Bau­ju­we­len im Gol­dre­gen

Arc Awards 2016

Zum fünften Mal wurden die Arc Awards für Schweizer Bauten verliehen. Die Werkschau «architektur 0.16» mit aktuellen Projekten und ­Gedanken­experimenten zeigte das breite Spektrum des hiesigen Schaffens.

Data di pubblicazione
17-11-2016
Revision
23-11-2016

Das Interesse der Architekturschaffenden an einer Nominierung war dieses Jahr gross: Insgesamt gingen über 300 Beiträge ein, verteilt auf sieben Kategorien. In der am stärksten umkämpften Sparte des Wohnungsbaus rangen 129 Projekte um eine Anerkennung. Aus den Nominierten wurde hier die Überbauung Brüggli­äcker in Zürich mit Gold gewürdigt. Die städtebau­liche Setzung verknüpft auf kluge Weise die angrenzenden Quartiere und betont die kleinteilige Struktur des ge­samten Gebiets. Der eigentlich vo­luminöse Baukörper öffnet sich zu intimen Höfen und Gärten, sodass seine Figur je nach Standpunkt immer neu und nie als ganzer Körper wahrnehmbar ist. Eine Schicht aus vorgestellten Loggien umgibt die Wohnungen. Insgesamt entsteht eine wohnliche Si­­tuation, die den Aussenraum mit einfasst. 

Eigenwilliges Hofgebäude

Über den silbernen Arc Award für Wohnbauten freuen können sich Miller & Maranta Architekten für die Basler Wohnanlage Sempacher­strasse (vgl. «Dichte ohne Stress», TEC21 42/2016). Das Bauvorhaben ist durch die spannungsvolle Gegensätzlichkeit zweier Baukörper bemerkenswert. In die historische Blockrandbebauung wurde ein Wohnhaus aus Sichtbeton eingepasst, das die Höhenlinien der angrenzenden Häuser neu interpretiert und weiterführt. Im Innenhof hingegen wurde ein gänzlich fremdes Gebäude geschaffen.

Schwarze Holzfassaden umkleiden das hoch aufragende Volumen, das zu beiden Längsseiten durch Atrien gegliedert ist. Die Wohnungen liegen voneinan­der abgewandt und sind über einen innen liegenden Längsverteiler mit drei Erschlies­sungsbereichen zugänglich. Über die Höhe sind die Aussenbereiche jeweils horizontal versetzt angeordnet. Diese raffinierten Grundrisse schaffen in einer engen Hofsituation private Bereiche und Sichtschutz zu den ­direkten Nachbarn. 

Gold verdienten sich auch Reuter Raeber Architekten, Basel,  in der Kategorie «Erster Bau». Das «Haus in Riehen» steht als zweigeschossiger Kubus auf einem abfallen­den Gelände. Das Erdgeschoss aus Sichtbeton sitzt wie ein Sockel unter dem schwarzen, metallbekleideten Obergeschoss. Sowohl nach aussen zu den umgebenden Stützmauern wie auch nach innen zu einem skulpturalen Kamin entstehen weite räumliche Beziehungen. Der Wohnbereich ist dreidimensional aufgespannt und fliesst, der Topografie des Gartens folgend, um das zentrale Element des Feuerplatzes herum.

In den Schlafzimmern sind die Wände mit raumhohen Holztafeln versehen. Mit zur Landschaft gerichteten Ausblicken verströmen die Räume eine Grosszügigkeit, die den ganzen Bau prägt. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Konstruktion ablesen lässt und die schlichten Materialien eingesetzt sind, bildet die Basis für ein stimmiges, wenn auch nicht besonders überraschendes Raumgefüge. 

«Bauen mit dem Ohr»

Mit dem goldenen Arc Award in der Kategorie «Öffentliche Bauten, Industrie und Gewerbe» wird der gefeierte Jazz Campus in Basel von Buol & Zünd, Basel, geehrt (vgl. TEC21 1–2/2016). Für die Architekten war die Zusammenarbeit mit einem Fachingenieur, der ein vielfältiges und unkonventionelles Repertoire an akustisch wirksamen Form- und Materialideen bereithält, ein besonderer Gewinn. Sie nennen das «Arbeiten mit dem Ohr» als beglückende Erfahrung.

Ganz im Gegensatz zu diesem innerstädtischen Projekt steht der zweitplatzierte Entwurf. Der Neubau eines Lagers und Ateliers für eine Künstlerin in Stampa lebt vom Kontrast zur Landschaft. Der Körper wirkt, als hätte jemand den langen Betonriegel nur kurz abgestellt. Die Verwendung der einfachen Mate­rialien ist unprätentiös. Die grob gesetzte Schalung des Sichtbetons innen wie aussen ist aber mit Bedacht gewählt, ebenso der Abstand zum Boden. Kleine künstlerische Interventionen sind als Hinweise auf die bewusst direkte Gestaltung zu lesen. Alle Arbeiten wurden mithilfe ortsansässiger Handwerker umgesetzt – eine Gebrauchsarchitektur als ästhetische Aussage. 

BIM ist angekommen

In gleich zwei neuen Kategorien wurden Planungen geehrt, die unter Einsatz von Building Information Modelling (BIM) entstanden sind. Die spezialisierte Jury verlieh einen goldenen Preis für «BIM-Mensch /Kollaboration» an die 3-Plan Haustechnik, Winterthur, die den Neubau ihres eigenen Firmensitzes als ­Experimentierfeld und nun auch als Aushängeschild benutzt. 

Ein weiterer Preis in Gold geht an Philipp Wieting, Werknetz Architektur, Zürich. Die Form der sechs Projekte umfassenden Bewerbung verdeutlicht, dass es hier um eine Firmenkultur geht. Seit rund zehn Jahren, noch bevor es einen Namen dafür gab, befassen sich Werknetz Architekten mit dieser Methodik, die sie fortlaufend weiterentwickeln. 

In der Kategorie «BIM-Innovation / Performance» wurden Itten + Brechbühl Architekten, Basel, mit einem goldenen Award für SwissFEL geehrt. Der Einbau eines 760 m langen Röntgenlasers machte zahlreiche Durchdringungen des Baukörpers nötig. Erst die Anwendung von BIM erlaubte es, die Entwicklung der Grossforschungsanlage des Paul-Scherrer-Instituts in Würenlingen, mit angemessenem Aufwand zu gestalten. 

Bilder für neue Archetypen

Nach Betrachtung dieser funktionalen und zielgerichteten Architektur überraschten die Studentenarbeiten der Kategorie «Next Generation» mit Poesie. Die entsprechenden Darstellungen sind technisch brillante Werke, die an Zeichnungen der russischen Avantgarde erinnern.

Gold erhielt Giancarlo Ce­riani von der ZHAW, Zürich, für seinen Entwurf eines Sportzentrums, das in ein bestehendes Industrie­areal eingefügt wird. Das konstruktive Raumgefüge aus Sichtbeton schafft gute Wegführungen und Blickbeziehungen zwischen den einzelnen Bereichen. Die Gebäudetechnik bildet eine eigene Schicht und unterstreicht den industriellen Charme des Orts. Besonderes Augenmerk hat der Verfasser auf die Tageslichtführung bis in die Tiefe des Gebäudes und zu den verspringenden Ebenen gelegt. 

Begrabene Häuser

Auch der Sonderpreis der Jury in Gold hat eine starke künstlerische Komponente. Der Urheber Martino Pedrozzi aus Mendrisio ist kein Unbekannter. Sein Engagement in den Tessiner Alpen wurde schon mehrfach gewürdigt, denn es ist in verschiedener Hinsicht herausragend. Seit dem Jahr 2000 beschäftigt er sich mit verlassenen Alpen. Die Ställe sind manchmal nur noch als Stein­haufen erkennbar. Pedrozzi hat es sich in den Dörfern Sceru und ­Giumello zur Aufgabe gemacht, die verschütteten Grundmauern verlassener Häuser freizulegen und deren Innenraum mit den Steinen zu füllen, die früher Wände und Dach bildeten. So entstehen an den Orten nach und nach steinerne Rechtecke, die an Gräber erinnern. Die öffentliche Aufmerksamkeit für das greifbare Ende einer Lebensform wird durch diese Mahnmale eingefordert. Mit den Rekompositionen in Sceru und Giumello entsteht eine neue Landschaft, die Besucher anzieht und im besten Fall die Gegend wiederbelebt. 

Lebendige Werkschau

Neben den preisgekrönten Arbeiten gab es einen Ausstellungsbereich, in dem eine grosse Auswahl der eingereichten Arbeiten präsentiert wurde. Als Ausstellungsmodul diente, wie schon in den Jahren zuvor, ein langes Styroporpodest, das verschiedentlich interpretiert werden kann. In Sachen Präsentation sind allerdings nur vereinzelt Entwürfe zu sehen, deren Charakter sich in der Darstellung spiegeln würde. 

Eine rühmliche Ausnahme bilden hier die jungen Architekten Biolley Pollini aus Lausanne, die sich auf ein abstraktes Thema beziehen. Am Beispiel eines kleineren, austauschbaren Umbaus gehen sie der Frage nach dem Umgang mit sogenanntem Müll nach, der im Verlauf einer Baustelle anfällt. Es ist dokumentiert, auf welche Art sie einzelne Bauteile wie z. B. eine Holzwendel­treppe, Parkettböden, Öfen und Türen, aber auch Ausstattungsteile wie Spiegel und Küchengeräte betrachten und auf Wiederverwendung prüfen. Sind die Dinge für den Umbau nicht nutzbar, werden sie verkauft. Der nicht verwertete Rest dient nun gebündelt als Ausstellungsmodul. Hier wird eine Geschichte erzählt, die übertragbar und gegenwärtig ist, illustriert durch eine unkonventionelle Präsentation. 

Aus einem Beitrag, der eigentlich als «Kunst am Bau» beauftragt wurde, ist das Spiegelhaus in Luzern entstanden. Im Innenhof der Siedlung «Himmelreich» von 1926 haben die Gestalter von Steiner Sarnen Architekten ein Haus von 32 m² als zusätzliches Zimmer platziert, das bei Tag durch vielfältige Spiegelungen mit den umliegenden ­Fassaden verschmilzt. Nachts dringt das Licht gerade nur so wenig durch das Spionageglas heraus, dass der Raum als solcher erfahrbar bleibt und Schutz bietet. Der Körper, der durch seine ephemere Oberfläche wie das luftige Zitat eines Siedlungshäuschens erscheint, wertet den Aussenraum auf und stärkt zugleich das gemeinschaftliche Leben im Quartier. 

Ein kleines Haus ganz anderer Natur ist in Menusio entstanden. Der Raum dient als Ergänzung des Museums MeCrì, das Studio Inches, Locarno, vor einigen Jahren in einem ehemaligen Wohnhaus einpasste. Bemerkenswert ist hier der stille Umgang mit den Materialien, die sich eng auf die Umgebung beziehen. So bleiben bestehende, traditionell geschichtete Steinmauern unberührt. Die Aussenmauer des Pavillons verläuft leicht nach innen gerückt parallel dazu. Das Satteldach ist mit ortsüblichem Granit belegt, der sich im Innenraum als Bodenbelag wiederfindet. Das Grau in Grau fokussiert die Aufmerksamkeit der Betrachter auf die Oberflächen und die ausbalancierten Geometrien. Zusammen mit dem ersten Bau­ab­schnitt bildet der Körper ein Ensemble um einen kleinen Hof und schafft hier einen öffentlichen Bereich inmitten des Dorfs.

Mehr Zeit zum Denken

Ein Blick auf derartige Projekte machte die Werkschau zu einer Entdeckungsreise und vermittelte ein Bild davon, aus welchem Humus die preisgekrönten Arbeiten hervorgegangen sind. Die schiere Masse erlaubte es nicht, tiefer in die Materie einzudringen – bedauerlich.

Der Arc Award findet zukünftig in zweijährlichem Rhythmus statt. Das grössere Zeitfenster ist als eine Möglichkeit zu betrachten, die Aufgabenstellung zu überdenken.

Baujuwelen im Goldregen
 

Preisträger
 

Öffentliche Bauten, Industrie und Gewerbe

Gold: Jazz Campus, Basel; Buol & Zünd, Basel
Silber: Magazzino und Atelier Miriam Cahn, Stampa; Ruinelli Associati Architetti, Soglio
 

Wohnbauten

Gold: Wohnüberbauung Brüggli­äcker, Zürich; BS + EMI Architektenpartner, Zürich
Silber: Neubau Wohnungen Sempacherstrasse, Basel; Miller & Maranta, Basel
 

Der erste Bau

Gold: Wohnhaus in Riehen; Reuter Raeber, Basel
 

Sonderpreis der Jury

Gold: Rekompositionen in Sceru und Giumello; Martino Pedrozzi, Mendrisio
 

Next Generation

Gold: Sportzentrum, Zürich;  Giancarlo Ceriani, Zürich
 

BIM Kollaboration / Mensch

Gold (ex aequo): Durch die BIM-Brille; 3-Plan Haustechnik, Winterthur
Gold (ex aequo): Vom lonely little BIM zum social big BIM; Philipp Wieting, Werknetz Architektur, Zürich
 

BIM Innovation / Performance

Gold: SwissFEL, Würenlingen; Itten + Brechbühl, Basel

 

Jury ARC-Award
 

Sacha Menz, Architekt, Zürich (Vorsitz)
Marie-Claude Bétrix, Architektin, Zürich
Daniele Marques, Architekt, Luzern
Ludovica Molo, Architektin, Lugano
 

Jury Arc-Award Next Generation
 

Stefan Cadosch, Architekt, Zürich (Vorsitz)
Ludger Hovestadt, Architekt und Informatiker, Zürich
Stephan Mäder, Architekt, Zürich
Christian Zimmermann, Architekt, Zürich, Aarau
 

Jury Arc-Award BIM
 

Birgitta Schock, Architektin, Zürich (Vorsitz)
Philipp Dohmen, Architekt, Zürich
Martin Fischer, Bauingenieur, Stanford
Fabio Gramazio, Architekt, Zürich

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