Die Welt von Pie­ro For­na­set­ti

«100 anni di follia pratica»

«Er bringt Dinge zum Sprechen» - das sagte sein Freund Giò Ponti über Piero Fornasetti, den Tausendsassa des Designs, ein Künstler, der weit über 10.000 Objekte entwarf, von Geschirrserien über Möbelstücke bis hin zu ganzen Inneneinrichtungen. Fornasetti wurde am 10. November 1913 geboren. Das ist der äussere Anlass dazu, in der Triennale Milano eine Ausstellung zu seinem Werk zu zeigen.

Publikationsdatum
20-12-2013
Revision
25-08-2015

Es ist hoch an der Zeit, diesen Maler, Bildhauer, Kunsthandwerker und Dekorateur wieder neu zu entdecken, sein selten vielfältiges Gestaltungstalent und seinen Sinn für hintergründigen Humor und Witz. Am ehesten bekannt geworden sind Fornasettis Wandteller mit dem immer gleichen Motiv: dem Gesicht der Opernsängerin Lina Cavallieri (1874–1944). Sie zeigen als schwarze Zeichnung auf dem weissen Porzellan und immer mit Durchmesser 26cm dieses ebenmässige Gesicht, rauchend, zwinkernd, weinend, mit Maske und sogar abgewandelt als Mann. Fornasetti hat gemäss einer Legende die Vorlage dazu aus einer Zeitschrift des 19. Jahrhunderts gefunden und im Laufe der Jahre über 500-mal abgewandelt und neu interpretiert.

Doch er hat weit mehr als nur das geleistet. Fornasetti hat Schränke, Tische, Sessel und Kommoden entworfen, Gebrauchsgegenstände für den Alltag, Vasen, Tapisserien, Stoffdrucke. Stets ist er von einem Motiv ausgegangen: Sonne, Mond, Harlekins, Hände, Zebras, Leoparden, Zeitungstitel, Spielkarten – Motive, die er anschliessend immer wieder neu abgewandelt und verwandelt hat. Themen mit Variationen – und immer erkennt man einen Fornasetti sofort, seine bildreichen Entwürfe, gespickt mit einer gehörigen Portion Humor.

Zusammenarbeit mit Giò Ponti

Piero Fornasetti hat als Maler begonnen, besuchte zuerst die Accademia di Brera, flog aber bald wegen Ungehorsams aus dieser Kunstschule, war also Autodidakt. 1933 sah der Architekt und Designer Giò Ponti in der Triennale Entwürfe für bedruckte Seidenschals von Fornasetti; er erahnte sein Talent, und damit begann eine langjährige Zusammenarbeit. Legendär geworden sind dabei die gemeinsamen Mittagessen und die damit verbundenen Arbeitsgespräche jeweils an Mittwochen. Ponti entwarf Möbel, die Fornasetti mit seiner fast surreal wirkenden Bildwelt überzog.

1943 bis 1946 ging Fornasetti ins Exil in die Schweiz, war für eine Theaterinszenierung von Giorgio Strehler in Genf tätig und hatte 1944 im Foyer des Etudiants in Genf die erste Einzelausstellung. Nach seiner Rückkehr nach Mailand kamen die grossen Aufträge gemeinsam mit Giò Ponti: 1950 richteten sie das Casino San Remos ein. Fornasetti übersäte alles mit einem Dekor aus Spielkarten. 1951 kam der Auftrag für die komplette Inneneinrichtung der Casa Lucano, Ponti und Fornasetti entwickelten eine Möbelserie namens «Architettura» und gestalteten 1952 die Kabinen der 1. Klasse und die Zodiac-Suite des zwischen Genua und New York verkehrenden Passagierdampfers Andrea Doria. Sie prägten damals die Einrichtungswelt im Nachkriegsitalien.

Aufstieg, Abstieg und die Rettung

Piero Fornasetti war ein hochbegabter Künstler und zugleich ein minderbegabter Geschäftsmann. Er beschäftigte zeitweilig bis 30 Handwerker, konnte sich aber ab Ende der 1970er-Jahre bloss noch einen winzigen Laden bei seiner Werkstatt im Mailänder Breraquartier leisten. Dieser war Treffpunkt zahlreicher Liebhaber seiner skurrilen Bildwelten. Immer wenn sein bemaltes Fahrrad vor der Türe stand, dann war er auch dort anzutreffen. Aber er rutschte mit seinem Atelier mehr und mehr in finanzielle Schwierigkeiten. Bei dem ausnehmend hohen Anteil an akribischem Handwerk für die Herstellung seiner Objektserien eigentlich wenig verwunderlich. Dazu kam das Minimalismus-Diktat der Sechziger- und Siebzigerjahre - Dekoration war nun verpönt.

Sein 1950 geborener Sohn Barnaba stellte seine eigene Arbeit als Möbelrestaurator ein und eilte zu Hilfe. Mit Lizenzvergaben konnte das Atelier nach und nach gerettet werden, Serien aus älterer Zeit wurden im Archiv an der Via Bazzini ausgegraben, neu aufgelegt und nun auch nummeriert, damit das Entstehungsdatum feststand.

Piero Fornasetti starb 1988, und Barnaba trat in seine Fussstapfen. Er tat und tut dies mit Respekt vor dem Geleisteten und zudem mit Hilfe des immens umfangreichen Archivs an Skizzen und Plänen seines Vaters. Heute ist der neue Laden am Corso G. Matteotti das kommerzielle Zentrum. Der Charme der ehemaligen Boutique in der Brera ist verflogen, doch das Erbe Piero Fornasettis bleibt so bewahrt.

100 Jahre augenzwinkernder Aberwitz

Die aktuell in der Triennale Mailand gezeigte Ausstellung «Piero Fornasetti - 100 anni di follia pratica» umfasst mehr als 700 Objekte, Kostbarkeiten aus dem Archiv und Raritäten von Sammlern so gut wie zahlreiche Porzellanplatten mit dem Gesicht der Cavallieri, wie sie nach wie vor produziert werden. Konzipiert wurde diese Ausstellung durch Silvana Annicchiarico und kuratiert durch Barnaba Fornasetti.

Die über ein Dutzend Säle sind jeweils einem einzelnen Thema oder Zeitabschnitt gewidmet und geben einen faszinierenden Einblick in die ausufernde Fantasiewelt Fornasettis. So ist der Teil mit den Platten «Tema e Variazioni» mit gespannten weissen Tüchern entsprechend der Präsentation von 1966 im Warenhaus Neiman Marcus in Dallas (USA) gestaltet. Umwerfender Schlusspunkt ist ein grosser Raum mit insgesamt über hundert immer gleich grossen runden Tischplatten und Tabletts mit stets wechselnden Motiven und ein langer Korridor mit einer Unzahl von ebenso vielfältig dekorierten Schirmständern. Eine witzige und informative Bildanimation von Toni Meneguzzo und Alessandro Fornasetti ergänzt die Schau sinnvoll und anregend.

Piero Fornasetti hat künstlerische Gestaltung mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen verbunden. Er ging dabei nach den Worten von Philip Starck poetisch, streng, frei und mit viel Ironie vor. Die Triennale Milano ist für die an Architektur und Design Interessierten immer eine gute Adresse, derzeit aber ein Muss.

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