Die Gar­ten­stadt ver­dich­ten

Neubau Siedlung «Sonnenhalde I», Zürich

Die Nachverdichtung von Gartenstadt-Siedlungen stellt eine besondere Herausforderung dar. Um ihren Charakter zu erhalten, reicht es nicht, möglichst viele Grünflächen auszuweisen. Wie das Projekt für den Ersatz der Zürcher Siedlung Sonnenhalde I zeigt, ist ein starker Bezug der Wohnungen zu den Aussenräumen entscheidend.

Publikationsdatum
27-08-2025
Daniela Meyer
Architektin ETH, freischaffende Journalistin und Texterin

Neubau Siedlung «Sonnenhalde I», Zürich 
Projektwettbewerb im selektiven Verfahren

Die Stadt Zürich verfügt über zahlreiche Siedlungen, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Gartenstadtbewegung entstanden sind. In diesen stark durchgrünten Quartieren herrscht ein hoher Wachstumsdruck, da sie häufig in Zonen liegen, wo heute eine deutlich höhere Ausnützung zulässig ist. 

Auch die Wohnsiedlung Sonnenhalde I der Baugenossenschaft Freiblick liegt in einem solchen Gebiet. Die in den 1930er-Jahren in Zürich-Leimbach erstellte Siedlung besteht aus zweigeschossigen Zeilen, zwischen denen sich grosszügige Grünflächen ausdehnen. Nun soll sie ersetzt werden. Statt heute 250–300 soll sie zukünftig 800–900 Bewohnenden ein Zuhause bieten. Die Ausnützungsziffer soll von rund 50 auf 120 % ansteigen.

Eine der grossen Herausforderungen, die diese Aufgabe mit sich bringt, ist der Erhalt des Gartenstadtcharakters. Dass dies trotz der starken Verdichtung möglich ist, zeigen die Beispiele im Leitfaden «Zukunft Gartenstadt Zürich», den die Stadtverwaltung herausgegeben hat. Allerdings gibt es kein allgemeingültiges Rezept. Vielmehr gilt es, jeden Standort einzeln zu betrachten und dabei zu definieren, was dessen Qualitäten sind und wie sie transformiert werden können.

Jurybericht und Pläne zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Die Ausgangslage beim Projektwettbewerb für den Ersatzneubau der Siedlung Sonnenhalde I beschreibt Lukas Schweingruber, Landschaftsarchitekt und Partner von Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, wie folgt: «Heute verfügen alle Bewohnende über grosse Aneignungsflächen, über eigene grüne ‹Paradiesli›, die sich sehr privat präsentieren.» Die meisten Wohneinheiten sind Reihenhäuser mit direktem Zugang zum Garten. «Ziel muss es sein, dass auch zukünftig alle an den Gartenqualitäten teilhaben können, nicht nur die Bewohnenden der Erdgeschosse.» Zusammen mit Meier Hug Architekten haben er und sein Team das Projekt «Brio» erarbeitet, das beim Wettbewerb den ersten Rang erzielte.

Schlanke Zeilen prägen das Gesamtbild auch in Zukunft 

Auf den ersten Blick unterscheidet sich «Brio» nicht stark von den zwölf übrigen Projekten. Das liegt vor allem daran, dass aufgrund einer Testplanung bereits feststand, dass der Neubau wieder aus hangparallelen Zeilen bestehen soll und all­fällige Hochpunkte im Süden anzuordnen sind. Anstelle der heute vorhandenen drei Zeilen treten beim Siegerprojekt vier schlanke Zeilen, die mehrheitlich vier- bis fünfgeschossig sind. 

Von Norden nach Süden wächst nicht nur die Gebäudehöhe an, auch die Typologie der Geschosswohnungen ändert sich: Im Norden, wo die Siedlung mit einem Quartierplatz ihren Auftakt nimmt, sind die Zeilen am schmalsten und die darin enthaltenen 2- und 2.5-Zimmer-Wohnungen über Laubengänge erschlossen. Im mittleren Abschnitt werden die Wohneinheiten etwas tiefer und 

enthalten 4- oder 4.5-Zimmer-Wohnungen. Auch sie sind über die angrenzenden Aussenräume erschlossen: Treppentürme rhythmisieren die langen Volumen und führen auf private Balkone, über die man zu den Wohnungen gelangt. Im Süden, wo sich die Siedlung dem grünen Hüslibachtobel zuwendet, wachsen die Zeilen nicht nur erneut in die Breite, sondern auch in die Höhe. Zwei der vier abschliessenden Häuser bilden achtgeschossige Hochpunkte aus.

Erschliessung über die Aussenräume

Das gelungene Zusammenspiel von Wohnungsgrundrissen und Freiräumen macht deutlich, dass der Gartenstadtcharakter einer Siedlung nicht nur von der städtebaulichen Setzung und der durchgrünten Umgebung abhängt. «Heute befinden sich alle Wohnungen der Siedlung in Bodennähe. Diesen Aspekt wollten wir trotz der höheren Bauweise wieder einbringen», erklärt der Architekt Marius Hug. «Wir haben nach Grundriss- und Erschlies­sungstypologien gesucht, die einen starken Bezug zum Aussenraum aufweisen.» So werden fast alle Wohnungen, egal ob im Erdgeschoss oder im vierten Obergeschoss, über einen vorgelagerten Laubengang oder Balkon betreten. Die Hauseingänge sind im Erschliessungsraum gut erkennbar; gerade die Treppentürme der mittleren Zeilenabschnitte setzen ein starkes Zeichen.

«Eine weitere inhaltliche Anknüpfung an das Vorhandene gelingt dadurch, dass die Neubauten auch in Zukunft eine Gesamtheit bilden», sagt Hug. «Die Häuser enthalten zwar unterschiedliche Wohnungstypen, sind aber gleich gedacht und verfügen über einen ähnlichen Ausdruck.» Tatsächlich zeigte sich bei der Jurierung, dass die Genossenschaft keine allzu unterschiedlichen Wohnungen und Häuser wünscht, sondern das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das «Brio» verströmt, schätzt. 

Zum Treffpunkt wird der Platz an der Leimbachstrasse im Norden, der die Schnittstelle zum Quartier bildet und einen Massstab aufweist, den die Jury als angemessen betrachtete: Ein bisschen urban, aber nicht allzu sehr. Wie bei den meisten Wettbewerbsbeiträgen sind in Platznähe die öffentlichen Nutzungen angeordnet: Supermarkt, Gemeinschaftsraum, Gastronomiebetrieb, Arztpraxis, die Verwaltung der Genossenschaft sowie eine Kindertagesstätte.

Die Gartenstadt besteht aus unterschiedlichen Freiräumen

Durch die Testplanung vorgegeben war auch eine Öffnung der Siedlung zum Hüslibachtobel – ein klarer Gewinn gegenüber der heutigen Situation, in der eine dem Tobel entlang verlaufende Häuserzeile das Siedlungsinnere vom markanten Grünkorridor trennt. Dieser wird nun für alle erfahrbar, soll aber gleichzeitig auch als ökologisch wertvoller Lebensraum geschützt werden. «Zur Gartenstadt gehören auch die Faktoren Ruhe und Ökologie», erklärt Schweingruber. «Diese Qualitäten gilt es trotz der Verdichtung zu erhalten oder gar wiederherzustellen.»

«Brio» leistet einen Beitrag dazu, indem sich durch die Mitte der Siedlung ein schmales Wäldchen zieht, wo wenige Nutzungen angesiedelt sind. Dort soll sich das Grün möglichst wild präsentieren und Vögeln und Insekten ein Zuhause bieten. Die privaten Aussenräume der angrenzenden Wohnungen orientieren sich zwar zu diesem Raum, sind aber klar begrenzt – auch in den Erdgeschossen. 

Freiräume, die intensiver genutzt werden können, finden sich jeweils entlang der beiden Zwischenräume im Osten und Westen, wo die Wohnungseingänge liegen. So wird das grüne Band in der Mitte entlastet und die stets zweiseitig orientierten Wohnungen können an verschiedenen Aussenräumen partizipieren.

Das Gewinnerprojekt überrascht mit schlanken Zeilen, die trotz der hohen Anzahl von rund 320 Wohnungen einen luftigen Gesamteindruck vermitteln und nicht unter der Maxime der Kompaktheit stehen. Die Wohnungsgrundrisse verfügen über geringe Tiefen und werden beidseitig über private Balkone, Laubengänge oder Terrassen erweitert. So spielt sich das Leben der Bewohnenden auch in Zukunft nahe der Aussenräume ab – eine zentrale Qualität, die wesentlich zum Erhalt des Gartenstadtcharakters beiträgt.

Rangierte Projekte


1. Rang / 1. Preis: «Brio»: Michael Meier und Marius Hug Architekten, Zürich; Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich


2. Rang / 2. Preis: «Paartanz»: Zimmermann Sutter Architekten, Zürich; freiraumarchitektur, Luzern


3. Rang / 3. Preis: «Orchidee»: pool Architekten, Zürich; Berchtold.Lenzin, Zürich


4. Rang / 4. Preis: «Libeccio»: Armon Semadeni Architekten, Zürich; HSSP, Zürich; Bryum, Basel


5. Rang / 5. Preis: «Jardin du soleil»: phalt Architekten, Zürich; Antón Landschaft, Zürich


6. Rang / 6. Preis: «Sunset boulevard»: Knorr & Pürckhauer Architekten, Zürich; S2L Landschaftsarchitektur, Zürich


 

Fachjury
 

Pascale Guignard, Architektin, Zürich (Vorsitz); Marco Graber, Architekt, Zürich; Barbara Neff, Architektin, Zürich; Stephan Herde, Landschaftsarchitekt, Winterthur; Rahel Lämmler, Architektin, Amt für Städtebau, Zürich; Christian Wagner-Jecklin, Architekt, Trübbach SG; Ivo Moeschlin, Architekt (Ersatz)


Sachjury
 

Stella Vondra, Co-Präsidentin BG Freiblick; Kurt Ammann, Co-Präsident BG Freiblick; Christoph Bachmann, Bauvorstand BG Freiblick; Flavio Gastaldi, Geschäftsführer BG Freiblick; Paul Körner, Architekt, Wirtsch; Gesamtbeurteilung; Sandra Wittachy, Vorstand Soziales BG Freiblick (Ersatz)


Verfahrensbegleitung
arc Consulting, Zürich


Bauherrschaft
Baugenossenschaft Freiblick, Zürich


 

Verwandte Beiträge