Hip und his­to­risch

Städtebau - Geschichte

Für die Arbeiter der Gasindustrie entstehen an der tansanischen Küste neue Siedlungen. Auf Inseln in der Nähe liegen historische Städte, die einst nach demselben Muster errichtet wurden: Infrastruktur für Rohstoffe.

Publikationsdatum
18-09-2014
Revision
18-10-2015

Ostafrikas Küste ist von mehreren Inseln gesäumt, auf denen sich historische Städte befinden. Die bekanntesten unter ihnen sind das kenianische Lamu und Sansibars Stone Town aus dem 18. Jahrhundert. Im Süden Tansanias liegen jedoch noch weitaus ältere, heute verlassene Hafen- und Handelsstädte. Kilwa Kisiwani und Songo Mnara auf den gleichnamigen Inseln sind zwei davon.

Vermutlich von den Persern im 9. Jahrhundert gegründet und 400 Jahre später auf ihrem Höhepunkt angelangt, zeugen sie von der Islamisierung des Küstenraums und der in symbiotischer Weise daraus entstandenen Suaheli-Hochkultur. Ihre Erbauer und deren Nachfolger, die Oman-Araber, kontrollierten von diesen strategisch günstig gelegenen Inseln aus während Jahrhunderten den Handel bis weit ins Innere des afrikanischen Kontinents und bestimmten die Machtverhältnisse über den Ozean bis zu den Malediven. Die Inselstädte waren wichtige Zwischenetappen für Handelsgüter und Sklaven, die zur Arabischen Halbinsel und weiter nach Indien und China gebracht wurden. 

Während das besser erschlossene Kilwa Kisiwani hin und wieder von Touristen besucht wird, befindet sich das kleinere Songo Mnara noch im Dornröschenschlaf. Nach einer zweistündigen Bootsfahrt zur Insel erreichen wir die Ruinen auf einem schmalen Pfad im knöcheltiefen warmen Wasser durch einen Mangrovenwald. Ein paar Stunden später wird die Flut das Terrain unbegehbar machen.

Auf einer Lichtung, zwischen Baobab-Bäumen und Grasbüscheln, liegen städtisch dicht die Korallenstein-Grundmauern von 40 Wohnhäusern. Wege und Plätze verbinden einen Palast mit fünf Moscheen und peripher gelegenen Friedhöfen mit dem Wohnquartier. Bei einigen Ruinen ist ansatzweise das zweite Stockwerk erhalten. In einem Gewölbe sind chinesische Porzellanschalen eingelassen, in denen sich Eidechsen verstecken.

Dass die Häuser von Baumeistern verschiedener Kulturen erstellt wurden, zeigt sich beispielsweise an den Überzügen der Fenster und Durchgänge: Persische Spitzbogen reihen sich mancherorts direkt an die schlankeren und runder abschliessenden oman-arabischen Durchgänge, dazwischen die mächtigen Holzbalkenüberzüge der Suaheli. 

Für Gold und Elfenbein interessiert sich in der Region kaum mehr einer – andere Rohstoffe sind dagegen heiss begehrt: Aktuell wird der Süden Tansanias von einem Gasrausch überrollt. Grosse Quellen werden on- und offshore erschlossen. Auch unter Songo Mnara und Kilwa Kisiwani könnten sich Gasvorräte befinden. Etwas weiter im Landesinnern wird eine 532km lange Gaspipeline an der Küstenstrasse von Mtwara nach Dar es Salaam verlegt. Die Chinesische Export-Import Bank gewährt den Kredit von 1.3 Mrd. Dollar dafür – nach dem alten Muster Infrastruktur gegen Rohstoffe, was oft mit Entwicklung gleichgesetzt wird. 

Entlang der Pipeline verdoppelt sich die Bevölkerung schätzungsweise innert Jahresfrist – Arbeiter aus Tansania und China sind darunter und Leute, die sich aufgrund des Wirtschaftsaufschwungs ein Einkommen erhoffen. Parallel zur Leitung wachsen die Siedlungen: Afrikanisch uniform stehen die Häuser in Reih und Glied, ein Strassendorf folgt dem anderen. Bei einem Stopp am Strassenrand klingt uns aus einem von dornigen Sträuchern umgebenen Gasthaus hipper Bongo-Beat entgegen. Hinter der Strassenfront befinden sich erstaunlich fantasielos aneinandergereihte einstöckige Wohnhäuser aus Zementsteinen, Wellblech und bunten Brettern. 

Diese Siedlungen haben nichts gemeinsam mit den jahrhundertealten Städten auf den Inseln, die es wohl noch geben wird, wenn von den heutigen Bauten, nachdem die Rohstoffquellen versiegt sind, nur Schutt übrig ist. Bis dahin aber werden sich die Zugezogenen einen Zeitvertreib fürs Wochenende oder einen Nebenerwerb im Tourismus suchen und die Inseln als Ausflugsziele entdecken.

Während sich an der Motivation fremder Organisationen und Mächte zum Ressourcenabbau in afrikanischen Ländern nicht viel ändert, scheinen die Städte und Siedlungen, die in diesem Zusammenhang entstehen, im Lauf der Jahrhunderte wesentlich an Qualität eingebüsst zu haben. 

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