In­for­ma­tion wächst, Auf­wand ex­plo­diert

Das Hochbauamt Graubünden hat das selektive Projektwettbewerbs­verfahren für die Erweiterung der Fachhochschule Graubünden in Chur vollständig digital durchgeführt. BIM-Modelle im Wettbewerb versprechen eine grössere Kontrolle, generieren aber einen Mehraufwand für die Büros. Lohnen sich die zusätzlichen Bemühungen? Je nach Rolle im Wettbewerb fällt das Fazit anders aus.

Date de publication
30-06-2022

Markus Dünner begrüsst den digitalen Wandel. Mehr noch: Er treibt ihn aktiv an. Man spürt seine Begeisterung für den Fortschritt, wenn der Bündner Kantonsbaumeister durch das Verwaltungsgebäude «sinergia» führt.

Das Zentrum der kantonalen Verwaltung an der Ringstrasse in Chur beherbergt 14 Organisationseinheiten und wurde 2020 nach Plänen der Architekten Jüngling und Hagmann fertiggestellt: Die Büros sind offene Räume, die als «Arbeitslandschaften» gestaltet sind und in denen Infrastruktur für alle erdenklichen Arbeitsformen zur Verfügung steht; die Sitzungszimmer befinden sich auf dem neuesten Stand der digitalen Präsentationstechnik; Fokusräume dienen dem konzentrierten Arbeiten ebenso wie das Ruhezimmer, in dem sich auch ein Kind stillen lässt.

Mit Notizblock und Bleistift in der Hand fühlt sich der Besucher etwas aus der Zeit gefallen, während der Kantonsbaumeister – der nächstes Jahr nach 21 Jahren an der Spitze des Hochbauamts pensioniert wird – mit traumwandlerischer Selbstverständlichkeit Smartwatch, Tablet und diverse eingebaute Touchscreens bedient, um mit dem Gebäude zu interagieren und auf seine Unterlagen zuzugreifen.

Das gesamte Haus ist vernetzt, bis in den Alltag hinein erfolgt seine Bewirtschaftung digital. Dies ist das Resultat einer Entwicklung, die das Hochbauamt Graubünden bereits Mitte des letzten Jahrzehnts angestossen hatte. Schon lang suchte Markus Dünner nach einer Methode, wie «BIM to FM» in den kantonalen Gebäuden eingesetzt werden könnte. Das Ziel ist ein durchgängiger Datenstamm im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes: von der strategischen Entwicklung über den Entwurf und die Bewirtschaftung bis hin zum Rückbau.

Weitere Beiträge zum Thema BIM finden sich in unserem digitalen Dossier.

Die Annäherung an das Thema Digitalisierung erfolgte schrittweise. Beim Neubau des Unterhaltsstützpunkts am Berninapass (TEC21 48/2016) kam die BIM-Methode 2017 erstmals zur Anwendung. Für das Hochbauamt bedeutete dieser Pilotversuch einen ersten Kontakt mit dem digitalen Zwilling des Gebäudes in der Praxis. Danach folgten mehrere Projekte, bei denen die BIM-Methode jeweils ab Phase 32, dem Bauprojekt, zur Anwendung kam, also somit erst nach dem Wettbewerb.

Es fehlte noch ein letzter Mosaikstein, um eine durchgängige Nutzung digitaler Bauwerksmodelle über den gesamten Projektverlauf zu erreichen: der digitale Wettbewerb. Bis anhin wurden die Projekte erst ab der Bauprojektphase als BIM-Modell aufgebaut und für Koordinationsthemen verwendet. Diese Lücke wollte der Kantonsbaumeister schliessen. In der anstehenden Erweiterung der Fachhochschule Graubünden («Nabelschnur in die Zukunft») sah er die Möglichkeit, einen digitalen Projektwettbewerb durchzuführen und dessen Besonderheiten in einem Pilotprojekt auszuloten.

Digitale Theorie reibt sich an der Praxis

Markus Dünner musste mit diesem Wettbewerb Neuland betreten. «Es ist natürlich nicht der erste digitale Wettbewerb, der durchgeführt wird», stellt der Kantonsbaumeister klar. «Aber das Verfahren kam erstmals bei einem anonymen, selektiven Verfahren zum Einsatz. Und da wir bereits bei verschiedenen anderen Verfahren Erfahrungen sammeln konnten, liessen wir dieses Wissen in das Konzept mit einfliessen.»

Dünner versprach sich aus diesem Vorgehen präzisere Angaben zu den Projekten und eine vereinfachte Vorprüfung: Da sämtliche Angaben zu Volumen, Flächen und Konstruktionen aus dem Modell heraus abgerufen werden, bietet der digitale Wettbewerb sehr belastbare Vergleiche zwischen den Kennwerten der Beiträge. Und mit einem auf das Verfahren angepassten Dashboard lässt sich definieren, welche dieser Werte im Zentrum der Debatte stehen sollen.

Dazu musste der Wettbewerb – vereinfacht gesagt – ohne physisches Modell und ohne Papierpläne auskommen. Was als Konzept so einfach und schlüssig daherkommt, wirft in der Praxis einige Fragen auf: Wie erreicht man eine Vergleichbarkeit der Eingaben? Wie lassen sich die juristischen Rahmenbedingungen eines Wettbewerbs wie Anonymität, Abgabefristen und rechtsgültige Unterschriften gewährleisten? Kann das bewährte Prozedere für die Auslobung eines Wettbewerbs beibehalten werden? Diese Fragen wollte das Hochbauamt ebenso untersuchen wie das Handling der Eingaben im Verfahren. Denn mit welchen Mitteln sollte die Jury ein Projekt begutachten, wenn es lediglich im digitalen Raum existiert?

Digitales Coaching für die Teams

«Wir wussten nicht, wie fit die Architekturbüros im Umgang mit digitalen Abgaben sind. Zudem waren wir unsicher, wie gut wir selbst den Umgang mit den digitalen Modellen und Plänen stemmen können. Und wir wollten so weit wie möglich von den Optionen profitieren, die ein virtuelles Modell bietet», fasst Markus Dünner seine Bedenken und Erwartungen vor dem Verfahren zusammen. «Deshalb haben wir einen Partner gesucht, der uns nicht nur bei der Umsetzung dieses Wettbewerbs helfen, sondern auch die teilnehmenden Büros betreuen konnte.» Die Begleitung des Verfahrens wurde an die Zürcher Digitalpioniere von Raumgleiter vergeben. Diesem Büro kam damit eine entscheidende Rolle im Pilotprojekt zu.

Auch wenn sich vieles an die bestehenden Wettbewerbsmodalitäten anlehnt, gab es doch einigen zusätzlichen Aufwand im Umgang mit dem digitalen Modell. Als Erstes musste – vergleichbar mit dem Grundmodell für die Gipseinlage – eine Stadtlandschaft erstellt werden, in die sich die digitalen Projekte der Teilnehmer einsetzen liessen. Um eine Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, stellte Raumgleiter den Büros Modellierungsrichtlinien zur Verfügung, in denen der Aufbau des digitalen Gebäudes sowie die Tiefe und Art der Informationen definiert waren.

Ein wichtiger Schritt in diesem Pilotprojekt war das technische Coaching, auf das alle teilnehmenden Büros zugreifen konnten. Darin wurde die Qualität der Modelle geprüft, und es gab ein Feedback an die Teams, ob deren virtuelle Abgaben den definierten Richtlinien entsprachen. Damit stellte die Wettbewerbsbegleitung sicher, dass die Modelle in ihrer Aussagekraft vergleichbare Resultate liefern würden und dass sie sich mit einem homogenen Detaillierungsgrad im Stadtmodell einsetzen liessen. Im gleichen Schritt prüfte Raumgleiter, ob sämtliche digitalen Modelle auch die Vorgaben bezüglich Anonymität erfüllten.

wie auch für die Jury

Der Auftrag umfasste zudem die technische Begleitung der Jury, die unter Einsatz verschiedener Technologien erfolgte. Über VR-Brillen oder Touchscreens konnten die Jurymitglieder die Projekte virtuell im Stadtmodell aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Jeweils auf Knopfdruck liess sich zwischen den Projekten hin und her wechseln, was einen direkten Vergleich zwischen den verschiedenen Volumen erheblich erleichterte: Man musste nicht mehr von einem zum anderen Modell laufen und einen vergleichbaren Blickwinkel suchen. Mit einem Klick auf dem Steuerungspanel wechselt einfach der Einsatz im physisch existierenden Modell. Dank Augmented Reality überlagern sich reales und digitales Modell.

An einer anderen Station war ein Rundgang durch die Gebäude möglich: Per VR-Brille und Handsteuerung konnte man aus menschlicher Perspektive im und um das Gebäude herumgehen. Wie in einem Computerspiel bewegt sich die Person hinter der Brille durch das Haus und sucht sich einen eigenen Weg darin. Es braucht etwas Beherrschung, um nicht intuitiv in die Richtung zu laufen, in die man gehen möchte. Doch mit etwas Übung schwebt man ziemlich schnell und präzise durch die Gänge und über das Gelände – so wird eine Wettbewerbsausstellung flugs zu einem multimedialen Vergnügen. Wer sich die Mühe sparen will, die Pläne in seinem Kopf zu einem Raum zusammenzufügen, kann sich auf diese Weise rasch eine Übersicht verschaffen.

Die Darstellung der Pläne hingegen war noch ziemlich nah am analogen Verfahren. Die üblichen Plan­bestandteile waren zwar nicht in Papierform an die Stellwände gepinnt, sondern hochauflösend auf den grossen Bildschirmen dargestellt. Dort liessen sie sich aufziehen, verkleinern und auf die Seite schieben: Diese Handhabung ist dank der enormen Verbreitung von Touchscreens in Tablets und Laptops bestens bekannt und eingeübt. Da zudem die gesamte Gruppe zusammen auf den gleichen Bildschirm schaut, scheint diese Art der Vermittlung ein probates Mittel zu sein. Über die Bildschirme lassen sich auch die Kennwerte der Projekte einblenden. Die Wettbewerbsbegleitung ist bezüglich Regie und Technik ziemlich gefordert, damit die relevanten Daten auch immer zum richtigen Zeitpunkt auf dem Schirm erscheinen.

Es braucht das physische Modell

Doch was bedeutet ein digitaler Wettbewerb für die teilnehmenden Büros? Patric Barben ist Partner bei Giuliani Hönger Architekten und hat den siegreichen Vorschlag als Projektleiter betreut. «Als Erstes haben wir ein physisches Modell der Umgebung gebaut», lautet seine überraschende Antwort auf die Frage nach dem Vorgehen. «Auch wenn wir den digitalen Wettbewerb begrüssen, so können wir die volumetrischen und städtebaulichen Aspekte nicht nur am Bildschirm entwerfen und überprüfen. Dafür benötigen wir nach wie vor ein abstraktes und physisches städtebauliches Modell», führt Barben aus. «Die sinnliche Präsenz des Modells ist dabei nur ein Aspekt. Vielmehr geht es darum, dass ein ganzes Team parallel am gleichen Objekt arbeiten kann. Das geht am physischen Modell unmittelbar, einfach und schnell. Das Gipsmodell steht im Zentrum, und die Betrachter haben durch ihre Position im Raum alle unterschiedliche Blickwinkel auf das Objekt. Der Blick wird nicht durch eine Person per Maus geführt resp. vorgegeben.»

Dieses Vorgehen provoziert Fragen, die sich ohne den direkten Austausch kaum ergeben würden. Offenbar lässt sich die persönliche Begegnung in einem entwerferischen Prozess nicht so einfach ersetzen, auch wenn in den letzten Jahren dezentrale und örtlich versetzte Gesprächsformate eine enorme Verbreitung erlebt haben. Barben plädiert bei einem digitalen Wettbewerb deshalb für ein Sowohl-als-auch: «Wir wollen das Digitale und das Analoge nicht gegeneinander ausspielen, viel eher streben wir eine Kombination der besten Hilfsmittel an. Es braucht intensive Phasen, in denen man sich treffen und persönlich austauschen kann. Daneben lässt sich aber auch vieles im Austausch über das BIM-Modell erarbeiten.»

Enormer Mehraufwand ohne zusätzliche Vergütung

Dieses Vorgehen bedingt, dass das Büro parallel ein physisches und ein digitales Modell pflegt. Patric Barben differenziert bezüglich des damit verbundenen Aufwands: «Wir arbeiten im Büro immer mit dreidimensio­nalen Modellen, mit denen wir die Volumetrie und das Raumprogramm prüfen. Das sind für uns Grundlagen, die wir ohnehin erstellen. In diesem Bereich ist ein digitaler Wettbewerb für uns nicht mit einem grösseren Aufwand verbunden.» Doch ein BIM-Modell bietet dar­über hinaus noch mehr Informationen zu einem Bauwerk. Wenn bereits im Wettbewerb präzisere Angaben zu Konstruktion und Materialisierung bereitstehen sollen, dann müssen diese Daten auch im Modell hinterlegt werden.

Diese Anforderung führte beim Wettbewerb für die Fachhochschule Graubünden laut Barben zu einem Mehraufwand in der Grössenordnung von 20 bis 30%. «Im Wettbewerb mussten wir ein Modell mit Bauteilelementen und darüber hinaus noch eines für den Freiraum abgeben. Diese beiden Modelle braucht es aus unserer Sicht für die Entscheidungsfindung in einem Wettbewerb nicht.»


Für Barben ist es deshalb entscheidend, die Rahmenbedingungen in einem digitalen Projektwettbewerb kritisch zu prüfen. So erwartet er zum Beispiel, dass auch bei einem digitalen Verfahren ein Gipsmodell zur Verfügung steht. Und wenn aufwendig informierte und detaillierte BIM-Modelle einen Teil der Abgabe bilden, dann müsse man den Büros mehr Zeit lassen für die Ausarbeitung der Modelle, und die zusätzliche Arbeit müsse sich auch in der Höhe der Entschädigung niederschlagen. «Man spart sich das Gipsmodell und erwartet dafür ein perfektes BIM-Modell – und dies zu gleichen Konditionen und in einem vergleichbaren Zeitrahmen wie bei einem analogen Wettbewerb», fasst der Architekt seinen Einwand zusammen.

Der erste vollständig digital durchgeführte, anonyme und selektive Wettbewerb in der Schweiz brachte nicht nur dank VR-Brillen neue Ansichten. Erika Fries und Claude Büechi im Interview.

Die Anforderungen in Projektwettbewerben werden zunehmend höher, und die Liste der abzugebenden Unterlagen wächst beständig. Um die immer umfangreicheren Vorprüfungen durchführen zu können, fordern die Auslober eine entsprechend genauere Ausarbeitung der Projekte ein. Diese beiden Aspekte – Umfang und Tiefe der Bearbeitung – verschärfen sich im digitalen Wettbewerb noch, da über die vielfältig abrufbaren Kennwerte auch die Genauigkeit enorm ansteigt.

Parallel dazu wächst natürlich auch das Bedürfnis, dank dieser Präzision Gewissheit über die Flächen, Kosten und die Lebensdauer zu erlangen. Und so dreht sich die Schraube der Anforderungen in der Tendenz immer weiter. Erika Fries kennt beide Seiten im digitalen Wettbewerb und hinterfragt die Bedeutung dieser Präzision im digitalen Verfahren. «Für die Juroren sind die detaillierten Angaben aus dem BIM-Modell nicht entscheidend. Die Jury beurteilt das Konzept und kann deshalb gut mit einer gewissen Unschärfe operieren. Und ich glaube, der Juryentscheid in Chur wäre auch ohne digitales Modell nicht anders ausgefallen.»

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 21–22/2022 «Wettbewerb digital».

Zum Wettbewerb für das Fachhochschulzentrum Graubünden lesen Sie «Nabelschnur in die Zukunft».

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