Vom Bauen auf dem Land

Kolloquium

Das Institut für Bauforschung und Denkmalpflege der ETH Zürich gibt das Wort an Gion Caminada, Moritz Flury-Rova und Hans Kollhoff.

Date de publication
28-10-2015
Revision
15-11-2015

In seinem Kolloquium «Vom ­Bauen auf dem Land» machte das Institut für Bauforschung und Denkmalpflege auf das Verschwinden der tradierten Bausub­stanz auf dem Land aufmerksam. Die Auswirkung der hiesigen Bautätigkeit auf historisch gewachsene Kulturlandschaften ist bekannt. Eine Studie des Instituts protokolliert die schrittweise Vernichtung des alten Baubestands im Appenzellerland: Von 5000 identifizierten über 100-jährigen Häusern gehen jährlich 20 verloren.

Die Denkmal­pflege kann nur einen winzigen Teil ­dieses Bestands institutionell schützen – weniger als drei Prozent. Doch im Umgang mit der Breite der guten historischen Bausubstanz sind auch andere Akteure gefordert.

Umsicht auf allen Ebenen

Die Rolle des Architekten illustrierte der Vriner Gion A. Caminada aus seiner persönlichen Erfahrung. Die periphere Lage Graubündens bedeutet sowohl Gefährdung als auch Schutz: Fern vom Massentourismus und von kurzfristigen ökonomischen Imperativen entsteht eine Architektur der Geduld. Das Problem sei nicht der Bevölkerungsschwund, sondern die daraus resultierende Resignation und Gleichgültigkeit. Er fördert das Handwerk als sorgfältige Art, etwas Wertvolles zu machen – zwischen aktivem Tun und reflexiver Betrachtung. Als Beispiele dafür nannte er die neulich errichteten Bauten in Disentis – Mädcheninternat, Klosterstall und Sennerei – sowie die Umnutzung von Ställen in Fürstenau.

Gute Architektur auf dem Land existiert abseits von spektakulären Einzelobjekten und entsteht oft als Teil eines solidarischen Systems, einer freiwilligen Gemeinschaft. Sie basiert weniger auf der Entdeckung neuer Formen als auf der Erkennung der Qualitäten einer Landschaft. Caminada plädiert für raumwirk­same Ideen, die aus dem Willen der Menschen entstehen, wie die Kulturinstitution Origen in Riom GR vom Intendanten Giovanni Netzer.

Moritz Flury-Rova kommentierte als Denkmalpfleger dreier Kantone (AR, SG und ZH) zahlreiche Bauvorhaben im Blick auf das Baugesetz. Seine Beispiele aus Rieden, Herisau und Speicher wurden zwar im Rahmen der Bauordnungen errichtet, aber das Ergebnis ist oft enttäuschend. Das Baugesetz sei wie ein Kochbuch, doch es brauchte vor allem gute Köche, die auf die weniger greifbaren Begriffe wie «Identität» und «Ortsbild» eine sinnvolle Antwort hätten. Dank guten Architekten könnten sich die Anliegen der Denkmalpflege in der Breite entfalten, weshalb Flury sie ermuntert, sich in die Kommunalpolitik des Heimatorts einzumischen.

Der Architekt und ehemalige ETH-Professor Hans Kollhoff diskutierte die «Erdverbundenheit» von aller Architektur, die tektonischen Prinzipien der Bauten der Nachkriegszeit und die Notwendigkeit einer Rückkehr zu den tradierten Tugenden des Konstruierens. Ausgehend von Archigram und Le Corbusier zeigt er den zunehmenden Verlust des Bezugs der zeitgenössischen Architektur zum Boden, sei es auf dem Land oder in der Stadt. Theorie, Lehre und Praxis der Architektur sollen viel mehr die körperliche Empfindung als Ausgangspunkt des Entwurfs zurückgewinnen.

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