So­wo­hl Pla­tz als auch Brüc­ke

Einstufiger Studienauftrag im selektiven Verfahren «Ersatzneubau Rathausbrücke»

Die neue Rathausbrücke: Ein Platz über der Limmat mitten in Zürich an historisch bedeutsamem Ort wird ersetzt. Dabei bildet auch das neue Bauwerk einen Aufenthaltsort und ist dennoch in seiner statischen Ausbildung eine typische Brücke.

Data di pubblicazione
31-07-2019

Die Rathausbrücke im Herzen von Zürich verbindet seit dem Mittelalter die beiden durch den Fluss getrennten Altstadtteile und führt vom rechten Lim­matquai mit dem namensgebenden Rathaus zum linken Ufer mit dem historischen Quartier Schipfe und dem Weinplatz, an dem das Hotel Storchen steht (vgl. Luftbild). In ­einer leicht geknickten Engstelle des Flusses liegt die Brücke zwischen Hauptbahnhof und seebegrenzender Quaibrücke. Sie war bis 1838 der einzige befahrbare Limmatübergang und hat auch seit der Schliessung für Fahrzeuge nicht an Bedeutung verloren – nun ist sie Teil der Fussgängerzone. Der Volksmund nennt sie auch «Gmüesbrugg» und erinnert damit an die Funktion als Marktplatz seit dem 14. Jahrhundert. Schon damals war die Brücke breiter als für den Verkehr notwendig. Zusätzliche Verbreiterungen erfuhr sie 1375 und 1420/21. Von 1602 bis 1605 erhielt sie das heutige Ausmass.

Im Wandel der Zeit

Die aktuelle Brücke und ihre Vorgängerinnen waren stets ein Abbild der zur Erstellungszeit typischen Bauweise. 1882 ersetzt der Bauingenieur Ludwig von Tetmajer die mittelalterliche Brücke aus Holz und Stein durch eine gusseiserne Konstruk­tion. Die heutige Brücke wiederum ist aus Stahlbeton. Entworfen hat sie 1972/73 der Bauingenieur Edy Toscano zusammen mit dem Architekten Manuel Pauli. Diese Kon­struktion ist nun instandsetzungsbedürftig, und seit den aktuellen Bestimmungen zur Hochwasser­sicherung ist die Wassermenge, die bei Hochwasser darunter durchfliessen soll, zu gering. Durch den vom Kanton Zürich projektierten Entlastungsstollen zwischen Langnau am Albis und Thalwil, der Hochwasserspitzen aus der Sihl in den Zürichsee leitet, wird die Rathausbrücke verstärkt zum Engpass für die anfallenden Wassermengen.

Das Tiefbauamt der Stadt Zürich schrieb einen einstufigen Studienauftrag aus. Das Ziel war es, ein Projekt aus Stahlbeton zu finden, das die vielschichtigen bestehenden Funktionen wie den flexibel nutzbaren Platz und den innerstädtischen Brückenschlag erhält und dennoch die neuen Anforderungen an Städtebau, Denkmalschutz, Gestaltung sowie wasserbau- und wasserverkehrsspezifische Rahmenbedingungen erfüllt.

Die Jury hat aus den acht eingereichten Beiträgen das Projekt des Zürcher Teams um Bänziger Partner, 10:8 Architekten und F. Preisig zur Umsetzung empfohlen. Es überzeugte mit der gelungenen Interpretation der Brücke als klar strukturierte Platzebene über der Limmat, mit der ausgewogenen ­Aufenthaltszone mit langen Sitzbänken an beiden Brückenrändern und mit einer hohen Flexibilität für verschiedenste Nutzungen.

Neu im Kontext eingebettet

Die neue Rathausbrücke ist klein­flächiger, schlanker und filigraner als die bestehende und spannt in einer Trapezform über die Limmat. Die festen Sitzmöglichkeiten er­höhen die Aufenthaltsqualität, und die freie Platzmitte kann für den Wochenmarkt oder das Karussell «Rösslirytschuel» genutzt werden. Ausserdem erhöhen die neuen Spannweiten zwischen den Pfeilern und die abgesenkte Limmatsohle die Durchflusskapazität.

Das Team habe lange an der zentralen Frage studiert, ob das Bauwerk eine Brücke oder ein Platz sei, meinte Luc Trausch von Bänziger Partner, Mitglied des Siegerteams und künftiger Projektleiter. Man habe angeregt und fachübergreifend diskutiert und deshalb am Modell mehrere Grundrissformen und Anschluss- bzw. Durchgangsmöglichkeiten für die Gehwege diskutiert. «Wir hatten viele Fragen: Sollten wir den Bezug zum Arkadengang bei der Polizeiwache beibehalten? Den Anschluss hinter dem wegfallenden Kiosk lassen? Wie gehen wir vor, um die Qualität des Weinplatzes nicht zu mindern? Um das Bauwerk statisch als Brücke lesen zu können? Finden wir eine Geometrie, die dem Haus zum Schwert gerecht wird – einem der wenigen Gebäude, die in den Flusslauf hineinragen und aufzeigen, wie früher am Limmatufer gebaut wurde?» Nun ist die Rathausbrücke wieder beides – vor allem weil Tragwerk und Architektur ihren Spielraum erhalten.

Die linearen Schenkel des neuen Brückengrundrisses verlaufen senkrecht zur Strömungsrichtung. Die nördliche ­Brückenkante wird deutlich flussaufwärts verschoben, und der Anschluss an die Arkade des Rathauscafés wird aufgehoben. Das Trapez fasst das Haus zum Schwert mit seiner langen Grundseite ein, lässt daran flankierend zwei städtebaulich ausgewogene Zugänge zum Weinplatz bzw. in das Quartier Schipfe entstehen und spannt schlank als Dreifeldträger über die Limmat hinüber zu den im Wasser stehenden Gebäuden der Polizeiwache und des Rathauses. Diese beiden Gebäude an der kurzen Grundseite des Trapezes bilden die Brückenköpfe und formen damit gleichsam den Platzeingang.

Der 1788 m2 grosse Grundriss nutzt die maximal mögliche Fläche – die Bestandsfläche von 2175 m2 – nicht aus. Das Siegerteam wollte den Platz auf das Minimum reduzieren, um Nutzungsqualität, Wirtschaftlichkeit und Unterhaltsaufwand in ein ausgewogenes Gleichgewicht zu bringen. Auch die Jury sah in der Reduktion positive Auswirkungen: Für eine gute Nutzung ist weniger die Grösse der Brücke bestimmend als vielmehr die Gliederung des Platzes an sich sowie die Raumbildung im Anschluss an die benachbarten Bauten und an die direkt angrenzenden Stadträume. Allerdings sei die Zirkulationsfläche auf der Seite des Weinplatzes eher knapp dimensioniert und müsse ­bezüglich der guten Funktion des Velo-, Fussgänger- und Anlieferungsverkehrs überprüft werden.

Semi-integrale Konstruktion

Während die heutige Brücke noch über vier Pfeilerachsen verfügt, hat das Siegerprojekt nur noch zwei. Beide sind im Grundriss geknickt und mit einer Konstruktion aus Pfahlbanketten und Pfählen tiefenfundiert. Mit der reduzierten Stützzahl verändert sich vor allem die Spannweite im Mittelfeld. Jene der Randfelder ändern sich kaum, da die verbleibenden Achsen nahezu am gleichen Ort sind. Mit den neuen Spannweiten von 13 m, 24 m und 13 m ist das statische System zwar nicht ganz ausgewogen – die Randfelder tragen statisch nicht voll zur Entlastung der grossen Hauptspannweite bei –, doch die Lage war vorgegeben, und so können andere, nicht statisch bedingte Randbedingungen berücksichtigt werden. Zum Beispiel ein ausreichendes Lichtraumprofil für die Schiffe oder der Erhalt der bestehenden Fundationen.

Das Plattentragwerk aus Spannbeton ist semi-integral ausgebildet. Die beiden Pfeiler und das linksufrige Widerlager sind monolithisch mit der Brückenplatte verbunden. So kann Regenwasser am Tiefpunkt der Konstruktion (Längsgefälle von ca. 0.7 % vom Rathaus zum Weinplatz bzw. zur Schipfe), ohne einen unterhaltsintensiven Fahrbahnübergang zu tangieren, ablaufen. Rathausseitig – am Hochpunkt der Konstruktion – ist die Brücke verschieblich gelagert, um potenzielle Bewegungen aufzufangen und die Ufermauern nicht übermässig zu belasten. Die Pfeiler sind von der Brückenkante um etwa 3 m zurückversetzt, was die Horizon­tale des Bauwerks betont. «Das ist durchaus typisch für heutige Brücken», erläutert Trausch. So wird der Platz in der Ansicht deutlich zur Brücke, was die Bauhistorie des Objekts aufgreift. Die Auskragung wird in der Untersicht in Form einer gefalteten Rippendecke ausformuliert. Diese verjüngt sich gegen aussen und entspricht in ihrer Länge der möblierten Randzone der Platz­fläche. Die gezackte Betonstirn als Referenz der auskragenden Fassadenelemente historischer Bauten verwächst unten mit den spitz zulaufenden Kanten der Pfeiler. Oben löst sie sich im polygonal geflochtenen Staketengeländer auf. Dass die Jury diese Ausarbeitung der Brückenansicht als unnötig formalistisch und optisch angestrengt empfindet, mag Ausdruck davon sein, dass sie statisch nicht mitwirkt.

Baugeschichte beibehalten

Der Brückenbelag besteht aus einem Gussasphalt mit Kieskörnern, der zum Terrazzo geschliffen werden soll. Das Entwässerungsnetz in ­einem sichtbar gezeichneten Raster unterstreicht die durchgehende ­Ebene. Die Längsleitungen sind jeweils in einer nach unten offenen Aussparung in der Platte geführt. Dieses Konzept ist bezüglich Unterhalt und Dauerhaftigkeit günstig. Die veranschlagten Gesamtkosten für die neue Brücke belaufen sich auf 32 Mio. Franken.

Das Siegerprojekt war damit nicht die kostengünstigste Variante. Der Beginn der Bauarbeiten ist für 2023 geplant (koordiniert mit der Restaurierung des Rathauses). Dann soll gleichzeitig der Bestand rückgebaut und der neue Brückenunterbau erstellt werden. 2025 oder 2026 soll die Brücke in Betrieb genommen werden. Bis dahin werden 4.5 m breite Hilfsbrücken den Fussgängerverkehr aufnehmen.

Wie ein Scharnier wird sich die neue Brücke am Flussknick einfügen und so die über Jahrhunderte weiterlebende Funktion als soziale Drehscheibe in der Stadt Zürich ­versinnbildlichen – dann in auf­gewerteter Form, mit geklärten ­Verkehrsbeziehungen und in gegenwärtig typischer Bauweise.

Weitere Pläne und Bilder finden Sie in der Rubrik Wettbewerbe.

 

Empfehlung zur Weiterbearbeitung

Team 2: Bänziger Partner, Zürich; 10 : 8 Architekten, Zürich; F. Preisig, Zürich

Weitere Teilnehmer

Team 1: ACS Partner, Zürich
Team 3: Pöyry Schweiz, Zürich
Team 4: Conzett Bronzini Partner, Chur; Meili, Peter & Partner Architekten, Zürich; Staubli, Kurath & Partner, Zürich
Team 5: Penzel Valier, Zürich
Team 6: Basler & Hofmann, Zürich; Huggenberger Fries Architekten, Zürich
Team 7: sbp – Schlaich Bergermann Partner, Stuttgart; Explorations Architecture, Paris; Vetschpartner Landschaftsarchitekten, Zürich; Emch + Berger, Zürich; Emch + Berger, Bern
Team 8: Synaxis, Zürich; Ernst Niklaus Fausch, Zürich; Raymond Vogel Landschaften, Zürich; Bänziger Kocher Ingenieure, Niederhasli

FachJury

Lisa Ehrensperger, Architektin, Zürich (Vorsitz); Katrin Gügler, Architektin, Direktorin Amt für Städtebau der Stadt Zürich; Walter Kaufmann, Bauingenieur, Zürich; Rainer Klostermann, Architekt, Zürich

SachJury

Christian Marti, Bauingenieur, Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel), Abteilungsleiter Wasserbau; Rupert Wimmer, Verkehrsingenieur, Tiefbauamt der Stadt Zürich (TAZ), Leiter Verkehr und Stadtraum, ab 1. Januar 2019; Anna Schindler, Geografin, Direktorin Stadtentwicklung, Zürich

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