«Es gilt, zu­zu­hö­ren, was die Men­schen brau­chen»

Wahlen 2023

Im Herbst finden die eidgenössischen Wahlen statt. Wer soll die Herausforderungen anpacken, die im Bereich Raumentwicklung, Klima und Energie auf uns zukommen? Wir haben politisch engagierte Baufachleute aller Parteien zu ihren Zielen befragt. Heute: Kurt Egger, Grüne, Thurgau.

Publikationsdatum
01-09-2023

STECKBRIEF


Kurt Egger, geb. 1956, ist dipl. Maschineningenieur ETH/SIA. Er ist Energiefachmann, Geschäftsleiter und Mitinhaber der Nova Energie GmbH. Er kandidiert für den Nationalrat.

 

Parteizugehörigkeit: Grüne
Frühere politische Ämter: Kantonsrat Thurgau, 2012–2020
Aktuelles politisches Amt: Nationalrat, seit 2019


Welches Ereignis hat Sie dazu motiviert, sich politisch zu engagieren?

In meiner gesamten Jugendzeit engagierte ich mich in der Kinder- und Jugendorganisation Jungwacht/Blauring. Ich bekleidete sämtliche Ämter vom Mitglied über die Schar- und Kantonsleitung bis in den nationalen Vorstand. Es war die Zeit nach den 1968er-Jugendunruhen. In den Leitungsteams und Ausbildungskursen diskutierten wir über Gesellschaftsmodelle, Erziehungsfragen von Kindern und Jugendlichen, Religiosität und den Sinn des Lebens. Der damalige wirtschaftliche Aufbruch brachte es mit sich, dass sich die Umwelt stark veränderte: Es entstanden unattraktive Wohnsiedlungen und die Schweiz wurde von Autobahnen zerschnitten. Näher an politische Fragen brachten mich schliesslich die AKW-Demonstrationen 1975 und Jugendunruhen in den 1980er-Jahren. Nach meiner Ausbildung habe ich mich dann aber vor allem im Beruf und in meiner Firma, einem Beratungsunternehmen für Energie- und Umweltfragen, engagiert.


Weshalb in dieser Partei?

Bei den Grünen bin ich aus zwei Gründen gelandet. Beruflich befasste ich mich stark mit erneuerbaren Energien, zu Beginn mit Biogasanlagen, später auch mit Solaranlagen und der Holzenergie. Zum Zweiten hat mich die Natur immer interessiert. Das führte dazu, dass meine Kolleginnen und Kollegen aus diesem grünen Umfeld stammten und mich 2007 für eine Kandidatur in den Kantonsrat überredeten.


Hängt Ihre politische Motivation mit Ihrem Hintergrund bzw. Ihrer Tätigkeit in der Planungs- und Baubranche zusammen? Falls ja, wie?

Die politische Motivation hängt stark mit meiner Tätigkeit zusammen. Nebst der Beratung von Privatpersonen, kleineren und mittleren Unternehmen und öffentlichen Körperschaften ist meine Firma in der Beratung von Städten und Gemeinden engagiert. Während zwanzig Jahren leitete ich das Bundesprogramm «EnergieSchweiz für Gemeinden». In diesem Programm ist als Produkt das Label Energiestadt beheimatet, das überdurchschnittlich aktive Gemeinden und Städte auszeichnet. Als Programmleiter habe ich über 400 Gemeinden zu diesem Label geführt und über 30 Städte und Gemeinden persönlich betreut. Energiestädte loten ihren Handlungsspielraum in Bezug auf die Erreichung der energiepolitischen Ziele aus. Die Gemeinden stellen schnell fest, dass der eigene Handlungsspielraum im Wesentlichen auf den Gebäudepark, die Energie- und Wärmeversorgung sowie die Kommunikation beschränkt ist. Viele weitere Handlungsfelder wie die Baugesetzgebung, die Raumplanung, der Verkehr, Standards für Geräte und Fahrzeuge werden auf kantonaler oder Bundesebene bestimmt.

→ Wählen Sie! Die Interviewreihe von TEC21 gibt politisch engagierten Baufachleuten unterschiedlicher Parteien das Wort. Alle Interviews finden Sie hier.


Welche Ziele wollen Sie nach einer allfälligen Wiederwahl in den Nationalrat erreichen?

Meine Hauptthemen im Nationalrat sind Energie- und Klimapolitik, Raumplanung, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft und Baukultur. Oberstes Ziel ist immer der nachhaltig (am Netto-Null-Ziel orientierte) gestaltete Lebensraum. Dies bedeutet einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien, das Weiterbauen im Bestand, ein ganzheitliches Verständnis von Baukultur und eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft. Es heisst auch, weniger zu brauchen. Der Energie- und Raumeffizienz ist deutlich mehr Beachtung zu schenken. Dazu gehört auch die Förderung der Biodiversität und der konsequente Natur- und Landschaftsschutz. In der Raumplanung ist die Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet viel strenger umzusetzen.


Verfolgen Sie auch politische Ziele, die spezifisch mit dem Planungs- und Bauwesen zu tun haben? Warum sind diese Ziele relevant?

Die allermeisten Ziele haben mit dem Planungs- und Bauwesen zu tun. Inhaltlich geht es um die Förderung der erneuerbaren Energien, um das emissionsarme Bauen, um die umweltverträgliche Mobilität, die Förderung der Energieeffizienz, die Gestaltung einer naturnahen Umgebung und die Förderung der Biodiversität. Die Baubranche hat insbesondere einen sehr grossen Einfluss auf die CO2-Emissionen. Diese Massnahmen sind relevant, damit unser Planet lebenswert bleibt, die Klimaerwärmung eingeschränkt wird, die Landwirtschaft weiterhin produzieren kann und die Landschaft erlebnisreich bleibt.

Mit meiner Erfahrung aus der Beratung setze ich mich auch für die Beschleunigung und Vereinfachung der Verfahren ein. Die Gesetzgebung sollte sich vor allem an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger orientieren. Die Installation einer Wärmepumpe, der Bau einer Solaranlage oder einer Stromleitung sind in den letzten Jahren mit zum Teil unnötigen Hürden verbürokratisiert worden. Verloren gegangen ist dabei oft der direkte Austausch zwischen Behörden, Fachleuten und Bauherrschaften, um sinnvolle, nachhaltige und wirtschaftlich tragbare Lösungen zu finden.


Wie vermitteln Sie diese Ziele an die Wählerschaft und an andere politische Akteure? Und werden Sie gehört?

Nebst meinen Aktivitäten im Nationalrat, wo ich als Mitglied der UREK (Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie) direkten Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen kann, bin ich im Vorstand des SIA Thurgau aktiv, wo wir diese Themen sowohl mit den Mitgliedern als auch in der Öffentlichkeit diskutieren und verbreiten. Das geschieht ebenso an Veranstaltungen und Beratungen im Rahmen meiner Firmentätigkeit. Die Fortschritte zum Beispiel im Zubau der erneuerbaren Energien deuten darauf hin, dass mein Engagement einen Beitrag leistet, um das Ziel einer erneuerbaren Energieversorgung rascher zu erreichen.


Braucht es mehr Planungs- und Baufachleute, die sich politisch engagieren? Falls ja, warum?

Es braucht unbedingt mehr politisch engagierte Planungs- und Baufachleute. Insbesondere in den Parlamenten ist die Branche im Vergleich zu Juristen, Landwirten, Versicherungs- und Pharmaleuten völlig untervertreten. Bauen prägt unsere Umgebung und unsere Kultur, sei es im bebauten Raum oder in der Landschaft. Eine hohe Baukultur schafft ein Lebensumfeld, das dem Wohlbefinden und der Gesundheit der Menschen förderlich ist. Die aktuellen Problemstellungen mit Klimawandel, Ressourcenknappheit und Verlust der Biodiversität machen es existenziell notwendig, dass Fachleute aus der Planungs- und Baubranche mitbestimmen und mitgestalten. Nur mit Fachleuten entstehen sinnvolle und vollzugstaugliche Gesetze.
Ein wichtiger politischer Beitrag der Planungs- und Baufachleute ist die Vermittlung. Wir arbeiten und wohnen an den Orten, wo gebaut und gestaltet wird. Da gilt es, zuzuhören, was die Menschen brauchen, und es gilt, die gute Baukultur zu erklären, sei es bei den Auftraggebenden, in den Gemeinderäten, in Kommissionen, in Vereinen oder ganz einfach auch am Wirtshaustisch. Ich ermuntere alle meine Kolleginnen und Kollegen, sich einzubringen.

Die SIA-Wahlplattform 2023 zeigt Profile von Politikerinnen und Politikern, die gemäss eigener Aussage die SIA-Charta für einen nachhaltig gestalteten Lebensraum unterstützen wollen.

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