Baukultur lebt: «Common good, shared responsibility»
Baukultur wird häufig mit Architektur oder Heimatschutz assoziiert. Dabei umfasst sie viel mehr. Sie ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Gestaltung des Lebensraums, wie die vom SIA mitgetragene Debatte über den nächsten Aktionsplan Baukultur zeigt.
Wie wollen wir leben? Die Energiekrise auf Kosten der Biodiversität lösen? Wohnraum zulasten fruchtbaren Bodens schaffen? Das Bundesamt für Kultur (BAK) lancierte am 21. September in Bern eine Debatte über den nächsten Aktionsplan Baukultur, wo über diese Fragen diskutiert wurde. Die Erwartungen des SIA an den Aktionsplan sind klar: Wir brauchen eine kohärente, sektorübergreifende Politik, um Herausforderungen wie dem Klimawandel oder endlichen Ressourcen zu begegnen. Das geht nur mit einem integrierten Ansatz, dem ein ganzheitliches Verständnis von Baukultur zugrunde liegt.
International ist dies bereits gesetzt, nicht zuletzt dank einer Konferenz der europäischen Kulturminister in Davos. Auf der dort verabschiedeten Erklärung beruht auch das Davos Qualitätssystem für Baukultur. Es definiert acht zusammenhängende Kriterien, deren Berücksichtigung zu ausgewogenen Lösungen führt: Gouvernanz, Funktionalität, Umwelt, Wirtschaft, Vielfalt, Kontext, Genius Loci und Schönheit. Soziale, kulturelle und emotionale Kriterien gehen Hand in Hand mit leichter quantifizierbaren technischen, ökologischen und wirtschaftlicheren Aspekten.
Nationale Erfolge
Die Vision des SIA, gemeinsam mit dem Runden Tisch Baukultur Schweiz, dieses Verständnis zu etablieren, führte auch national zu Erfolgen: Unter Federführung des BAK liegt seit 2020 die erste interdepartementale Strategie zur Förderung der Baukultur vor, die von 15 Bundesstellen getragen wird. Die Strategie verbindet sieben Ziele mit 41 konkreten Massnahmen – dem Aktionsplan für die Jahre 2020–2023.
Dass sich im Rahmen des ersten Aktionsplans gleich 15 Bundesstellen zur Förderung der Baukultur verpflichtet haben, darf als Erfolg an sich gewertet werden. Zugleich ist der Aktionsplan 2020–2023 stark von sektoriellen Massnahmen geprägt. Lediglich vier Massnahmen sind übergreifend, darunter die Verankerung von Baukultur im Bundesrecht, die dafür essenziell ist. Ursprünglich hatte der Bundesrat vorgesehen, Baukultur im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags zur Biodiversitätsinitiative im Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) zu verankern. Der Nationalrat ging nicht darauf ein und will Baukultur nun im Rahmen der nächsten Kulturbotschaft im NHG verankern. Der SIA fordert, dass das Parlament sein Wort hält, wenn in zwei Jahren darüber beschlossen wird.
Integriert handeln
Für den Aktionsplan, der für die Legislaturperiode 2024–2027 erneuert werden soll, sind die involvierten Bundesstellen gefragt, die Aufbruchstimmung der ersten Strategie Baukultur weiterzutragen. Übergreifende Aufgaben wie Klimaschutz und -anpassung müssen als Verbundaufgabe über Departementsgrenzen hinweg verstanden und gelebt werden. Auch die Sektorialpolitiken sind vermehrt auf ein ganzheitliches Verständnis von Baukultur auszurichten. Der Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Dimensionen der Baukultur ist anspruchsvoll.
Die interdepartementale Arbeitsgruppe muss Lösungsansätze aufzeigen: Wie lassen sich erneuerbare Energien mit der Förderung von Biodiversität verbinden? Wie befriedigen wir unsere Wohnbedürfnisse, ohne der Zersiedlung weiter Vorschub zu leisten? Einen Fokus sollten dabei auch die verschiedenen Raumschichten bilden: Wie kann der digitale Raum einen Mehrwert für den physischen Raum schaffen? Wie verknüpfen wir das Oberirdische so mit dem Unterirdischen, dass wir das Konzept der Schwammstadt breitenwirksam umsetzen können?
Um integrierte Lösungen zu implementieren, muss der Bund die Kantone, Städte und Gemeinden mitnehmen und dort für eigene Strategien zur Umsetzung einer hohen Baukultur werben. Auch im internationalen Kontext ist weiterhin Engagement gefragt. Deshalb ist es erfreulich, dass die Eidgenossenschaft am Eröffnungswochenende des WEF 2023 zu einer zweiten Ministerkonferenz nach Davos einlädt. Unter dem Titel «Common good, shared responsibility» soll eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen Sektor, der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor angeregt werden, insbesondere in den Bereichen Finanzen, Immobilien und Bauwirtschaft. Um unseren Lebensraum nachhaltig zu gestalten, sind wir alle gefordert.