«Der Zo­nen­plan hat aus­ge­dient»

Weg von monofunktionalen Strukturen und Top-down-Planungen: Die Zukunft gehört flexiblen Gebäuden, dichten Städten mit vielfältigen Nutzungen und partizipativen Prozessen, postuliert das ETH Wohnforum. Zwei Tagungen gehen dem Thema auf den Grund.

Date de publication
26-02-2015
Revision
06-10-2015

ETH Wohnforum – ETH CASE veranstaltet 2015 zwei grosse Tagungen. Das diesjährige ETH Forum Wohnungsbau findet am 26. März im Kongresshaus Zürich zum Thema «Dichte – Die Stadt als Lebensraum» statt. Die dreitägige Konferenz «The Future of Open Building» an der ETH Zürich untersucht vom 9. bis 11. September, wie unterschiedliche Akteure weltweit ihre gebaute Umwelt beeinflussen – und was sie voneinander lernen könnten. TEC21 wollte wissen, was das Fachpublikum an den beiden Tagungen erwartet.

Am ETH Forum Wohnungsbau geht es um städtische Dichte – ein Thema, das schon 2014 im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel zur Sprache gekommen ist. Was gibt es heuer Neues 
Dietmar Eberle: Unser Wissen über die städtische Dichte beruht auf quantitativen Daten, die im 20. Jahrhundert erarbeitet wurden; das qualitative Wissen fehlt. Wie hängt zum Beispiel die bauliche Dichte mit dem Lebensstil der Menschen zusammen? Die Frage ist wichtig, weil Prozesse im Gang sind, die sich auf die Dichte auswirken werden: demografische, soziale und ökonomische Veränderungen, aber auch ein Wandel unseres Mobilitätsverhaltens.

Worin besteht der Zusammenhang zwischen baulicher Dichte und der Vielfalt an Lebensstilen 
Eberle: Eine unserer Erkenntnisse ist, dass die bauliche Dichte sowohl die sozialen als auch die atmosphärischen Eigenschaften der Räume determiniert. Bauliche Dichte generiert jene Vielfalt von Lebensstilen, die wir heute anstreben, im Gegensatz zu den eher monofunktionalen Strukturen der 1960er- bis 1990er-Jahre. Wir untersuchen, welche Dichten mit welchen Lebensstilen und Wertvorstellungen assoziiert sind.

Geht es darum, Dichten zu finden, in denen unterschiedliche Lebensstile koexistieren können 
Eberle: Natürlich. Wir haben herausgefunden, dass alle Versuche, durch Planung eine Durchmischung herzustellen, sofort scheitern, wenn die Dichte nicht stimmt. Das hat uns erstaunt und auch gefreut: Es war uner­wartet, dass der Zusammenhang so eklatant ist. Eine Durchmischung entsteht erst ab ­bestimmten, hohen Dichten.

Wie hoch muss die Dichte sein 
Eberle: Die Ausnützungsziffer sollte über 2.5 sein.

«Eine Nutzungsdurchmischung entsteht erst ab bestimmten, hohen Dichten – mit Ausnützungsziffern über 2.5.»

Woran liegt das 
Eberle: Erstens bieten hohe Dichten die Chance, überschaubare und sichere öffentliche Räume zu definieren. Zweitens entstehen innerhalb der einzelnen Gebäude zwangsläufig Räume mit ungleichen Qualitäten, die dann auch unterschiedlich bespielt werden können – und sollen. Noch vor wenigen Jahren haben sich die Architekten bemüht, Gebäude zu entwerfen, in denen die Räume vom Erdgeschoss bis zum sechsten Obergeschoss die gleiche Qualität aufweisen; aber das geht im Grunde genommen gar nicht. Im Gegensatz dazu ist es sinnvoll, diese unterschiedlichen Qualitäten auch unterschiedlich zu nutzen.

Sollen die Architekten ihre idealen Entwürfe vergessen und an der Realität arbeiten 
Eberle: Ein grosser Teil der Bevölkerung muss das ohnehin tun, weil er keine andere Wahl hat. Es gilt, ganz pragmatisch das Beste aus dem zu machen, was die Realität bietet. Vorfinden ist viel entscheidender als Wählen. Werden bestehende Unterschiede nicht ausgemerzt, sondern adaptiert, führt das zu lebendigeren und vielfältigeren Stadträumen, wie wir sie heute schätzen.

Was bedeutet das in der Praxis 
Eberle: Dass wir die Funktionentrennung radikal in­frage stellen müssen. Der Zonenplan, der bestimmten Orten bestimmte Funktionen zuweist, hat ausgedient. Vielleicht brauchen wir einmal Zonenpläne, die Atmosphären beschreiben; aber die Funktionentrennung der Moderne hat nichts mehr mit unserer heutigen Realität zu tun.

Lernen von der Realität also – und von den Menschen, die sie prägen. Ist das der Gedanke hinter «Open Building» 
Krishna Bharathi: Der Begriff «Open Building» wurde in den 1980er-Jahren von Age van Randen an der TU Delft geprägt, geht aber auf die Ideen des niederländischen Architekten und Theoretikers N. John Habraken zurück.1 Drei Prinzipien stehen dabei im Zentrum: erstens das Entwerfen für eine flexible Nutzung, die niemanden von vornherein ausschliesst, zweitens der Einbezug verschiedener Akteure, die den Entwurfs- und Bauprozess prägen, und drittens die Transformationsfähigkeit der gebauten Umwelt. Der Bogen reicht von Partizipationsmodellen bis hin zu konstruktiven Fragen.

Bis zu den baulichen Details im einzelnen Gebäude? Warum so stark ins Kleine gehen 
Eberle: Zum einen beeinflussen die kurzen Zyklen der Ökonomie laufend den Bedarf, und die Bauwirtschaft hinkt bei dessen Befriedigung weltweit hinter. Zum anderen wollen wir heute langlebige Gebäude – anders als etwa in den 1970er-Jahren, als wir die Lebensdauer und die ökonomische Abschreibzeit eines Gebäudes gleichgesetzt haben. Heute wissen wir, dass das weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll ist, also müssen wir Bauten erstellen, die sich wechselnden Bedürfnissen anpassen und lang genutzt werden können. 

In dieser Hinsicht gibt es weltweit sicher einige Unterschiede 
Eberle: Dieses Denken ist nicht überall auf der Welt gleich entwickelt. Am radikalsten ist es heute zweifellos in Japan, wo es per Gesetz keine tragenden Trennwände mehr geben darf und wo es überall doppelte Böden geben muss, damit das Gebäude sehr rasch für neue Nutzungen adaptierbar ist.

Gewisse Nutzungen mögen überall ähnlich sein, doch wie steht es mit Prinzipien wie Offenheit und Partizipation, die je nach Kultur ganz unterschiedlich interpretiert werden? An der «Open Building»-Konferenz werden Städte rund um den Globus verglichen. Klappt das wirklich 
Bharathi: Wir fokussieren vorerst stark auf regionale Themen, die im internationalen Kontext Gemeinsamkeiten ergeben könnten. Haben sich zum Beispiel besondere Strategien, um die verschiedenen Akteure einzubinden, schon an mehreren Orten bewährt? Kann man allgemeine Lehren daraus ziehen 

«Haben sich Strategien, um verschiedene Akteure einzubinden, schon an mehreren Orten bewährt »

Innerhalb Europas mag das gehen, aber wie funktioniert der Vergleich auf globaler Ebene, wenn die sozialen, ökonomischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen derart unterschiedlich sind 
Bharathi: Das stimmt, der Vergleich ist schwierig. Deshalb versuchen wir, in den präsentierten Case Studies von konkreten Gebäuden und städtebaulichen Projekten den jeweiligen Kontext klar zu beschreiben. Das erste Panel konzentriert sich auf die Schweiz, das zweite auf Entwicklungsländer, das dritte auf Ost­asien. Wir versuchen den Rahmen so zu legen, dass wir Vergleiche anstellen können, zum Beispiel wenn der Kontext bei zwei Städten zwar vergleichbar ist, die Ergebnisse aber unterschiedlich ausfallen – oder umgekehrt.

Gibt es ein Kriterium, das in allen Fällen angewendet wird 
Bharathi: Wichtig ist, dass wir uns immer auf die Praxis konzentrieren. Die gewählten Beispiele sind sehr konkret; davon ausgehend suchen wir eine breitere Diskussion. 

Anmerkung
1 Zu Leben und Werk von N. John Habraken vgl. auch «De Drager», 2013, Film von Sonja Lüthi und Marc Schwarz.

 

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