Zu­kunft Sch­weiz – ge­stal­ten statt ge­sche­hen las­sen

Swissbau 2018

Der SIA schaut voraus. Von Megatrends über Naturgefahren bis hin zu ­Chancen für den alpinen Raum – am Ende des SIA-Thementags stand fest: Die Gestaltung der Schweiz müssen Fachleute gemeinsam mit der ­Bevölkerung mutig und offensiv angehen.

Data di pubblicazione
08-02-2018
Revision
08-02-2018

Wie wirken Megatrends auf den Lebensraum und das Bauwerk Schweiz? Was müssen Planer tun, damit die positiven Effekte von Digitalisierung und Bevölkerungswachstum zum Tragen kommen? Und warum führt Big Data zu besseren Immobilienprodukten? Die Auftaktveranstaltung des SIA-Thementags an der Swissbau versprach Antworten. Der Ökonom Klaus W. Wellershoff warf einen Blick auf die kommenden Herausforderungen (vgl. Interview, Kasten unten).

Was die Weltwirtschaft betreffe, so gehe es von nun an bergab, erklärte er und relativierte: Das Wachstum werde sich lediglich verlangsamen, die Arbeitslosigkeit aber nicht zunehmen, da künftig weniger Menschen im beschäftigungsfähigen Alter sein werden. Für die nächsten 15 bis 20 Jahre sei die Schweiz gut aufgestellt. Mehr Menschen mit höheren Einkommen werden die Nachfrage nach Wohnungen weiterhin hoch halten, infolge der Inflation würden aber die Zinsen steigen und die Immobilienpreise stagnieren.

Digitalisierung und Demografie prägen Raum

«Den grössten Einfluss auf die Raum­entwicklung werden die Digitalisierung und der demografische Wandel haben», erklärte Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamts für Raumentwicklung. Bis 2040/2045 werde die Schweizer Bevölkerung weiter wachsen. In einer 10-Millionen-Schweiz werde sich der Anteil der über 65-Jährigen verdoppeln.

Wie beeinflusst das die Raumentwicklung? Vernetzte Smart-Citys, also technologisch innovative und ressourcenschonende Städte, entstehen gerade, doch was passiert in den Agglomerationen? Neue Wohn-Arbeits-Modelle werden sich etablieren, aber wird es in der Peripherie auch neue Arbeitsplätze geben? Eine längere Zeit der Ungewissheit komme auf uns zu, sagte Lezzi: «Die Veränderungen passieren aber nicht einfach so. Wir können sie gestalten.»

Chancen von Big Data und Individualisierung

Peter Ilg, Leiter des Swiss Real Es­tate Instituts der Hochschule für Wirtschaft Zürich, hat die Mega­trends «Big Data» und «Individualisierung» untersucht, konkret deren Auswirkungen auf den Immobilienmarkt. Bessere und verlässlichere Zahlen über den Verkauf von Eigenheimen erlauben es zukünftig, den Gebäudemarkt besser zu verstehen und Entwicklungen genauer zu prognostizieren. Datenanalysten seien heute noch rar, Auswertungen entsprechend teuer.

Was den Trend zur Individualisierung angeht, stellte Ilg fest, zeige sich gerade in den Städten der Trend zu kleineren Wohneinheiten. Diese verkauften sich deutlich besser und schneller als in der Vergangenheit. Diese Tendenz werde sich fortsetzen, Investoren müssten die Konzeption neuer Wohngebäude entsprechend anpassen.

Klimawandel verschärft Naturgefahren

In der zweiten Runde der SIA-Zukunftsschau beschäftigten sich die Teilnehmer des Podiums «Naturgefahren und Klimawandel» mit den Auswirkungen dieser Phänomene auf die Landschaft der Schweiz. Die Botschaft war schnell klar: Klimawandel geht alle an – auch die Planer. Die durch die meteorologischen Veränderungen in der Atmosphäre verursachten Naturgefahren nehmen zu, und Planerinnen und Planer müssen sie in frühen Projektphasen berücksichtigen.

Während draussen Stürme tobten und in den Bergen heftiger Schneefall einsetzte, machten die vom SIA geladenen Fachleute auf der Swissbau-Bühne in Basel deutlich: Die kalten Tage werden weniger, Hitzetage und Niederschläge werden zunehmen. Dies habe mehr Hochwasser, Murgänge aber auch Erdrutsche, Steinschläge und Lawinen zur Folge.

Was Planer tun können

Mit der klimatisch veränderten Situation müssen die Planer nun klug umgehen: die Emissionen vermindern und sich an das Wetter anpassen. Diesen Umgang und die Fähigkeit zur Resilienz hob David Bresch, Professor für Wetter- und Klimaentscheidungen der ETH Zürich, hervor (vgl. Interview, Kasten unten).

Für die Planer bedeutet dies: Gefahrenkarten und Fachleute von Versicherungen und Ämtern kon­sultieren, Risikoeinschätzungen machen, Kosten und Nutzen abwägen und mit möglichst einfachen Schutzmassnahmen möglichst hohe Wirkung erzielen. «Wirtschaftlich ist es dann, wenn der Schaden durch Naturgefahren grösser ist als die Investition in die Prävention», meinte Podiumsteilnehmer Markus Feltscher, Direktor der Gebäudeversicherung Graubünden.

Bewusstsein für Objektschutz fördern

Das Interesse an Naturgefahren wie Erdbeben sei bei Architekten und Ingenieuren noch nicht vorhanden, meinte Niklaus Reinhard, Architekt aus dem von Naturgefahren gezeichneten Kanton Nidwalden. Erst wenn Massnahmen gegen Naturgefahren in der Praxis ergriffen werden müssten, beschäftige man sich damit.

Das Bewusstsein müsse noch wachsen, pflichtete Dörte Aller, beim SIA zuständig für das Thema Naturgefahren, bei. «Heute wird für heute gebaut – aber die Häuser stehen in fünfzig Jahren immer noch.» Sensibilisieren und Lösungen aufzeigen möchten die Macher der Plattform «Schutz vor Naturgefahren» – und deutlich machen: Wenn sich Architekten und Ingenieurinnen früh­zeitig um den Gebäudeschutz vor Naturgefahren kümmern, stehen die nötigen Massnahmen auch nicht im Widerspruch zu ihrem ästhetischen Anspruch.

Normierung ist Motor des Fortschritts

Im Rahmen des dritten Teils des SIA-Thementags stimmte Bestsellerautor Rolf Dobelli ein wahres Hohelied auf die Normierung an. «Die Normierung ist zu Unrecht im Verruf.» Die Mär, dass Normierung das Leben erschwere, sei schlicht falsch – das Gegenteil sei wahr. Ohne Normen käme die Welt ziemlich schnell ins Wackeln, konstatierte Dobelli und illustrierte dies am ­Lego-Baustein, den jedes Kind leichter und höher stapeln könne als eine Handvoll unregelmässig geformter Flusskiesel.

Das Potenzial der Normierung sei gross, wie zahlreiche Beispiele aus der Menschheitsgeschichte belegen: Erst die Normierung der Spurweiten Ende des 19. Jahrhunderts brachte in den Vereinigten Staaten den Erfolg der Eisenbahn. Oder: der Frachtcontainer. Er revolutionierte Mitte des 20. Jahrhunderts den globalen Warenhandel. Die Norm ist Standard, das Chaos die Ausnahme. Das zeige ein Blick in die Natur. «Eine Zelle kann nur mit standardisierten Bauteilen funktionieren», so Dobelli.

«Die Normierung hat in letzter Zeit einen schlechten Ruf bekommen, von Überreglementierung ist die Rede. Normierung behindere Kreativität. Falsch. Normierung ist die Triebkraft der Kreativität.» Dobelli führt die Normierung der Musik­instrumente an. Erst die Festlegung der zwölf Töne zwischen einer Oktave im 17. Jahrhundert öffnete den Weg für komplexe Kompositionen und das Zusammenspiel in einem 200-köpfigen Orchester.

Normierung ermöglicht Zusammenspiel und schafft so die Grundlage für unendliche Kreativität und Vielfalt. Die Analogie zum Bauwesen – das Motto der Swissbau war die Zusammenarbeit – ist offensichtlich. Erst die Normierung des Bauwesens erlaubt die Verständigung unter den am Bau Beteiligten. «Gruppen, die Standards anwenden, überrunden diejenigen, die das nicht tun.»

Zur Zukunft des alpinen Raums

Knapp die Hälfte der Schweizer ­Landesfläche ist alpin. Im Rahmen der letzten Veranstaltung ging es daher um neue Perspektiven für das Schweizer Berggebiet. Aus den schwach besiedelten Seitentälern der Alpen wandern die Menschen ab. In den Haupttälern haben sich kleine Dörfer zu veritablen Ballungs­zent­ren entwickelt. Die vom SIA ini­tiierte Podiumsrunde zeigt: Den ty­pi­­schen Alpenraum gibt es nicht. Und somit auch keine Patentrezept für dessen Entwicklung. Klar ist: Es braucht den politischen Willen, Räume über Gemeindegrenzen hinweg zu betrachten, und die Köpfe, die die Transformation des Alpenraums aktiv gestalten.

Naturbedingungen und kulturelle Akte

Architekt und SIA-Ehrenmitglied Mario Botta weiss, was es heisst, in den Bergen zu bauen. Poetisch sind die Werke, die er in die oft archaische Landschaft setzt. Es brauche Kraft, um in den Alpen zu bauen. «Der erste Akt in der Architektur ist nicht, Stein auf Stein zu setzen, sondern den Stein auf das Terrain.

Eine Bedingung der Natur in eine Bedingung der Kultur zu verwandeln», erklärte er leidenschaftlich. Natürlich sei es einfacher, im Tal zu bauen, aber «in den Bergen sind die Naturgewalten und das Licht viel präsenter und verlangen vom Architekten, mit ihnen in intensiven Dialog zu treten». Der Architekt müsse hier stets sein Bestes geben.

Regionale Potenziale ­erkennen und entwickeln

Daniel Müller-Jentsch setzt sich bei Avenir Suisse mit wirtschaftlichen Perspektiven für den alpinen Raum auseinander. Er hat sich auf die Suche nach guten Beispielen gemacht, die sich auf andere Regionen übertragen lassen: «Vorarlberg beispielsweise ist zur Pilgerstätte für den innovativen Holzbau geworden.» Es gelte nachhaltige Wertschöpfung zu erzielen, indem man vorhandene Potenziale erkennt und weiterentwickelt. Eine Option: die Installation von Bildungsinstitutionen. Sie geben den Zentren urbane Qualitäten und setzen städtebauliche Akzente. Starke regionale Zentren verhindern die Abwanderung ins Mittelland und stabilisieren so die Seitentäler.

«Heute haben viele noch ein veraltetes Bild der Bergregionen im Kopf», konstatierte Damian Jerjen, Kantonsplaner im Wallis. So leben beispielsweise in seinem Kanton drei Viertel der Bevölkerung in urbanen Räumen. Dort in den Haupttälern finde auch 80 % der wirtschaftlichen Wertschöpfung statt. Visp sei heute ein solches Zentrum, wo auch verdichtet und in die Höhe gebaut wird. Was die Abwanderung betrifft, gelte es zu beachten: Die Leute wandern heute nicht aus dem Kanton ab, sondern vielmehr von den Seitentälern in die neuen Alpenstädte.

Grossräumig denken, ­Talstädte bauen

Die Podiumsteilnehmer waren sich einig: Die einzigartigen Bergregionen prägen die Identität der Schweiz. Für die Zukunft brauche es vorderhand Ideen und den Willen, über Gemeindegrenzen hinaus zu denken. Nicht jedes Dorf müsse alles anbieten, aber jedes Dorf müsse seinen Beitrag an das Angebot einer Region leisten. Neue Vermietungsmodelle für Zweitwohnungen oder das Erstellen von Erstwohnsitzen für digitale Nomaden seien Initiativen, die derzeit diskutiert und ausprobiert werden. Die Zukunft der alpinen Schweiz – da sind sich alle einig – hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, attraktive Talstädte zu entwickeln.

Am Ende zählt der Mensch

«Von Baukunst zu Kleinkunst» hiess es, als Manuel Stahlberger, Ostschweizer Mundartpoet, Musiker, Sänger und Comiczeichner, den Tag ausklingen liess. Der Träger des «Prix Walo» und des «Salzburger Stiers» zeigte Ausschnitte aus seinem aktuellen Programm «Neues aus dem Kopf». Stahlberger thematisiert die grossen Fragen und die kleinen Katastrophen des Lebens. Gekonnt changierte er zwischen grotesker Komik und Melancholie, wenn er das Leben in der Agglomeration («Rägebogesiedlig») oder die Landflucht («Leaving Eggersriet») in seinen Liedern aufs Korn nahm.

Mit scharfem Blick seziert er die Träume, Hoffnungen und das Scheitern des Normalbürgers, dem seine ganze Empathie gilt. Wer wollte,  konnte eine schöne Erkenntnis nach Hause nehmen: Am Ende des Tags ist es der Mensch, der zählt. Er gehört ins Zentrum all unseres Handelns – immer.

Alle Videos der Veranstaltungen am SIA-Thementag auf der Swissbau: www.sia.ch/swissbau_video


Ökonom Klaus W. Wellershoff: «Abschottung gefährdet den Wirtschaftsstandort Schweiz»

SIA: Herr Wellershoff, die Weltwirtschaft wächst langsamer, die Schweiz hält ihr Trendwachstum aber konstant. Das klingt positiv.
Klaus W. Wellershoff: Ich glaube, das ist positiv. Wir sind in der Schweiz immer noch an einem attraktiven Standort. Unsere Politik scheint allerdings zurzeit alles dafür zu tun, dass das nicht so bleibt. Aber ich bin optimistisch, dass die Stimmbürger die laufenden Abschottungsinitiativen bachab schicken werden.

SIA: Vermutlich die weniger gute Nachricht: Die Zeiten negativer Zinsen, die der Bauwirtschaft zugute kommen, gehen langsam zu Ende?
Klaus W. Wellershoff: Die ökonomische ­Theorie, unsere langjährige Er­fahrung und Kenntnis der Wirtschaftsgeschichte erlauben uns, solche Ableitungen zu machen: Wenn die Geldmengen sehr stark gewachsen sind, gibt es über einen längeren Zeitraum höhere Inflationsraten. Des­wegen werden die Zinsen nachhaltig und sicherlich ein gutes Stück steigen.


David Bresch: «Eigenverantwortung und Voraussicht sind zentral»

SIA: Herr Bresch, wie ist die «Resi­lienz» für die Planerbranche zu verstehen?
David Bresch: Es gibt für mich drei Komponenten: erstens die Fähigkeit, modulare Strukturen zu schaffen – sodass ein Teil wegbrechen kann, ohne das Ganze zu gefährden. Zweitens: der Dialog mit dem Nachbarn, um sich im Ereignisfall gut vernetzt bewegen zu können. Drittens die transformative Komponente: Ich nutze ein Ereignis, um Dinge danach anders zu tun, also nicht nur den Ausgangszustand wieder­her­zustellen, sondern nach dem Schadenfall ein Gebäude zu ertüchtigen. Voraussicht, Lust auf Veränderungen und Eigenverantwortung sind vonnöten.

SIA: Sie sagten, der Dialog sei zentral: Mit welchen Akteuren ist für Planer der Dialog an­zusetzen?
David Bresch: Der Dialog kann entlang der Wertschöpfungskette aufgeschlüsselt werden: mit dem Auftraggeber, dann mit Fachleuten für Naturgefahren, Brandschutz etc. – in der frühen Phase kann man noch gestalten.

David Bresch führt das Institut für Umweltentscheidungen der ETH.

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