Bunte Geo­me­trien

Ausstellung: Alexander Girard

Seine ikonischen Designs kennen auch Laien. Dem Mann, der sie erschuf, ist nun im Vitra Design Museum eine Retrospektive gewidmet. Alexander Girard trifft man dort als Entwerfer, Unternehmer und Weltbürger.

Date de publication
07-04-2016
Revision
07-04-2016

Sandro nannten ihn seine Freunde, die Kurzform des italienischen Vornamens Alessandro. Tatsächlich hat der Textildesigner und Innenarchitekt Alexander Girard (1907–1993) Wurzeln in Italien, studierte Architektur in London und lebte anschliessend in den USA in New York, Detroit, Grosse Point sowie in Santa Fe. Seine erste grosse Retrospektive ist dem Weltenbürger im Vitra Design Museum in Weil am Rhein gewidmet.

Girard brachte Farbe, Opulenz und Ornament zurück in die moderne Möbelgestaltung. Askese war nicht sein Ziel, sondern Witz, Farbe und geometrisch geprägte ­Ornamentik für Alltagsdinge. Sein Schaffen war äusserst vielseitig und umfasste Möbel, Textilien, Geschirr, ganze Restaurants und ­Häuser. Er durchdachte und gestaltete Unternehmensauftritte, Sammlungen und Ausstellungen, er war Unternehmer und Art Director in einem. Nebst der Möbelfirma ­Herman Miller ­gehörten zu seinen Auftraggebern Grossunternehmen wie die Fluggesellschaft Braniff International und der Landmaschinenproduzent John Deere.

Volkskunst als Quelle der Inspiration

Sandro Girard war an Volkskunst interessiert, und sie scheint für ihn eine Art Besessenheit und vor allem Quelle der Inspiration und Grundlage für sein Schaffen gewesen zu sein. Auf seinen Reisen trug er zusammen, was er finden konnte – letztendlich verfügte er über 100 000 Objekte aus aller Welt. Dabei sammelte er nicht nach kunsthistorischen oder ähnlichen Kriterien, sondern kaufte ganz einfach das, was ihn visuell ansprach.

Ein Grossteil ist heute noch erhalten, im Museum of International Folk Art seines letzten Wohnorts Santa Fe. Die Präsentation dieser Sammlung hat Girard noch selbst geplant und eingerichtet. Der Kurator der Ausstellung, Jochen Eisenbrand, bemerkte, dass sich Girards Arbeit vielleicht allein über seine Beziehung zur Volkskunst völlig verstehen liesse. Bereits sein Grossvater mütterlicherseits, Marshall Cutler, sammelte Textilmus­ter­tücher, Stickvorlagen für junge Mädchen jener Zeit, und trug ein Konvolut mit Stücken teilweise aus dem ­18. Jahrhundert zusammen, die er seinem Enkel überliess. 

Kosmopolit, Gestalter, Schwerarbeiter

Alexander Girard wird am 24. Mai 1907 in New York geboren. Sein Vater Carlo Matteo ist französisch-italienischer Abstammung, seine Mutter Lezlie Cutler stammt aus Boston. 1909 zieht die Familie nach Florenz, wo Sandro zweisprachig aufwächst. 1917 bis1924 besucht er ein Internat in London, um im Anschluss an der School of Architecture der Architectural Association zu studieren; Abschluss 1929 mit besonderer Anerkennung im Fach Dekoration. 1930/31 arbeitet Girard in Stockholm, 1931 in Rom und Paris, und 1932 zieht er nach New York um, wo er mit beachtlichem Erfolg ein Studio als Innenarchitekt betreibt. Er schliesst ein Architekturstudium an der NY University ab und darf sich fortan «Registered Architect» nennen.

Er heiratet Susan Needham, und gemeinsam nennen sie sich Sansusi – mit zwei ineinander verschränkten S, die ein Doppelherz bilden. Ein Umzug in die damalige Industriemetropole Detroit erfolgt 1937 aus pekuniären Überlegungen. Nach Mitarbeit bei einem Innen­architekten wird Girard 1943 Chefdesigner des Radioherstellers Detrola. Dort lernt er auch Charles Eames kennen, sie bleiben lebenslang Freunde. 

Girard betreibt ab 1945 bis 1952 ein eigenes Designgeschäft (Textiles & Objects Shop), arbeitet zusammen mit Eero Saarinen an Architekturprojekten und wird letztlich 1951 auf Betreiben von Charles Eames und George Nelson beim Möbelhersteller Herman Miller Leiter der neuen Textilabteilung. Ab 1953 leben die Girards in Santa Fe, New Mexico; von dort aus beliefert er die Firma Herman Miller mit Entwürfen zu Textilkollektionen und beginnt eine Zusammenarbeit mit der Firma Georg Jensen (Geschirr, Gläser und Dekoartikel).

Er entwirft die New Yorker Restaurants «La Fonda del Sol» (1960) und «L’Etoile» (1966), gestaltet das Zentrum der Kleinstadt Columbus, Indiana, und entwickelt das Corporate Design der Fluggesellshaft Braniff International vom Logo bis hin zur Flugzeuggestaltung; insgesamt 17 543 Ob­jekte. Hinzu kommen weitere Entwürfe für ein Restaurant und für Ausstellungen. Zudem unternehmen die Girards Reisen nach Ägypten, Nahost, Russland, Mittelamerika, Indien und Subsahara-Afrika, die vor allem dem Zweck dienen, weitere Objekte von Volkskunst zu erwerben.

Girard vermacht seine Sammlung 1978 dem US-Bundesstaat New Mexico; heute ist sie im Museum of International Folk Art in Santa Fe zu sehen. Alexander Girard stirbt am 31. Januar 1993 in Santa Fe, seine Frau Susan drei Jahre später.

Retrospektive und ­Hommage

Die Früchte dieses rastlosen und doch ungemein fruchtbaren Lebens zu dokumentieren und zu zeigen, unternimmt die von Jochen Eisenbrand kuratierte und vom Londoner Studio Raw Edges gestaltete ­Ausstellung im Vitra Design Museum.

Vitra bewahrt den persönlichen Nachlass von Alexander Girard; 5000 Pläne, Zeichnungen und Skizzen von seiner Hand sind dort archiviert, Hunderte von Textilmustern, rund 7000 Fotos und ein umfangreiches Pressearchiv. Dazu kommt die Miller House Collection beim India­napolis Museum of Art mit seinen Projekten für Innen­einrichtungen und die Sammlung von Texti­lien und Textilentwürfen Girards im Cooper Hewitt Smith­sonian Design Museum New York. Wenn man weiss, dass Girard es meistens vorgezogen hat, allein, bloss ab und zu mit Assistenten zu arbeiten, dann kann man nur den Hut ziehen vor dieser unbändigen Schaffenskraft.

Die Ausstellung startet mit einem Raum voller früher Arbeiten, darunter Girards im Alter von zehn Jahren erfundene, imaginäre «Republic of Fife» mitsamt Landkarten, Flaggen, Geldscheinen, Münzen, Briefmarken und einer Geheimschrift. In den übrigen Räumen des Erdgeschosses faszinieren raumgreifende Installationen mit farbigen Stoffbahnen, Möbeln und anderen Entwürfen von Girard, die Rekonstruktion einer Sitzgruppe von 1953 im Miller House, ­Columbus, die Dokumentation des Corporate Designs der Braniff International Airways von 1965 und vieles mehr.

Eine ganze Wand ist von unten bis oben mit schwarz-weissen Vorzeichnungen bedruckt, und die Kinder greifen sich bereitgestellte Farbkreiden, um diese in Eigenregie zu einem bunten Puzzle zu gestalten. Das obere Stockwerk beherbergt eine riesige Vitrine, prallvoll mit Beispielen aus Girards Sammlung von Volkskunst und Spielzeug. Die Schau und das umfangreiche Katalogbuch lassen die Welt von Alexander Girard erneut aufleben – ein Sehvergnügen sondergleichen.

Zur Ausstellung ist ein sehr lesenswerter Katalog erschienen – mehr dazu hier.

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