Wohn­sied­lung Hei­di Abel

Einstufiger, anonymer Projektwettbewerb im offenen Verfahren

Die Stiftung Alterswohnen der Stadt Zürich wird in Leutschenbach ­kostengünstige Kleinwohnungen für ältere Menschen schaffen. Die Hinterhoflage zwischen Büro- und Hotelbauten und die im Quartier nach wie vor fehlende Nahversorgung stellen den Neubau vor Herausforderungen, auch ­unabhängig von der Frage, wie wir zukünftig im Alter wohnen wollen.

Publikationsdatum
15-06-2023

Bis in die 1990er-Jahre war Leutschenbach vor allem Industrie- und Gewerbegebiet. Hier steht, was in innerstäd­tischen Lagen keinen Platz hatte:

Neben der markanten Kehricht­verbrennungsanlage etwa die Busgarage Hagenholz der Zürcher ­Ver­kehrsbetriebe VBZ oder die Fernsehstudios des SRF. Mit der 2004–2008 gebauten Glattalbahn begann der Wandel des Quartiers, das sich nach wie vor in einem Transformationsprozess befindet. Die gute Anbindung an den Bahnhof Oerlikon, den Flughafen und die Auto­bahn erzeugen eine eigene Attraktivität für Büro- und Dienstleistungsangebote. Wie auch Zürich West ist das Quartier durch eine grossmassstäbliche Parzellierung geprägt, die ihren Ursprung in den ehemaligen Gewerbearealen hat. Diese Geschichte ist aber kaum mehr nachvollziehbar, da die frühere Bebauung weitgehend abgebrochen ist. Der dadurch entstehenden Weitläufigkeit, unterstrichen durch breite Verkehrsachsen wie die Thurgauer- oder Leutschenbachstrasse, wurde bisher kaum begegnet. Das den Geist der 1990er-Jahre spiegelnde Bürobauensemble Quadro und Main Tower beim Bahnhof ­Oerlikon bildet einen wenig überzeugenden Quartierauftakt. Nach wie vor fehlt eine angemessene  Nah­versorgung.

Die Stiftung Alterswohnen der Stadt Zürich plant hier nun den Neubau von 110 kostengünstigen Kleinwohnungen – davon 80 % Wohneinheiten für eine Person und 20 % für zwei Personen. Die Wohnungen müssen die Mindestflächen und Kostenvorgaben der kantonalen Wohnbauförderung einhalten. Das vorgesehene Grundstück grenzt westlich an den als Parkplatz genutzten Hinterhof eines u-förmigen Hotelgebäudes, östlich liegen Bauten des SRF und südlich zwei Büro­riegel zur Hagenholzstrasse. Das Areal wird über den von der Strasse abzweigenden Heidi-Abel-Weg einseitig erschlossen.

Neubau in Insellage

Die Stadt Zürich definierte, basierend auf der gemeinsam mit der Gemein­de Opfikon durchgeführten Testplanung Leutschenbach-Mitte, 2012 das Leitbild Leutschenbach. Darin werden entlang der Verkehrs­achsen zwischen 25 und 40 Meter hohe Gebäude vorgeschlagen, die dahinterliegenden Bebauungen sind mit bis zu 25 Metern vorgesehen. Diese Abmessungen spiegeln die Massstäblichkeit des Quartiers. Aufenthaltsqualität soll der sogenannte «Innere Garten» bieten – ein Grünraum mit Durch­wegung, der sich von Leutschenbach-­Mitte bis zur Glatt zwischen Leutschenbach- und Hagenholzstras­se entlang der Grundstücksgrenzen durch die Bebauungen zieht. An ihm wird der geplante Neubau der ­Stiftung Alterswohnen liegen. Er schliesst an die sich noch im Bau befindende Siedlung Leutschenbach der Stadt Zürich an, die bis 2025 fertiggestellt wird und gut 370 Wohn­einheiten und Kinder­gärten sowie Gewerberäume beherbergen wird. Leider wurde versäumt, die nördlich liegende Siedlung mit dem geplanten Neubau zu verknüpfen, sodass dessen Insellage betont wird.

Die Positionierung eines Wohnbaus, der an diesem Ort stadträumliche Qualitäten schaffen kann, die als weitere Etappen «zur qualitätsvollen Quartierentwicklung und Vernetzung im Transformationsgebiet» dienen sollen, ist vor diesem Hintergrund eine gewisse Herausforderung.

So hob denn auch die Jury unter Vorsitz von Jeremy Hoskyn (Amt für Hochbauten) in ihren Schluss­folgerungen hervor, dass sich ein Neubau in dem von grossformatigen Solitären geprägten Umfeld mit ebenso kräftiger Figur behaupten müsse, eine klare Adresse schaffen und das Gebäude gleichzeitig im Siedlungsraum verankern solle. Über die Frage des Wohnens wurde dabei freilich noch gar nicht gesprochen.

Die Wettbewerbsbeiträge zeigen eine schöne Varianz an Lösungsansätzen – städtebaulich wie auch zur Frage, wie Wohnen im Alter aussehen kann. Und dies nicht nur in der Organisation der Grundrisse, sondern auch im Gebäude selbst. Die Gemeinschaftsräume sind dabei unterschiedlich gewichtet und hinterfragen gängige Modelle.

Le Petit Prince

Das Siegerprojekt «Le Petit Prince» von Liechti Graf Zumsteg Architekten und Berchtold.Lenzin Landschaftsarchitekten reagiert mit einem um die Erschliessungskerne gedrehten Grundriss auf die Situation. Das Gebäude staffelt sich so in die Tiefe, löst sich räumlich von den Nach­bargebäuden und schafft gleich­zeitig gefasste Gartenbereiche für die Erdgeschosswohnungen. Die ausgeprägte Bepflanzung des Grundstücks ermöglicht hohe Aufenthaltsqualität, jedoch wird diese erst über die Jahre entstehen, sodass die Drehung im Volumen bis dahin auch Schutz vor Einblicken bietet. Das Gebäude ist durch drei Treppenhäuser gegliedert. An die vom Heidi-Abel-Weg erschlossenen Zugänge sind im Erdgeschoss über Eingangshallen zugänglich die Gemeinschaftsräume angegliedert und zum «Inneren Garten» hin Wohnungen angeordnet. Die Staffelung im Grundriss separiert die Gemeinschaftsräume voneinander, statt eines zentralen Treffpunkts oder Aufenthaltsbereichs wird ein kleinteiligeres Angebot vorgeschlagen. Das Wohnkonzept hingegen stellt den möglichen Rückzug in die eigene Wohnung in den Vordergrund. Die nach Südosten bzw. Nordwesten orientierten Wohnungen sind als Vierspänner organisiert, je zwei teilen sich einen Vor­bereich, über den die kompakten Grundrisse erschlossen sind. Die Küche fungiert als Verteiler, ­dadurch wirken die Raumfolgen trotz ihrer Kompaktheit grosszügig, durch die ­Drehung der Grundrisse sind sie sehr gut belichtet. Die Durchbildung der Fassade mit ihrer fein abgestimmten Materialisierung verleiht dem Baukörper eine gewisse Lebendigkeit. Gleichzeitig ist sie jedoch sehr anfällig für Streichungen in der Umsetzung, wodurch der Eindruck des Gebäudes grundlegenden verändert würde. Das Konzept des Wohnens im Alter ist eher klassisch und geht kaum auf das fehlende Angebot im Umfeld ein.

L.U.Z.

Die mit dem 2. Rang / 2. Preis ausgezeichnete Arbeit von Gut & Schoep Architekten löst das Dilemma der Hinterhoflage, indem sie städtebaulich mit zwei Baukörpern einen geschützten Zwischenraum schafft. Ein eingeschossiger Pavillon mit Gemeinschaftsräumen steht dem plastisch durchgebildeten Körper des zum «Inneren Garten» positionierten Wohngebäudes gegenüber. Letzterer ist eine eher kräftige Antwort auf das heterogene Umfeld. Der Beitrag unterscheidet deutlich zwischen dem geschützten, hofartigen Aussenbereich und den zum «Inneren Garten» orientierten, öffentlicheren Bereichen. Jedoch sind die Grundrisse entgegen der Anforderung zu gross, zudem macht die zwei- bzw. dreispännige Organisation der Wohnungen, die grosszügige, natürlich belichtete Zugangsbereiche schafft, die Ausbildung von fünf Kernen erforderlich. Interessant ist der Vorschlag, die Gemeinschaftsnutzungen in den Pavillonbau auszulagern, der eng mit der dazwischenliegenden Gartenzone verknüpft ist. So entsteht ein Bereich des Austauschs und möglicher Aneignung, der das fehlende Angebot im Umfeld kompensieren könnte.

Aida

Die mit dem 3. Rang / 3. Preis ausgezeichnete Arbeit von ARGE OAEU und Atelier Wang + setzt eine Scheibe auf den Perimeter. Die Aussenanlagen umfliessen das Volumen, die Zugangsseite liegt an einer vom Heidi-Abel-Weg ausgehenden Erschliessungszone, sodass sich ein grösserer Gartenbereich zwischen der Wohnscheibe und dem «Inneren Garten» aufspannt. Überzeugend ist der Vorschlag, das Erdgeschoss als gemeinschaftlichen Lebens- und Wohnbereich mit grosser Küche und Kachelöfen für die Bewohnerinnen und Bewohner zu gestalten. Das Konzept erinnert an Modelle genossenschaftlichen Wohnens, die neben dem Angebot des Rückzugs in kleinen Einheiten ein breites Angebot an gemeinsam nutzbaren Räumen schaffen, so auf die unterschiedlichen Bedürfnisse reagieren und Alleinstehenden die Teilhabe an der Gemeinschaft erleichtern. Ein Angebot, das angesichts der mageren Alternativen im Umfeld bestechend ist. Die Wohngeschosse sind als Vierspänner organisiert, die Erschliessungsbereiche durch v-förmige Treppenanlagen und entsprechend ausgedrehte Wandflächen gekennzeichnet. Letztere wiederholen sich auch auf der gegenüberliegenden Seite, an der die Lifte liegen. In den Wohnungen entstehen durch die Drehung schöne Verknüpfungen der Raumfolgen. Die Grundrisse sind kompakt. Auch hier fungiert die Wohnküche als Verteiler, Flurzonen entfallen bis auf den gefassten Eingangsbereich. Eine durchlaufende, den Wohnungen vorgelagerte Balkonzone schafft grosszügige Aussenbezüge und Aufenthaltsmöglichkeiten und ist über die der Küche vorgelagerte «Orangerie» mit dem Wohn- und Essbereich verknüpft. Damit entsteht ein Angebot, das je nach Vorliebe der Bewohnenden variiert werden kann. Mit seiner Holzkonstruktion und gegossenen Anhydritböden ist der Beitrag auch strukturell beachtenswert.

Die Jury kritisierte bei diesem Projekt die städtebaulich zu wenig prägnante Setzung und die Gefahr einer Ensemblewirkung mit dem westlich anschliessenden, u-­förmigen Hotelbau. Die gut durchgliederten Ost- und Westfassaden jedoch erzeugen eine Eigenständigkeit, die dieser Befürchtung ent­gegensteht. Auch das Wohnungs­angebot wurde in Bezug auf die vorgelagerten Balkonzonen kritisiert: Es werde dem ­Bedürfnis nach Rückzug zu wenig gerecht und könne den Grünbezug bei fehlender ­Mobilität nicht gewährleisten. Das Bild des Wohnens im Alter scheint hier sehr schematisch und auf eine späte Lebensphase bezogen. Für alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner wäre das in diesem Beitrag vorgeschlagene Wohnkonzept eine Bereicherung – gerade an diesem Ort. Insbesondere das zusätzliche Angebot, das durch das offene Erdgeschoss geschaffen wird, fehlt dem erstrangierten Projekt.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 20/2023 «Einem Holzbaupionier auf der Spur».

-> Jurybericht auf competitions.espazium.ch.

Auszeichnungen

1. Rang, 1. Preis: «Le Petit Prince»
Liechti Graf Zumsteg Architekten, Brugg; Berchtold.Lenzin Landschaftsarchitekten, Zürich
2. Rang, 2. Preis: «L.U.Z.»
Gut & Schoep Architekten, Zürich
3. Rang, 3. Preis: «Aida»
ARGE OAEU und Atelier Wang + , BÖE, Zürich
4. Rang, 4. Preis: «Waldstein»
Katharina Leuschner, Daniel Pflaum, München (D); Toponauten Landschafts­architektur, Freising (D)
5. Rang, 5. Preis: «Simson»
ARGE Schaller + Partner / SAATSCHALLER, Klosterlangheim (D); Skala Landschaft Stadt Raum, Zürich
6. Rang, 6. Preis: «Für Elise»
Eggli de Beer, Goldrand, Zürich
7. Rang, 7. Preis: «Karambuli (I)»
Joan Membrive mit Claudia Thomet, Studio Vulkan Landschaftsarchitektur, Zürich

FachJury

Jeremy Hoskyn, Amt für Hochbauten, Zürich (Vorsitz); Ania Tschenett, Amt für Städtebau, Zürich; Thomas von Ballmoos, Architekt, Zürich; Elli Mosayebi, Architektin, Zürich; Martina Voser, Landschaftsarchitektin, Zürich; Tanja Reimer, Architektin, Zürich (Ersatz)

SachJury

Colette Hämmerle, stv. Direktorin SAW, Zürich; Caspar Hoesch, Bereichsleiter Bau & Entwicklung SAW, Zürich; Stephan Jack, Liegenschaften Stadt Zürich; Peter Noser, Architekt und Stiftungsrat SAW, Zürich; Albert Frölich, Quartiervertretung, Zürich (Ersatz)

Verwandte Beiträge