Parksicht und Lernlandschaft
Die Marzili-Schule in Bern von der Architektur-ARGE Hull Inoue Radlinsky und Wolfgang Rossbauer ist ein repräsentativer Holzbau. Die Architektur fügt sich zum stilvollen Ausdruck der Schweizer Bildungskultur.
Das Marzili-Quartier an der Aare – sein Name soll auf Einwanderer aus der Stadt Marseille zurückgehen – liegt im Süden der Stadt Bern. Neben kulturellen Orten wie der Dampfzentrale, Restaurants und Kleingewerbe liegen Reihen- und Einfamilienhäuser in dicht bepflanzten Vorgärten.
Nur ein paar Schritte weiter dem Fluss entlang folgt der Neubau der Volksschule Marzili. Die beiden Haupteingänge liegen an der schmalsten Stelle, in der Mitte des zweigliedrigen Gebäudevolumens in einem Durchgang, der zur dahinter liegenden historischen Park- und Schulanlage führt. Der Bau ist so platziert, dass kaum einer der grossen Bäume weichen musste. Da die Schule kein Untergeschoss hat, war kein tiefer Aushub nötig, damit liess sich sehr viel graue Energie einsparen. Allerdings steht der Bau auf Überflutungsgebiet und ist mit Pfählen im Erdreich verankert, um ihn gegen den Auftrieb des Grundwassers zu sichern.
Rundgänge, Verbindungen und Treppen
Der Durchgang und die beiden Eingangshallen links und rechts davon sind mit Messingpaneelen verkleidet. Sie ver-leihen der Situation mit dem Schriftzug «Marzili» über den Türen, den weissen Hängeleuchten und den geschwungenen Treppengeländern vor den Betonwänden der Erschliessung eine zurückhaltend, an Art déco erinnernde Eleganz. Hier liegen im Erdgeschoss des östlichen Gebäudeteils die Tagesschule, der Mehrzweckraum und die Bibliothek, die von einem direkten Zugang zum Aussenraum profitieren. Von den Eingangshallen aus führen Treppen in die Obergeschosse, in denen unlackiertes Holz und Beton die vorherrschenden Materialien sind.
Dieser Materialwechsel, so überraschend er ist, erfolgt in einer stilistischen Balance, die in den Holzelementen die Sprache des Eingangsgeschosses weiterführt, die Eigenschaften des organischen Materials konstruktiv nutzt und in seinen Formaten und Details ähnlich inszeniert, wie dies unten beim Messing der Fall ist.
Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Stadt aus Holz – Bildungsbauten aus Holz». Weitere Artikel zum Thema Holz finden Sie in unserem digitalen Dossier.
Die getrennten Aufgänge sind ab dem ersten Stockwerk durch eine lang gestreckte Mittelzone, die Erschliessung und Lernlandschaft zugleich ist, wieder verbunden. Je vier Klassenzimmer mit Gruppenräumen sind um diese Zonen angeordnet.
Türen schaffen entlang der Fassaden eine enfiladeartige, durchlässige Raumstruktur von einem Zimmer mit Gruppenraum zum nächsten. Mit Blick auf den Park entsteht entlang der Fassadenelemente ein Rundgang, der in der Mittelzone endet. Die ebenfalls aus Holz bestehenden Schränke unterteilen die Zimmer und gewähren so Flexibilität für allfällige bauliche Veränderungen in Zukunft.
Eine austarierte Gleichung der Elemente
Die bleichroten, sommerlich wirkenden Stoffmarkisen an den Fenstern sind automatisch gesteuert, in den Haupträumen dagegen lassen sich die Öffnungsflügel von Hand bedienen. Um die erforderlichen Werte für Minergie-P-Eco zu erreichen, sind die Flächenanteile der schallabsorbierenden, fein gerillten Holzbrüstungen, die Fenstergrössen und die Akustikpaneele an der Decke, die diese nur zu rund zwei Dritteln bedecken, fein aufeinander austariert: Die Flächen der Akustikelemente an Brüstungen und Decke stehen auf der einen Seite der komplizierten Gleichung. Auf der anderen Seite stehen die Grösse der Fensterverglasung und die maximale Sonneneinstrahlung, verbunden mit der für die Luft erreichbaren Gebäudemasse an der Decke zur Nachtauskühlung. Bei reinen Holzhäusern sei im Zusammenhang mit der Phasenverschiebung die fehlende Masse ein Problem, meint Wolfgang Rossbauer – hybride Bauten stellen darum eine gute Lösung dar.
Konstruktiv betrachtet ist der Bau Beton- und Holzrahmenbau in einem. Das Prinzip basiert auf einer stockwerkweisen Abfolge in Etappen: Die tragenden und hinterlüfteten Holzelemente wurden ab dem ersten, vollständig betonierten Stockwerk auf die rohen Bodenplatten montiert und darauf die nächste Bodenplatte betoniert. In einem weiteren Schritt wurden eine hinterlüftete Fassadenverkleidung und die Fenster montiert.
Eigentlich ist das Marzili mit 22.7 Mio CHF Anlagekosten ein teurer Bau. Doch es ist wie andere Schulhäuser Ausdruck des Stellenwerts, den Bildung in der Schweiz einnimmt – mitten in der Stadt an bester Lage. Nicht nur die hellen Klassenzimmer und die eleganten Einbauten, auch die verwendeten ökologischen und natürlichen Materialien schaffen ein komfortables Klima und fördern das Wohlbefinden der Kinder und Lehrpersonen. So sind zum Beispiel Geländer, Türfallen und Beschläge – alles, was oft berührt wird – aus Messing. Es verleiht den Räumen eine edle Note. Die Architekten stoppten dazu die Vernickelung, normalerweise der letzte Schritt der Standardproduktion dieser Metallteile. So läuft das Material an, erhält einen Hauch Patina und wirkt durch den hohen Kupferanteil antibakteriell.
AM BAU BETEILIGTE
Bauherrschaft:
Hochbau Stadt BernArchitektur und Generalplanung:
ARGE Architekten Hull Inoue Radlinsky und Wolfgang Rossbauer, Zürich, mit Florian BinkertBaumanagement:
Omlin Architekten, BernStatik und Fassade Holz:
Timbatec Holzbauingenieure, ZürichStatik Massivbau:
MWV Bauingenieure, BadenMontagebau Holz:
Herzog Bau, BernBauphysik:
Bakus Bauphysik & Akustik, ZürichLandschaft:
extrā Landschaftsarchitekten, Bern
Gebäude
Geschossfläche (SIA 416): 3585 m2
Hauptnutzfläche (SIA 416): 2350 m2
Volumen (SIA 416): 15 451 m3
Label: Minergie-P-Eco Standard
Holz und Konstruktion
Konstruktion:
Hybridbau Holz, Beton;
hinterlüftete Fassade, Fichte
Daten und Kosten
Bauende: Juli 2019
Gebäude (BKP 2): 14 Mio CHF
Anlagekosten (BKP 0–9): 22.7 Mio CHF