Kein lä­sti­ges Übel, son­dern wi­ch­tig

Juristischer Zankapfel Arbeitszeitkontrolle

Streitigkeiten wegen Überstunden bzw. Überzeit bilden häufig Anlass zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitnehmern und ­Arbeitgebern. Dabei spielt die Frage der Arbeitszeitkontrolle oft eine nicht unwichtige Rolle.

Data di pubblicazione
09-11-2017
Revision
09-11-2017

In der Praxis stellt es sich hin und wieder heraus: Anscheinend ist nicht allen ­Arbeitgebern bekannt, dass das Arbeitsgesetz – bzw. die Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz – den Arbeitgebern vorschreibt, Verzeichnisse und Unterlagen zu erstellen, die die von den Arbeitnehmern geleistete täg­liche und wöchentliche Arbeitszeit, die geleisteten Überstunden, Lage und Dauer von Pausen etc. dokumentieren und festhalten. Der Art. 73 der Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV1) lautet wie folgt:

1: Die Verzeichnisse und Unterlagen haben alle Angaben zu enthalten, die für den Vollzug des Ge­setzes notwendig sind, nament­lich müssen daraus ersichtlich sein:
a. die Personalien der Arbeitnehmer und der Arbeitnehmerinnen;
b. die Art der Beschäftigung sowie Ein- und Austritte der Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerinnen;
c. die geleistete (tägliche und wöchentliche) Arbeitszeit inkl. Ausgleichs- und Überzeitarbeit sowie ihre Lage;
d. die gewährten wöchentlichen Ruhe- oder Ersatzruhetage, soweit diese nicht regelmässig auf einen Sonntag fallen;
e. die Lage und Dauer der Pausen von einer halben Stunde und mehr;
f. die betrieblichen Abweichungen von der Tag-, Nacht- und Sonntagsdefinition nach den Artikeln 10, 16 und 18 des Gesetzes;
g. Regelungen über den Zeitzuschlag nach Artikel 17b Absätze 2 und 3 des Gesetzes;
h. die nach Gesetz geschuldeten Lohn- und/oder Zeitzuschläge;
i. die Ergebnisse der medizinischen Abklärungen hinsichtlich der Eignung oder Nichteignung bei Nachtarbeit oder Mutterschaft;
j. das Vorliegen von Ausschlussgründen oder die Ergebnisse der Risikobeurteilung bei Mutterschaft und gestützt darauf getroffene betriebliche Massnahmen.

2: Verzeichnisse und andere Unterlagen sind nach Ablauf ihrer Gültigkeit für mindestens fünf Jahre aufzubewahren.

3: Die Vollzugs- und Aufsichtsorgane können Einsicht nehmen in weitere Verzeichnisse und Unterlagen, soweit das für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist. Sofern es für die Ermittlung notwendig ist, kann die zuständige Behörde diese Unterlagen und Verzeichnisse mitnehmen. Nach Abschluss der Ermittlungen sind diese dem Arbeitgeber zurückzugeben.

Eine gesetzliche Regelung, die oft nicht eingehalten wird

Es war und ist ein offenes Geheimnis, dass diesen Bestimmungen in weiten Teilen nicht nachgelebt wird. Sei es, dass die entsprechende Regelung gar nicht bekannt ist, sei es, dass sie bewusst missachtet wird. In weiten Teilen der Wirtschaft, insbesondere in Dienstleistungsbetrieben, regte sich Widerstand gegen die Verpflichtung zur Arbeitszeitkontrolle. Die Kritik daran: Häufig verrichten Mitarbeiter von Dienstleistungsbetrieben ihre Arbeit auswärts bei Kunden, sodass eine effektive Kontrolle der geleisteten Arbeitszeiten, der Pausen etc. als nicht praktikabel beanstandet wurde. Darum führten vor allem Banken und Treuhandfirmen die sogenannte Vertrauensarbeitszeit ein. Dabei wird das Zeitmanagement den Arbeitnehmern überlassen. Die Zeiterfassung und die Kontrolle der Arbeitszeiten fallen weg. Arbeitsziele stehen im Vordergrund und werden in Zielvereinbarungen festgehalten. Auf ein Arbeitszeitkonto wird verzichtet, Arbeitsstunden werden keine angespart. Wann und mit welchem zeitlichen Aufwand die Arbeit erledigt wird, liegt in der Verantwortung der Mitarbeitenden.

Eine gelockerte Regelung, die doch nicht entlastet

Eine derartige Regelung mag sinnvoll sein, gesetzeskonform ist sie dennoch nicht, da sie Art. 73 ArGV1 klar widerspricht. Ausgenommen vom Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes und der dazugehörigen Verordnungen sind nur Topmanager. Für alle übrigen Arbeitnehmer ist das Gesetz verbindlich. Die Bestimmungen zur Höchstarbeitszeit müssen eingehalten werden, und es besteht die Pflicht zur Arbeitszeitkontrolle. Immerhin wurde den Bedürfnissen der Wirtschaft mit der Revision der Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung und der Aufnahme der Art. 73a und 73b ArGV1 (per 1.1.2016) ein kleines Stück entgegengekommen. Art. 73a und 73b ArGV1 lauten wie folgt:

Art. 73a
Verzicht auf Arbeitszeiterfassung
Die Sozialpartner können in einem Gesamtarbeitsvertrag vorsehen, dass in den Verzeichnissen und Unterlagen die Angaben nach Artikel 73 Absatz 1 Buchstaben c, e und h nicht enthalten sein müssen, sofern die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen:

  • bei ihrer Arbeit über eine grosse Autonomie verfügen und ihre Arbeitszeiten mehrheitlich selber festsetzen können;
  • über ein Bruttojahreseinkommen, einschliesslich Boni, von mehr als 120 000 Franken verfügen;
  • schriftlich individuell vereinbart haben, dass sie auf die Arbeitszeiterfassung verzichten.

Der Gesamtarbeitsvertrag muss von der Mehrheit der repräsen­tativen Arbeitnehmerorganisa­tionen, insbesondere der Branche oder des Betriebs, unterzeichnet sein.

Art. 73b
Vereinfachte Arbeitszeiterfassung
Die Arbeitnehmervertretung einer Branche oder eines Betriebs oder, wo eine solche nicht besteht, die Mehrheit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eines Betriebs kann mit dem Arbeitgeber vereinbaren, dass für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die ihre Arbeitszeiten zu einem namhaften Teil selber festsetzen können, einzig die geleistete tägliche Arbeitszeit erfasst werden muss.
Bei Nacht- und Sonntagsarbeit sind zusätzlich Anfang und Ende dieser Arbeitseinsätze zu dokumentieren.
Die Vereinbarung muss die Arbeitnehmerkategorien festlegen, für welche die vereinfachte Arbeitszeiterfassung gilt; besondere Bestimmungen zur Einhaltung der Arbeitszeit- und Ruhezeitbestimmungen enthalten und ein paritätisches Verfahren festlegen, mit dem die Einhaltung der Vereinbarung überprüft wird.

Es darf bezweifelt werden, dass die vorstehenden Änderungen bzw. Ergänzungen eine spürbare Entlastung bedeuten. Die Voraussetzungen von Art. 73a ArGV1 müssen nämlich kumulativ erfüllt sein. Unübersehbar ist auch, dass sowohl Art. 73a als auch Art. 73b mit der Formulierung «grosse Autonomie» (Art. 73a) bzw. der Voraussetzung der «namhaften Arbeitszeitautonomie» (Art. 73b) unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten, die zu Auslegungsschwierigkeiten und – damit verbunden – zu Rechtsunsicherheit führen können.

Warum es sinnvoll ist, die Regelung doch einzuhalten

In der Praxis ist deshalb die Frage von Bedeutung, welche Folgen eine unterlassene Arbeitszeitkontrolle im Sinn von Art. 73 ArGV1 hat. Verschiedene Gesamtarbeitsverträge sehen in diesem Fall eine Umkehr der Beweislast bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Überstunden vor. Das bedeutet, dass ein Arbeitnehmer Überstundenansprüche lediglich zu behaupten hat, während dem Arbeitgeber der fast unmöglich zu erbringende Beweis auferlegt wird, diese Behauptung des Arbeitnehmers zu widerlegen. Dies gilt jedoch  nur im Geltungsbereich von Gesamtarbeitsverträgen. Ausserhalb dieses Bereichs hat eine unterlassene Arbeitszeitkontrolle laut Bundesgericht zwar keine Umkehr der Beweislast zur Folge; allerdings kann die Unterlassung der Arbeitszeitkontrolle bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, was bei Grenzfällen den Ausschlag zugunsten des Arbeitnehmers geben kann, der Überstunden geltend machte. Es empfiehlt sich deshalb, den Vorschriften über die Arbeitszeitkontrolle die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
 

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