Vom Man­ko zum Plus

Die Bevölkerung in Zürich Schwamendingen soll ihre neuen Quartierverbindungen, eine hohe Betonwand und einen Grünraum in sieben Metern Höhe lieben lernen – keine leichte Aufgabe für die Gestalter der Autobahneindeckung und des geplanten Hochparks.

Publikationsdatum
03-06-2015
Revision
02-11-2015

Was für ein Erlebnis ist es wohl, einen Kilometer weit auf einer Tunnel­decke in sieben Metern Höhe zu flanieren? Und wie fühlt es sich an, auf diesem Spaziergang einem Eichhörnchen in der Baumkrone direkt in die Augen zu sehen? Damit der im Norden von Zürich geplante Ueberlandpark von der Bevölkerung angenommen wird und das Quartier Schwamendingen lebenswert bleibt, haben sich viele Fachleute über die Gestaltung den Kopf zerbrochen (vgl. Kasten «Projektbeteiligte» in «Tagbautunnel gegen den Lärm»). 

Stellvertretend gibt Paul Bauer, Leiter Planung und Bau Grün Stadt Zürich, Auskunft. Er erklärt, man habe sich zwar von bereits vorhandenen Beispielen inspirieren lassen, etwas wirklich Vergleichbares gebe es aber bisher nicht. Ideen sammeln konnte man bedingt bei bestehenden Anlagen wie den Viaduktbögen oder dem Irchelpark in Zürich, der Promenade Plantée in Paris oder dem Petuel­park in München.

«Man muss das Projekt in einem grös­seren Zusammenhang sehen. ­Nämlich als Reaktion auf die Verdichtung», sagt Bauer. «Öffentliche oder halböffentliche Frei- und Aufenthaltsräume in höheren Lagen werden uns zunehmend beschäftigen. Die Dachterrasse des Toni-Areals oder der Freiraum über dem Tramdepot beim Projekt Kalkbreite sind Beispiele dafür.»

Einen überdeckten Verkehrsträger mit vergleichbaren Abmessungen kenne er aber nicht. Ohne Gestaltung stünde nach Abschluss der Arbeiten auf der A1 eine rohe Betonkiste im Quartier. Heute gehen die Verantwortlichen davon aus, dass das ganze Dach und etwas mehr als die Hälfte der Aussenwände bepflanzt und begrünt werden können. Zudem soll mit Wegen, Beleuchtung und Sitzgelegenheiten auf dem Dach ein attraktiver Grün- und Freiraum für die Quartierbevölkerung entstehen. Insgesamt wird es zehn Aufgänge auf das Dach in Form von Rampen, Treppen und Liften geben. Zusätzlich ist es bei den Portalen Aubrugg und Schöneich über Rampen zu erreichen.

Velo, Kiosk und Grillstellen

Die Entrauchungsanlagen werden auf dem Tunneldach prominent in Erscheinung treten. Sie sind für den sicheren Betrieb vorgeschrieben und kommen bei einem Brand im Tunnel zum Einsatz. Pro Röhre wird im Abstand von rund 100 m jeweils ein Rauch­absaug­system eingebaut, insgesamt zwölf Einheiten.

«Diese Entrauchungsanlagen haben uns schon Kopf­zerbrechen bereitet», räumt Bauer ein. «Aus den Vierecken auf den ersten Plänen wurden mit der Zeit zwei Meter hohe Elemente.» Zwar werden sie eher am Rand angeordnet, eine optisch freie Fläche wird aber auf dem Bauwerk nicht entstehen. Durchdachte Beleuchtung soll dafür sorgen, dass das Sicherheitsgefühl gewahrt bleibt.

Auf dem Dach befinden sich ferner die Rohrblöcke für die Energieversorgung der Entrauchungseinheiten. Im Kreuzungsbereich Saatlenstrasse/Einhausung ­werden die notwendigen Anschlüsse für die zukünftige Realisierung einer WC-Anlage, eventuell kombiniert mit einem Pavillon, vorgesehen. Andere Hochbauten sind nicht geplant. 

Für die Anwohner und Anwohnerinnen steht die Nutzung des Ueberlandparks im Vordergrund. Während der Planungsphase wurden sie informiert und eingebunden. Dabei sei ein grosser Leidensdruck im Quartier spürbar gewesen, sagt Bauer. Bereits in dieser frühen Phase drehten sich die Diskussionen um Grillstellen, Sitzgelegenheiten, Aufenthaltsräume für Kinder, Sportmöglichkeiten oder Pavillons.

Die Stadt versuchte den Schwamendingern die Machbarkeit aufzeigen. «Einen defi­nitiven Nutzungsvorschlag konnten wir ihnen aber noch nicht unterbreiten», sagt Bauer. Problematisch sei der Zeitfaktor: Bis der Park bepflanzt und möbliert wird, vergehen noch Jahre, in denen sich die Nutzungsansprüche ändern könnten. Im Fokus steht heute die Zugänglichkeit: Wo sind Aufgänge angeordnet? Wie geht man mit der Längsausrichtung um? Wie werden Fussgänger und Velofahrer auf der Oberfläche geführt  

Beidseits der Einhausung werden öffentliche Wege angelegt; diese sogenannten Fugenwege dienen als Notzufahrten, Werkleitungsträger und zu Unterhaltszwecken, Ausserdem schaffen sie eine Längsverbindung für die Bevölkerung. Weiter sind Stichstrassen geplant, die im Abstand von rund 150 m an die Einhausung heranführen. Insgesamt sind Wegführung und Erschliessung an das bestehende Weg- und Strassennetz angebunden und ergänzen dieses. Die intensive Durchgrünung mit grosskronigen Bäumen ist ein prägendes Element der Gartenstadt Schwamendingen. Auch sie schafft laut Bauer eine räumliche Verbindung von Stadt­ebene und Ueberlandpark. 

Die Rahmenbedingungen für ein zukunftstaugliches Quartier sind in einem Gestaltungsplan festgeschrieben (vgl. «Transformation der Gartenstadt»). Die Grundeigentümer entlang der Einhausung sind mehrheitlich Baugenossenschaften. In welchem Mass und in welchem Zeitraum sich eine Transformation im Quartier vollzieht, ist offen. «Wichtig für uns ist, dass das Leben mit der Autobahnüberdeckung insbesondere für die, die bleiben, so angenehm wie möglich ist und sie die Einhausung als verbindendes Element empfinden», sagt Bauer.

Die Wand der Einhausung ist nicht einfach eine Wand. Um den Anforderungen aller gerecht zu werden, hat das Astra die Dicke des Konstruktionsbetons definiert. Zudem muss man jederzeit an die Wand ­herankommen; auch periodische Inspektionen müssen möglich sein, ohne die Pflanzen zu beschädigen. Die Betonoberflächen müssen nicht nur dauerhaft den Umwelteinflüssen standhalten, sondern auch mit einem wirksamen Graffitischutz versehen sein und ästhetischen Ansprüchen gerecht werden. Die Astra-Filiale Winterthur liess Musterflächen für die künftige Beschaffenheit der Betonoberfläche erstellen. 

Wie viel Überdeckung ist machbar  

Das Astra baut eine Verkehrsinfrastrukturanlage, um ihrer Pflicht zur Lärmsanierung nachzukommen. Dabei stellt die Behörde höchste Anforderungen an das Bauwerk. Das heisst zum Beispiel: Es darf keine Schraube in die Tunnelwand gebohrt werden, die den Konstruktionsbe­ton verletzt. «Auf dieser Ebene müssen wir diskutieren», sagt Bauer. Bei den Schnittstellen geht es um Sicherheit, Unterhalt, Gebrauchstauglichkeit und Dauerhaftigkeit. 

Für die Bepflanzung auf dem Bauwerk ist die eingeschränkte Substratdicke die wichtigste Rand­bedingung. Die Pflanzen sollen möglichst unterhaltsarm sein, zugleich resistent gegen Wind und intensive Sonnen­einstrahlung. Verschiedene Substrate in unterschiedlicher Schüttstärke prägen die geplante Ober­flächengestaltung. Das Ziel ist ein Vegetationsbild mit grossflächigen Staudenfluren, Trockenwiesen und Sukzessionsflächen. Die Versiegelung der Oberfläche wird auf ein Minimum beschränkt. Die Vegetation ist Teil des Sicherheitskonzepts.

Neben der vorgeschriebenen Absturzsicherung – vorgesehen ist ein Staketengeländer aus Stahl – sollen in den Randbereichen Pflanzen wachsen, die nicht zum Picknick einladen. Grosse Bäume begleiten den Park vom Stadtboden aus. Um das Wachstumsverhalten der vorgesehenen Pflanzengemeinschaften unter diesen extremen Bedingungen zu beobachten, wurden eigens Versuchsflächen angelegt. Davon verspricht man sich Erkenntnisse nicht nur in Bezug auf die Einhausung, sondern auch hinsichtlich anderer Flächen in der Stadt (vgl. Kasten unten).


Urbane Prärie

Im Frühjahr 2014 wurden in Zürich ­Oerlikon Versuchsflächen für die Bepflanzung der Stauden- und Ruderalflächen auf dem geplanten Ueberlandpark an­gelegt. Das Ziel ist die Entwicklung von dauerhaften, pflegeextensiven Bepflanzungstypen für Staudenfluren und Sukzessionsflächen, die den gestalterischen Intentionen des Parkentwurfs entsprechen. Für die spätere Realisierung ­sollen die Testflächen vegetations­tech­nische Erkenntnisse über die ­ge­stal­te­ri­sche Gesamtwirkung der Staudenmisch­pflanzungen, die Entwicklungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit der Pflanzengemeinschaften und die verwendeten Substrataufbauten liefern. Die Pflanzversuche sind auf vier bis fünf Jahre angelegt. Nach der ersten Vegetationsperiode sei es noch zu früh, um Rückschlüsse zu ziehen, sagt Eva Dorsch vom Landschaftsarchitekturbüro Rotzler Krebs Partner.  Geplant ist, die Entwicklung der Testflächen bis 2017 zu beobachten und die Erkenntnisse auszuwerten. Erst im Anschluss daran können das Arten­spektrum und der Substrataufbau definitiv bestimmt werden. Die Mächtigkeit der Substratschicht bewegt sich derzeit zwischen mindestens 32 cm und maximal 82 cm. Die spezifischen Wachstums­bedingungen der Einhausung prägen ein semiarides Vegetationsbild mit kargem Charakter. Der niedere Vegetations­horizont mit trocken­heits­ver­träglichen Pflanzenarten bildet einen Kontrast zur umgebenden Gar­tenstadt mit ihren Rasenflächen und grosskronigen Bäumen. Im Rahmen einer zusammenhängenden Parkgestaltung wird ein kontinuierliches Vegetationsbild angestrebt. Innerhalb dieses Ganzen soll durch örtliche Ausdiffe­renzierung mit Farbstimmungen und Pflanzthemen eine abwechslungsreiche Parkatmosphäre geschaffen werden. Die geometrischen Felderstrukturen bilden Heckenbänder, Staudenfluren, Trockenwiesen, Sukzessionsfluren und Spielrasenflächen.

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