«Wir sind we­der im Prät­ti­gau noch am Gott­hard»

Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, im Gespräch mit TEC21.

Publikationsdatum
28-07-2016
Revision
22-06-2017
Thomas Ekwall
MSc. EPFL Bau-Ing., MAS ETHZ Arch., Korrespondent TEC21

TEC21: Herr Rodewald, die Stiftung für Landschaftsschutz hatte im Juni 2011 gegen das Projekt Einsprache erhoben. Aus welchen Gründen?

Raimund Rodewald: Die Tamina­schlucht ist eine der schönsten Schluchtlandschaften der Schweiz; sie besitzt einen fast idealtypischen geomorphologischen Charakter und wird abgesehen vom allerhintersten Teil nirgends mit Brückenanlagen überquert.

Hier wirkt eine Brücke als Ersteingriff in eine jahrhundertealte, wenig veränderte Kulturlandschaft. Dieser Fremdkörper tangiert ein kantonales Landschaftsschutzgebiet. Zudem stellen wir die Notwendigkeit einer Brücke grundsätzlich infrage.

TEC21: Inwiefern hat das mit der Landschaft zu tun?

Raimund Rodewald: Es ist ein Präzendenzfall für ähnliche Erschliessungssituationen in hochsensible Landschaften mit sehr bescheidenen Fahrfrequenzen wie etwa in Isenthal, im Lugnez oder Goms. Wir sind weder im Prättigau noch am Gotthard, wo starke landschaftliche Eingriffe mit grossen Verkehrsbelastungen einhergehen.

Im Taminatal stellt sich die Frage, ob der kurze Umweg über das Kraftwerk Mapragg nicht zumutbar ist. Der Kanton behauptet, man betreibe Regional­entwicklung. Ich bezweifle, dass ein solcher Strassenbau die richtige Antwort auf die sozioökonomischen Herausforderungen dieser Region ist. 

TEC21: Weshalb haben Sie sich nicht direkt an der Begleitgruppe «Landschaft Taminatal» beteiligt?

Raimund Rodewald: Man hat sich primär auf naturkundliche Argumente konzentriert und Waldreservate ausgeschieden, wo der Wald schon naturnah ist. Handkehrum treten eine ganze Reihe von erheblichen Belastungen landschaftlicher Art auf, die mit keinem Wort angesprochen worden sind.

Die Brücke ist aber keine primär ökologisch-naturschützerische Bedrohung. Man hat, ausgenommen die Obstbaumpflanzungen und die Trockenmauern, primär Naturschutzmassnahmen getroffen, die die Argumentation eines Ausgleichs im Sinn der landschaftlichen Entlastung nicht aufgreifen.

TEC21: Welches waren denn Ihre Vorschläge?

Raimund Rodewald: Es gibt beispielsweise Strom­leitungen, die die Landschaft auffällig queren. Wir wollten diese im Zusammenhang mit einer ohnehin bald fälligen Sanierung verlegen oder verkabeln. Man hätte auch den Unterlauf der Tamina bei Bad Ragaz im Zusammenhang mit notwendigen Hochwasserschutzmassnahmen renaturieren können.

Unterhalb des Bofelguets gab es ursprünglich einen spektakulären Wasserfall, der heute durch eine Wasserfassung abgeschnitten wird, den wir gern reaktiviert hätten.

TEC21: Was haben Sie durch die Einsprache erreicht?

Raimund Rodewald: Der politische Druck der Regierung war spürbar: Weil alles schnell gehen musste, konzentrierte sich vieles aus Machbarkeitssicht primär auf die Trockenmauer an der alten Valenserstrasse, auf die Waldreservate und -auslichtungen und die Obstbaum­pflanzungen.

Diese Massnahmen wurden zwar sehr gut umgesetzt. Ich bedaure aber, dass die Planung solcher Bau­vorhaben nicht den ganzen funktionalen Raum und die landschaftlichen Be- und Entlastungen miteinbezieht. Im Städtebau hat sich dies etabliert, zum Beispiel in den Masterplan- und Quartierplanverfahren.

TEC21: Schliessen wir mit der Brücke ab: Wie schätzen Sie diese aus Sicht der Landschaft ein?

Raimund Rodewald: So sehr ihre Filigranität überzeugt: Sie legt sich nicht wie ältere Brücken in die Schlucht hinein, sondern setzt sich obendrauf und bildet einen Deckel auf die Klammsituation, den Schluchtausgang. Dies ist landschaftsästhetisch problematisch. Als Nicht-Brückeningenieur halte ich dennoch den Kunstbau für State of the Art und durchaus bemerkenswert.

Der Bogenschwung und die Verankerungen an den Widerlagern passen sich sehr organisch ans Gelände an. Mit dem Objekt selbst bin ich durchaus zufrieden; es wird eine schöne Brücke sein.

TEC21: Der Trend lässt vermuten: Weitere Projekte wie die Taminabrücke folgen, und daher entsteht neuerliches Konfliktpotenzial. Was kann man aus diesem Projekt lernen?

Raimund Rodewald: Wir hätten uns gewünscht, dass die Umweltorganisationen früher einbezogen werden. Man soll das Gespräch von Anfang an suchen und Lösungen gemeinsam skizzieren, anstatt eine Einsprache abzuwarten.

Wo dieser frühe Einbezug jetzt schon erfolgt, wissen wir, dass alle Seiten davon profitieren. Demgegenüber ist zu bedauern, dass die Diskussionen nur in einem beschränkten Rahmen möglich sind, etwa bezogen auf die konkrete Brückenkonstruktion oder die Strassenanschlüsse.

Man hätte jedoch ganz am Anfang über die Erschliessungsplanung für den ganzen Planungsraum und über landschaftliche Be- und Entlastungsmassnahmen sprechen sollen, etwa auch im Wettbewerbsverfahren.

Dies wäre vergleichbar einer landschaftsarchitektonischen Freiraumplanung, wie sie in Quartierplanverfahren üblich ist.

TEC21: Die Projektierung würde dadurch umfassender. Aber ist dieser Aufwand noch angemessen?

Raimund Rodewald: Er ist zwingend, soll nicht einfach eine neue Strasse besser, sondern das gesamte Verbindungskonzept umweltverträglicher werden. In der Planung anderer Infrastrukturbereiche wird bereits umfassender gedacht.

Etwa bei Energienetzen: Korridore für neue Hochspannungsleitungen werden relativ breit definiert, damit gute Lösungen gefunden werden können. Dieser Austausch zwischen Projektträgern und Umweltorganisationen findet sogar auf übergeordneter Stufe statt, im Rahmen des nationalen Sachplanverfahrens.

Man definiert gemeinsam einen umfassenden Planungsraum und evaluiert die bestmöglichen Korridore. Das Festlegen von Standorten für Infrastrukturanlagen darf nicht isoliert von der Raumplanung erfolgen. Die Planungsprozesse für neue Strassen sind zu punktuell angelegt und haben Nachholbedarf in Sachen Raumplanung.

TEC21: Und wie gross ist das Verständnis bei dem NGOs, dass man schöne Landschaften wirkungsvoller erhalten kann, wenn sie nutzbar erweitert werden?

Raimund Rodewald: Das Klima und das Verständnis in den gegenseitigen Projektdiskussionen haben sich positiv gewandelt. Noch vor zehn Jahren wurden wir häufig als reine Verhinderer wahrgenommen.

Wir hören diese Argumente nach wie vor; aber man ist nun auch dankbar, wenn wir bessere Lösungen aufzeigen können. Verhandlungen werden inzwischen viel zielgerichteter und weniger ideologisch geführt.

Zudem bin ich selbst der Überzeugung, dass in den Landschaften einiges an Veränderung möglich ist. Der Lebensraum von Natur und Mensch ist nicht starr, sondern basiert auf kulturell hochstehenden Konventionen.

TEC21: Und was sagen Sie zum häufig formulierten Vorwurf, der Landschaftsschutz sei nicht das Anliegen der betroffenen Bevölkerung, sondern der Wunsch von Städtern, die nach Erholungsraum suchen.

Raimund Rodewald: Diese Diskrepanz zwischen Innen- und Aussenwahrnehmung existiert. Unsere Aufgabe ist, die Brücke zum gemeinsamen Verständnis zu bauen. Allein schon die ökonomische Beziehung spricht dafür, dass alle aufeinander angewiesen sind.

Die Schweiz ist nicht mehr in Stadt, Land, Flachland und Berg aufgeteilt, sondern ein zusammenhängender funktionaler Raum, worin die Beziehungen extrem verflochten sind.

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