-Privatplatz, der dereinst zu den Top Ten der Golfclubs weltweit gehören will. Deshalb wurde auch für die Architektur eine besondere Gestaltung gesucht. Shigeru Ban setzte aus ökologischen
und bautechnischen Gründen vor allem auf Holz (wobei die Vorzüge des Materials und der Vorarbeiten in der Schweiz trotz dem langen Transportweg überzeugt haben). Die Anlage besteht aus drei Gebäudekomplexen: einem Clubhaus für reguläre Mitglieder, dem Trakt für VIP-Mitglieder und den Empfangsräumen für VIP. Jeder Bauteil ist unterschiedlich konstruiert.

Das baulich prägende Clubhaus besteht aus einer Holzkonstruktion, die in ihrer Grundform auf das traditionelle, aus Holzspänen geflochtene, «bamboo wife» genannte Sommerkissen zurückgeht. Der VIP-Teil ist weitgehend eine Stahlkonstruktion, im VIPClubhaus finden sich zudem Betonstrukturen. Alle Bauten beziehen sich in zeitgemässer Sprache auf tradierte Architekturformen Koreas. Das Clubhaus ist grosszügig angelegt und dreigeschossig. Die Empfangshalle erstreckt sich über die gesamte Gebäudehöhe von über 13 m (Abb. 17).

Im Erdgeschoss finden sich eine Restaurantzone, Konferenzräume, ein Spa, kleine Appartements für Mitglieder und technische Räume wie Küchen, Vorratsräume und Büros. Die zweite Etage enthält weitere Räume des Spa, eine VIP-Lounge und Appartements. Im dritten Geschoss liegt ein Aufenthalts- und Esssaal mit Bar. Hier ist die Holzstruktur aus nächster Nähe sichtbar (Abb. 18); deshalb galt für die gesamte Konstruktion ein strikter Anspruch auf höchste Qualität der Detailausbildung und der Passgenauigkeit der Holzverbindungen. Die einzelnen vorgefertigten und als grosse Strukturen zusammengefügten Teile mussten sich wie ein Designermöbelstück in die Innenarchitektur integrieren.

Das Golfhaus ist als geometrisch ausgerichteter «Wald» aus 21 Bäumen entworfen. Diese Baumstützen tragen die 36 × 72 m grosse Dachfläche. Das zweiseitig Last abtragende «Astgeflecht» der Kronen verläuft bis in das 4.50 m breite Vordach. Die gesamte Höhe der
Konstruktion misst 13.6 m. Wie in der Natur, so ist auch bei dieser Konstruktion kein Stab gerade. Sämtliche Flächen sind mindestens einfach, meist zweifach gekrümmt. Auf den Kronen ruht ein Trägerrost mit Haupt- und Nebenträgern, in denen 21 Lichtkuppeln mit einem Durchmesser von 3 m integriert sind.

Den oberen Abschluss der Holzkonstruktion bildet eine Dreischichtplatte. Ban betont, dass diese Holzkonstruktion aus ökologischen Gründen gewählt wurde, und bezieht sich auf Fachpublikationen von Klaus Richter, Leiter der Holzabteilung der Empa in Dübendorf. Gleichzeitig legte er Wert darauf, ausschliesslich mit smarten EDV-Programmen und hochpräziser Vorfertigung zu arbeiten. Für die Planung und Berechnung der Raumgeometrie, die Ingenieurarbeiten und die Produktion wurden Firmen und Personen aus der Schweiz beigezogen.

Im Juni 2008 stellte sich die Blumer Lehmann AG in Gossau anlässlich einer Betriebsbesichtigung einer koreanischen Delegation vor. Diesem ersten unverbindlichen Kontakt folgte die Anfrage nach einer Kalkulation. Der Auftrag sah einen ausserordentlich engen Zeitrahmen vor: Das Dach sollte Ende Februar 2009 gebaut sein. Innert kürzester Zeit (rund eine Woche) war aufgrund der Konzeptpläne aus Korea eine zweifach gekrümmte Dachkonstruktion zu gestalten, zu erfassen und in Zahlen auszudrücken.

Für die Geometrieanalyse, auf der die weiteren Berechnungen und die Produktionsplanung basierten, zeichnete die Firma designtoproduction verantwortlich. Die Berechnungen und die Parameter zur Optimierung zwischen Geometrie, Statik und Wirtschaftlichkeit bildeten richtungweisende Kernpunkte. Der eigentlich einfache, rechteckige Grundriss führte zu technisch vorteilhaften Wiederholungen von Ausführungsdetails. Die Dachkonstruktion liess sich in fünf Elementtypen aufteilen. Ein sechsstelliges Nummernsystem sicherte die Identifizierung aller Bauteile. Aufgrund der grossen Anzahl Elemente, für deren Transport insgesamt 26 Container verschifft und 9 Flüge notwendig wurden, sowie der 8000 km langen Distanz zwischen Produktionsort und Baustelle war diese präzise Identifizierung wesentlich.

Clubhaus Hasley, Yeoju


Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft: Betreiber Golfclub Hasley Country Club, Yeoju, Südkorea

Auftraggeber: CJ Construction & Engineering, Seoul

Architektur: Shigeru Ban Architects, Tokio, mit Kevin S. Yoon, KACI International, Seoul

Tragwerksplanung Holzbau: SJB Kempter Fitze, Frauenfeld, Franz Tschümperlin

Beratung Tragwerksplanung: Création Holz, Hermann Blumer, Herisau

Geometrieanalyse: designtoproduction, Fabian Scheurer, Erlenbach ZH

Dachflächenausformung: iCapp GmbH, Zürich, Jürg Danzberg, Stefan Schmälzle Holzbau (Entwicklung, Planung, Statik,
Produktion, Vormontage und Montage der Dachkonstruktion): Blumer Lehmann AG, Gossau, Richard Jussel, Felix Holenstein,
Martin Antemann

 

Technische Daten
Grundstückfläche: 1 132 871 m2

Bebaute Fläche: 5420 m2

Träger: 21 baumartig geformte Holzstützen

Dachelemente: 32 Kronenelemente, 5 Typen

Kronenelemente: 3490 Bauteile, 14 200 Laufmeter Trägerlänge, 14 824 Blattverbindungen, bis zu 3640 Abschnitte pro Element

Material: Holz: 315 m3 doppelt gekrümmtes, 215 m3 gerades Brettschichtholz; Stahl: 21 t für Grundplatten und Verbindungsmittel, 8 t für Stahlträger; Vollgewindeschrauben Krone: 75 000 Stück; Flickzapfen Krone: 35 000 Stück; Schraubzwingenspannungen: 23 000 ×

Personalaufwand: Arbeitsvorbereitung: 5119 Stunden, 14 Mitarbeitende; Programmierung: 2927 Stunden; Arbeiten im Werk: 40 Mitarbeitende; Baustelle: 39 Mitarbeitende

Montage: Beteiligt waren ein oben drehender Baustellenkran mit koreanischem Kranführer sowie 39 Fachleute aus der Schweiz. Montagezeit total: 10 Wochen. Das Versetzen der einzelnen, sehr grossen Kronen bedingte das gleichzeitige Einfahren von 24 Schlitzblechen.

Stabilisieren der Bauzustände: Das Gebäude kommt ohne diagonale Verstrebungen in den Fassaden aus. Nach jedem Montageschritt war die Konstruktion auszurichten und zu stabilisieren. Nur so liess sich die umlaufende Glasfassade präzise Einbauen. Das gesamte aufgebaute Tragwerk garantiert die Stabilität.

 

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