Seen, an­ge­bohrt und auf­ges­chüt­tet

In Obwalden wird derzeit eines der grössten Hochwasserschutzprojekte der Schweiz umgesetzt. 115 Mio. Franken sind für einen Entlastungsstollen veranschlagt, um im Ereignisfall den Spiegel des Sarnersees auf einem zulässigen Niveau halten zu können. Und der Stollen ist nur ein Teilprojekt anstehender Hochwasserschutz- und Revitalisierungsmassnahmen.

Date de publication
27-05-2021

Verfolgt man die Spuren des Wasserbaus in Obwalden, wird man recht früh fündig. 1836 gab es ein aufsehenerregendes Projekt am Lungerersee: Der See wurde durch einen 410 m langen Stollen um 35 m abgesenkt, um 180 ha neuen, bewirtschaftbaren Boden an seinen Ufern zu gewinnen. Erste Überlegungen hierzu gab es schon um 1700, begonnen wurde der Stollenvortrieb 1790, aber aufgrund politischer Ereignisse lange unterbrochen. Das Projekt spaltete die Anwohner in Gegner und Befürworter – «dia Nasse und dia Trockenä».

1921 ging das gewonnene Land wieder unter, allerdings nicht durch Hochwasser – die Elektrizitätswirtschaft staute zur Energiegewinnung den Lungerersee wieder auf. Zwei Fazite dieser Vorgänge haben bis in unsere Zeit immer noch Bestand: Land ist kostbar und nach wie vor von verschiedenen Interessen umkämpft. Und jede Zeit hat ihre Kühe, die sie melkt beziehungsweise denen sie den Vorzug einräumt – Ackerbau, Nutzvieh, Strom und vielleicht heute auch Natur. Und die Kühe werden mehr, nur der Boden bleibt begrenzt.

Die Nassen gehen unter

Und heute, 2021? Die «Nassen» und die «Trockenen» sind gar nicht mehr die grossen Gegenspieler bei wasserbaulichen Projekten, zumindest im Hinblick auf den Hochwasserschutz nicht. Spätestens nach dem Alpenhochwasser 2005 war den allermeisten Obwaldnern klar, dass in Sachen Hochwasserschutz etwas getan werden musste. Neben den Verheerungen der Wildbäche war in Obwalden der Sarnersee ein grosses Problem. Beim Augusthochwasser 2005 hatte er seinen historisch höchsten Seestand erreicht – 472.42 m ü. M., etwa 2.60 m über dem normalen Seespiegel – und trat über die Ufer. Auf weite Teile Sarnens traf Land unter zu. Die Schäden in ganz Obwalden beliefen sich auf 250 Mio. Franken – bei einer Einwohnerzahl von gerade etwa 37 000. Die «Trockenen», die für einen Hochwasserschutz plädierten, hatten daher die Oberhand, unterschieden sich allerdings in der ­Bevorzugung verschiedener Umsetzungsvarianten.

Den See absenken, nur wie?

Bereits 2006 gingen aus 20 Vorschlägen drei Varianten hervor, um den Seespiegel des Sarnersees und die hier ausfliessende Sarneraa hochwassersicher zu gestalten. Als Bestvariante galt eine Tieferlegung und Verbreiterung des Flusslaufs der Sarneraa. Sie wurde aufgrund eines guten Kosten-Nutzen-Verhältnisses auch vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) gutgeheissen. Auch wenn der Wasserbau an der Sarneraa in die Zuständigkeit des Kantons Obwalden fällt, ist das Bafu als Genehmigungsbehörde für die Bundesbeiträge in Sachen Hochwasserschutz und Revitalisierung zuständig. An ihm führt daher kein Weg vorbei.

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2009 lag der Entwurf des Bauprojekts der Tieferlegung vor – mit deutlich höheren kalkulierten Kosten als im Vorprojekt veranschlagt. Daher beschloss der Obwaldner Regierungsrat, die zweite Variante – ­einen westlich der Sarneraa geführten Hochwasserentlastungsstollen für den See – weiter aufzubereiten. Ein Volksbegehren, eingereicht von der Interessengemeinschaft (IG) Hochwasserschutz Sarnen, wollte jedoch anstatt der Variante mit dem westlichen Stollen die dritte Variante auf gleichen Planungsstand wie die Tieferlegung bringen. Hier würde ein Stollen, am Osthang des Tals geführt, den See anzapfen.

Die Interessengemeinschaft konnte sich durchsetzen, sodass letztlich die Tieferlegung der Sarneraa mit dem Hochwasserentlastungsstollen Ost konkurrierte. Ungewöhnlich war die Kostenermittlung für den Stollen Ost: Die Umsetzungskosten wurden mit einer funktionalen Ausschreibung im Totalunternehmerverfahren kalkuliert. Das führte dazu, dass die ARGE HWS Marti als Totalunternehmer im Jahr 2013 bereits den Zuschlag für ein Bauprojekt erhielt, dessen Umsetzung noch nicht entschieden war. Der Variantenentscheid, die Projekt- und Baukreditgenehmigung waren also bei Zuschlag vorbehalten.

Entlastung in trockenen Tüchern

Im September 2014, nachdem der Entlastungsstollen Ost aufgrund fachlicher Beurteilung als Bestvariante ausgelobt worden war und das Bafu die grundsätzliche Genehmigungsfähigkeit ausgesprochen hatte, entschieden sich 82 % des Stimmvolks für das Projekt. Die Teilprojektgenehmigung des Stollens – aufgrund einiger Einsprachen musste die Projektgenehmigung aufgeteilt werden – geschah 2017, und der Bund sagte die höchstmögliche Förderung von 65 % der anrechenbaren Kosten zu. 75 Mio. von den erforderlichen 115 Mio. Franken für den Stollen trägt daher der Bund.

Um den gestauten Wichelsee herum

Das Einlaufbauwerk des Entlastungsstollens liegt am rechten Ufer des Sarnersees in der Nähe der Mündung der Grossen Melchaa, am sogenannten Seehof. Da der Stollen als Druckstollen konzipiert ist – das Wasser wird also wie in einem Wasserrohr unter Druck und nicht im Freispiegelabfluss durchgeleitet – schliesst er 9 m unter dem Wasserspiegel am See an. Zukünftig wird er stets mit Wasser gefüllt, und vom Einlaufbauwerk selbst wird kaum etwas zu sehen sein. Ein im Wasser liegender Balkenring, der treibendes Schwemmholz im See vom Einlauf abhalten soll, deutet auf das Bauwerk hin. Der Einlauftrichter wird durch einen schrägen Grobrechen abgeschirmt, um Verklausungen durch eingesogenes Material im Stollen selbst vorzubeugen. Vom Ufer aus kann der Rechen gereinigt werden. Ein Schütz kann den Stollen, der einen Innendurchmesser von 6.4 m aufweist und mit einem Sohltübbing und einer Spritzbetonschale verkleidet ist, zu Revisionszwecken verschliessen.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 16/2021 «Fluss im Fels, Steine im See».


HWS Sarneraatal

 

Bauherrschaft: Kanton Obwalden, Gemeinde Sarnen (Wirbelfallschacht)

 

Gesamtplanung: IG SAWI: Kissling + Zbinden, Spiez; IUB Engineering, Luzern; CES Bauingenieur, Sarnen; Ingenieurbüro ZEO, Alpnach Dorf

 

Geologie: Dr. von Moos AG

 

Unternehmung (Entlastungsstollen): ARGE HWS Marti (Totalunternehmer): Marti Tunnel, Marti Bauunternehmung, Luzern

 

Unternehmung (Einlaufbauwerk): ARGE Sarneraatal: Meier + Jäggi, Zofingen; Lötscher Tiefbau, Malters; Eberli Bau, Sarnen

 

Baukosten (Stollen): 115 Mio. Franken

 

Bauzeit (Stollen): 2018–2024


 


Sarneraa Alpnach I

 

Projektleitung Bauherrschaft: Kanton Obwalden, Bau- und Raumentwicklungs­departement, Amt für
Wald und Landschaft, Abteilung Natur­gefahren und Wasserbau

 

Ausschreibung / Realisierung: Basler & Hofman, Kriens

 

Bauleitung: Schubiger Obwalden, Kägiswil

 

Umweltbaubegleitung: IC Infraconsult, Bern

 

Bodenkundliche Baubegleitung: Friedlipartner, Buchrain

 

Unternehmung (Objektschutz Flugplatz): PK Bau, Giswil

 

Baukosten: 27.6 Mio. Franken

 

Bauzeit: 2020–2025

 



Sarneraa Alpnach II

 

Projektleitung Bauherrschaft: Kanton Obwalden, Bau- und Raumentwicklungsdepartement, Amt für Wald und Landschaft, Abteilung Naturgefahren und Wasserbau

 

Ingenieur (Konzeptphase): Kissling + Zbinden, Bern

 

Umweltplanung (Konzeptphase): AquaPlus, Zug

 

Baukosten: 8–12 Mio. Franken

 

Bauzeit: 2025–2030

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