Wie der Holzbau gewachsen ist
In der Schweiz wird das Potenzial, das Holzkonstruktionen bezüglich Höhe mit sich bringen, von Architekten, Behörden, Verbänden, Hochschulen und Bauherrschaften behutsam und solide erforscht, entwickelt und am Bau umgesetzt.
Ab welcher Höhe ist in der Schweiz ein Bau ein Hochhaus? Die Brandschutzvorschriften besagen: ab 30 m Höhe. Beim Bauen, und auch beim Bauen mit Holz, geht es jedoch nicht um einen wie immer gearteten Wettbewerb.
Zudem ist klar: Die meisten Projekte mit dem Etikett Holzhochhaus betreiben mehr oder weniger Etikettenschwindel. Warum auch nicht? Holz ist Mode und modern geworden, hat einen Ökobonus, und sein ehedem verstaubtes Image ist einer hippen Reputation gewichen. Doch der Holzbau kommt kaum ohne Stahl und Beton aus. Schon gar nicht hohe Bauten. Diese enthalten meist betonierte Erschliessungskerne oder sind hybride Holz-Beton-Konstruktionen, allenfalls mit Stahltraggerüst und eingeschobenen vorgefertigten Holzmodulen.
Das Potenzial von Holz entfaltet sich
Doch die technischen Eigenschaften machen Holz auch im Hochhausbau interessant: die modulare und präzise Fertigung im Werk, das ausgezeichnete Verhältnis von Eigengewicht und technischer Leistung, die zeitsparende und günstige Montagebauweise, die ökologischen Aspekte eines nachwachsenden Rohstoffs und – richtig geplant – der spätere weitgehend problemfreie Rückbau.
Auslöser und Grundlage für die Möglichkeit, mit Holz mehrgeschossige Bauten für Wohnen, Arbeit und Unterricht zu errichten, waren vor allem die liberalisierten Brandschutzvorschriften. Um 1980 wurden lineare Holzbauteile mit Feuerwiderständen klassifizierbar. Rund 13 Jahre später erlaubten die Brandschutzvorschriften Holz für flächige, brandabschnittbildende Bauteile. Gleichzeitig wurde die Anwendung eines objektbezogenen Brandschutzkonzepts für alle Nutzungen möglich. Das im Jahr 1998 vom Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich und der Lignum durchgeführte Forschungsprojekt zu Holz-Beton-Verbunddecken führte zu deren Klassierung für 60 Minuten Feuerwiderstand.
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Der Holzbau wuchs zur innovativsten Bauweise heran – vorerst ohne sein Potenzial zu entfalten. Deshalb baute die Lignum mit dem BAFU ab 2001 das Projekt «Brandsicherheit und Holzbau» auf. Ziel: das Brandverhalten im mehrgeschossigen Bauen zu erforschen und Konzepte für brandsichere Konstruktionen zu entwickeln. Nach Jahren des Testens im Labor und in Naturbrandversuchen stand fest: Holz lässt sich im mehrgeschossigen Bauen mit Konstruktionen einsetzen, die dem Feuer bis zu einer Stunde widerstehen und leisten, was die Brandschutzvorschriften fordern.
Mit den seit 2015 geltenden schweizerischen Brandschutzvorschriften sind nun Holzbauten in allen Gebäudekategorien wie Büro-, Schulhäuser, Beherbergungsbetriebe oder Industriebauten bis zu 30 m Höhe möglich. Bei Hochhäusern ist die Anwendung von tragenden und brandabschnittbildenden Bauteilen mit Holzanteilen unter bestimmten Rahmenbedingungen möglich.
Projekte mit Pioniercharakter
Doch mehrgeschossige Holzbauten zum Wohnen oder Arbeiten gibt es schon lang. Den Anfang gemacht hat 1996/97 die Überbauung Lukasstrasse in St. Gallen als viergeschossiges Mehrfamilienhaus. Ebenfalls vier Etagen hatte die 2008 erstellte Casa Montarina in Lugano. Allerdings waren beide Gebäude zwei aufeinander gestellte Zweistöcker am Hang mit Zugang in der Mitte. 2006 entstand das erste sechsgeschossige Mehrfamilienhaus in Steinhausen ZG. 2018 wurde in Risch Rotkreuz ZG das erste mit Holz gebaute Hochhaus «Suurstoffi» bezogen. Ein Riese ist es mit zehn Geschossen über Terrain nicht, jedoch mit 36 m baurechtlich ein echtes Hochhaus. Es zeigt, wie behutsam und solide die Holzbaubranche die neuen Möglichkeiten nutzt: Man sucht nicht auf Biegen und Brechen das Maximum, sondern entwickelt den Holzbau auf sicherem Grund. In der Nähe wurde Ende 2019 das Gebäude für den Campus der Hochschule Luzern fertig. Es ist mit 15 Geschossen und 60 m das schweizweit höchste Holzgebäude.
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Technisches Wissen und Können
Hochhäuser aus Holz sind also möglich. Das Material spielt seine einmaligen Vorteile aus: Der Montagebau mit im Werk vorgefertigten, präzisen Elementen ist zeitsparend und damit für Investoren interessant. Aber zu derartigen Projekten gehört ein profundes fachliches Wissen, damit sichere, robuste und unterhaltsarme Bauten entstehen. Die Schweiz verfügt über entsprechend ausgebildete und erfahrene Fachleute. Der Ingenieurholzbau ist nicht nur erwachsen geworden, er wird zur Avantgarde.
Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft:
Zug Estates, Zug
Generalplanung:
Imooo, Zürich
Architektur:
Büro Konstrukt, Luzern;
Manetsch Meyer Architekten, Zürich
Holzbau Statik, Brandschutz:
Pirmin Jung (Schweiz), Rain
Holzbau:
Erne, Laufenburg
Bauphysik:
Gartenmann Engineering, Zürich
BIM-Management:
Kaulquappe, Zürich
Gebäude
Geschossfläche (SIA 416): 42 500 m2
Volumen (SIA 416): 176 500 m3
Holz und Konstruktion
Holzhybridhochhaus:
60 m hoch, 15-geschossig mit Betonkern, Holzstützen und Holz-Betonrippendecken
Decke:
6 m gespannt mit Auskragungen bis 2 m; Rippen 2–100 x 280 mm; Betonschicht 160 mm; Elemente von 2.7 m im Werk vorgefertigt
Stützen:
280/320–360/400 mm; stark belastete Stützen aus Pollmeier-BauBuche
Unterzug:
Holz-Betonverbund mit hoch beanspruchten Kerven (Test ETH); Innen-Unterzüge Pollmeier-BauBuche
Daten
Bauzeit:
April 2017–August 2019
Montagebau Holz:
4 Tage / Stockwerk ohne Gerüst
Kosten
Investitionssumme:
185 Mio CHF;
Holzbau ca. 6.4 Mio CHF
Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Stadt aus Holz – Höher bauen, aufstocken, Erdbebensicherheit». Weitere Artikel zum Thema Holz finden Sie in unserem digitalen Dossier.