Wie Ar­chi­jeu­nes die Schu­len sen­si­bi­li­sie­ren möch­te

Unter dem Titel «Elemente einer baukulturellen Allgemeinbildung» organisierte der Verein Archijeunes eine spannende Tagung. Nun heisst es, ­Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler für das Thema ­Baukultur zu begeistern.

Publikationsdatum
08-01-2020

Die Universität Zürich lädt die Öffentlichkeit regelmässig zu Ringvorlesungen ein. Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, die an der eigenen oder an einer auswärtigen Hochschule lehren, setzen sich ein Semester lang mit einem übergeordneten Thema auseinander, aktuell zum Beispiel mit «Digital Democracy» oder «Kirchenraum im Wandel».

Das Denken hat sich ­verräumlicht

Etwas Ähnliches hat der Verein Archijeunes am 7. und 8. November 2019 an der ETH Zürich zum Thema Baukultur unternommen – mit dem Unterschied, dass die Vorträge zu einem eintägigen Kolloquium mit vorangehendem Abendvortrag komprimiert waren. Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage, was mündige Bürgerinnen und Bürger über Baukultur wissen sollten.

Den Auftakt machte die Soziologin Martina Löw von der TU Berlin. Sie veranschaulichte die These, dass sich das Raumerleben von Kindern in den letzten Jahrzehnten grundlegend verschoben hat. Bis in die 1970er-Jahre habe ein contai­ner­förmiges Raumverständnis vorgeherrscht, das sich konzentrisch um den Kern der eigenen Wohnung herum erweitert habe. Inzwischen dominiere hingegen eine Verinselung vieler Räume, teils real, teils virtuell, teils nah, teils entfernt, teils miteinander vernetzt und teils nicht. Einerseits habe die Vervielfältigung von Räumen zur Auflösung des einen Raums geführt, andererseits seien Orte wichtiger geworden. Unser Leben habe sich verräumlicht, so Löw. Die Soziologin illustrierte, wie unterschiedliche Kulturen unterschiedliche Raumkonzepte hervorbringen, wie sehr Räume dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen und dass jede Stadt ihre eigene Logik hat. Kinder müssten deshalb in der Lage sein, die Entstehung von Räumen, ihre Dynamik und ihre Ortsspezifik zu verstehen.

Vielfältige Methoden der ­baukulturellen Disziplinen

Verkehrsplaner Kay W. Axhausen von der ETH verdeutlichte am folgenden Tag, wie breit das Spektrum der baukulturellen Disziplinen ist und wie unterschiedlich die Herangehensweisen sind. Im Zusammenwirken mit anderen Gebieten sieht die Verkehrsplanung eine wichtige Aufgabe darin, Grundlagen für evidenzbasierte Entscheidungen zu liefern, und so auch die Basis, um normative Fragen beantworten zu können, etwa welchen Verkehr wir überhaupt möchten. Eine wesentliche Erkenntnis ist dabei, dass sich die Verkehrsin­frastruktur wie ein normales Gut verhält: Mit fallenden Kosten wächst die Nachfrage, und der Ausbau von Infrastruktur wird teilweise von der höheren Nachfrage aufgezehrt.

Joseph Schwartz, der ebenfalls an der ETH lehrt, sprach über Konstruktion aus der Sicht eines Bauingenieurs, der sich bereits auf das Feld der schulischen Vermittlung gewagt hat. Schwartz entwickelte ein Konzept für ein Lehrmittel mit dem Titel «Tragwerkstatt». Der Städtebauer Vittorio Magnago Lampugnani, auch er von der ETH, bekannte dagegen freimütig, als Pädagoge ein Dilettant zu sein. Er empfahl aber die Me­thode der Dekon­struktion für den Unterricht, die er am Beispiel der Neugestaltung Roms unter Papst Six­tus V. skizzierte.

Den gestalteten ­Lebensraum erkunden

Gabi Dolff-Bonekämper, die Denkmalpflege und urbanes Kulturerbe an der TU Berlin lehrt, überzeugte mit konkreten Fragen, denen Schülerinnen und Schüler nachgehen, und Beispielen, wie Kinder und Jugendliche den gestalteten Lebensraum erkunden können. Ob ein Haus malen, mit Bewohnern sprechen, einen Pfeilersockel vermessen oder den Spuren von Migranten in lite­rarischen Texten nachspüren: Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Landschaftsarchitekt Christophe Girot von der ETH rüttelte abschlies­send mit Bildern wach, die die «Landschaft als grünen Klebstoff, nicht als gestaltete Form» erkennen lassen: Grünräume, die nicht zeigen, was sie sind, nicht zum Aufenthalt einladen oder Stadt und Landschaft nebeneinander denken.

Nach dieser packenden Übersicht zur Baukultur gilt es nun, pädagogische Hochschulen und Volksschulen für das Thema zu gewinnen.

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