«Wir brau­chen mehr als di­gi­tale Bau­werks­mo­delle»

Dank Digitalisierung tauchen immer neue Begriffe in der Branche auf: Virtual Design and Construction zum Beispiel. VDC beinhaltet neben einem digitalen Modell auch die Ablaufplanung und die Abstimmung zwischen allen, die an einer Bauaufgabe beteiligt sind. Hört sich nach der BIM-Methode an? Der Eindruck täuscht nicht, wie Peter Scherer vom Institut Digitales Bauen an der FHNW im Gespräch erläutert.

Date de publication
10-12-2021


TEC21: Herr Scherer, was verbirgt sich hinter der Abkürzung VDC ?

Peter Scherer: VDC steht für Virtual Design and Construction. Damit ein Mehrwert für den Kunden entsteht und Projektziele erreicht werden können, braucht es neben den digitalen Bauwerksmodellen auch ein Produktionsmanagement und die Zusammenarbeit. Dafür muss man mehr verändern als nur die eingesetzte Technologie. Vor allem die Definition der Prozesse und die Kommunikation sind entscheidend.


Das versucht man doch auch beim Building Information Modelling?

Was man bisher meist unter BIM versteht, sind die digitalen Bauwerksmodelle. Es ist wichtig, Nutzende, Planende, Beteiligte aus der Bewirtschaftung und andere in den Planungs- und Bauprozess einzubeziehen. Dazu wende ich idealerweise das digitale Modell an, da es zum besseren Verständnis beitragen kann und die Kommunikation unterstützt. Um die Projektziele zu erreichen, ist es entscheidend, dass die Beteiligten ein gemeinsames Verständnis der Grundlagen haben. Bei den heute zum Teil stark disziplinär organisierten Gewerken ist das nicht immer der Fall.


Wenn man also die Inhalte der BIM-Methode korrekt interpretieren würde, wären VDC und BIM das Gleiche?

Dazu kann man das SIA Merkblatt 2051 heranziehen. Hierin wird die BIM-Methode mit VDC gleichgesetzt. Es wird als Planen, Bauen und Bewirtschaften beschrieben, das die Verwendung von digitalen Bauwerksmodellen in Kombination mit geeigneten Prozessen und Organisationsformen beinhaltet. In den Köpfen ist BIM noch immer auf den technologischen Teil fokussiert. Der Mehrwert bleibt auf der Strecke. Die Leute müssen verstehen, dass es um mehr geht als nur um die visuelle Darstellung und Auswertungen aus digitalen Bauwerksmodellen.


In der Praxis spricht man heute hauptsächlich über die verwendete Software. Man sollte aber einen Schritt zurückgehen und zunächst überlegen: Wie wollen wir zusammenarbeiten? Was wollen wir erreichen? Das erinnert an das klassische Projekthandbuch.

Häufig gibt das Projekthandbuch die Ziele der Bauherrschaft vor. Es geht aber auch um Wechselwirkungen. Die Bauherrschaft weiss meist nicht, was unter bestimmten Rahmenbedingungen alles möglich wäre. Es geht um ein iteratives Vorgehen, bei dem man durch das Einbeziehen der Beteiligten die Projektziele definiert und festlegt, wie man sie erreichen kann. Der Kundennutzen muss im Zentrum stehen.


Der frühe Einbezug aller Beteiligten wäre ja schon immer gut gewesen. Können hier digitale Methoden tatsächlich helfen?

Die Technologie kann unterstützen, dass alle vom Gleichen sprechen. Aber die Zusammenarbeit muss auch hier phasengerecht aufgebaut werden. Dieser Prozess ist dynamischer als das konventionelle Vorgehen.


Neu ist das alles nicht.

Nein, das gab es tatsächlich alles schon. Zum Beispiel in der Publikation des SIA in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Baumeisterverband SBV aus den 1990er-Jahren: «Bauen nach Smart». Darin hat man die kooperative Methode schon so beschrieben, allerdings noch auf der Grundlage von Plänen.


Warum hat sie sich nicht durchgesetzt?

Man hat sich stark auf die disziplinären Fragestellungen konzentriert. Das hat auch damit zu tun, dass das Spezialistentum zugenommen hat, was situativ auch wichtig und richtig ist. Fragen zu Brandschutz, Akustik oder Nachhaltigkeit muss man seriös beantworten können. Aber man muss die Beteiligten auf einen Nenner bringen, damit sie gemeinsam Lösungen diskutieren können. Eine perfekte Brandschutzlösung bringt nichts, wenn kein wirtschaftlicher Betrieb erreicht werden kann. Man muss Kompromisse finden. Die Diskussionen müssen viel früher beginnen. Wenn das erst im Bauprojekt passiert, ist der Handlungsspielraum oft zu klein.


Gibt es die Spezialisten nicht auch schon BIM-intern: den BIM-Master, den BIM-Koordinator, den BIM-Manager?

Man beginnt heute, das Spezialistentum auch im Bereich von BIM aufzubauen. Später fragt man sich dann: Brauche ich diese Spezialisten alle? Muss ich als Architekt eine BIM-Managerin haben? Es besteht die Gefahr, dass unterschiedliche Welten entstehen: BIM-Welt, eine Lean-Welt und eine Welt, in der die Projektleitende am realen Projekt zusammenarbeiten.


Sehe ich nach der Teilnahme an einer Weiterbildung klarer? Was bringt die Weiterbildung im VDC-Bereich den Büros?

Oft ist es so, dass die Büros von BIM hören und den Zug nicht verpassen wollen. Also schicken sie Mitarbeitende in irgendeine Weiterbildung. Das genügt aber nicht, denn das Thema geht alle in der Unternehmung etwas an. Die Teilnehmenden gehen mit dem Wissen in die Büros zurück, dass sie für Veränderungen nicht allein verantwortlich sein können. Wir bereiten die Studierenden darauf vor. Zum Beispiel, indem sie einen Prozess aus ihrem Büroalltag analysieren: Wie funktioniert es heute? Wo gibt es Verbesserungspotenzial? Durch das Wissen, wie man vorgeht, um eine Veränderung herbeizuführen, entsteht schon ein grosser Mehrwert für das Büro.


Die Abläufe werden standardisiert? Kommt hier nicht der Widerspruch zwischen Lean-Management und dem viel diskutierten Unikat in der Baubranche ins Spiel?

Wir reden von Systematisierung und nicht von Standardisierung. Die Gebäude sind tatsächlich alle Unikate, und das werden sie wohl bleiben. Aber die Art und Weise, wie man baut, ist immer gleich. Dieses Vorgehen kann man systematisieren. Eine Standardisierung hingegen würde uns einschränken. Das ist nicht die Idee. Die gestalterische Kultur, die wir in der Schweiz haben, soll ja erhalten bleiben.


Muss man hier nicht zwischen Aufgaben im Hoch- und im Tiefbau unterscheiden?

Die Methode ist grundsätzlich unabhängig von Hoch- oder Tiefbau. Doch der Infrastrukturbau ist stark von öffentlichen Auftraggebern geprägt, die sich mit einer Vorreiterrolle schwertun. Oft scheitert der Einsatz der digitalen Methoden an der Vertragsgestaltung. Der Vertrag ist wichtig, um die Zusammenarbeit zu dokumentieren. Er legt eine Minimalleistung fest. Er ist aber nicht das entscheidende Werkzeug, um das Projekt zu optimieren.


Inwiefern wird die Digitalisierung die Bürostruktur der Schweiz verändern?

In der Publikation «The next normal in construction» von McKinsey aus dem Jahr 2020 werden neun Treiber genannt, die die Bauindustrie beeinflussen werden. Einer davon ist die Integration der Wertschöpfungskette. Man soll nicht nur auf Stufe der Planung zusammenarbeiten, sondern eine vertikale Integration anstreben.
Was wir heute schon beobachten ist, dass Unternehmen immer grösser werden und damit versuchen, die Wertschöpfungskette zu schliessen. Als kleines Unternehmen muss man sich fragen: Bin ich eher ein Spezialist – oder Generalist und kann dadurch einen Mehrwert anbieten? Beides anzubieten ist heute schon schwierig, aber das wird noch schwieriger. Es hat natürlich mit dem Markt zu tun, in dem ich mich bewege. Aufgrund der geografischen Gegebenheiten des Schweizer Markts kann ich mir jedoch kaum vorstellen, dass bei uns künftig nur noch zwei, drei Totalunternehmer alles bedienen können.

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