Trans­for­ma­ti­on der Gar­ten­stadt

Einhausung Schwamendingen

Die Einhausung bringt eine neue Dimension nach Zürich Schwamendingen. Das Amt für Städtebau hat verbindliche Spielregeln definiert, damit entlang des Ueberlandparks ein belebtes Wohnquartier entsteht. Eine Verantwortliche erzählt von ihrer Arbeit.

Publikationsdatum
04-06-2015
Revision
02-11-2015

Seit mehr als 30 Jahren belastet der Autobahnabschnitt der A1 die angrenzenden Wohngebiete von Schwamendingen-Mitte und Saatlen mit Lärm und Feinstaub. Um diesen Emissionen baulich entgegenzuwirken, haben Bund, Kanton und Stadt entschieden, diesen Abschnitt der Autobahn zu überdecken. Das Amt für Städtebau (AfS) hat sich zum Ziel gesetzt, das Infrastrukturbauwerk in eine gesamtheitliche Planung einzubinden, den Bau von zusätzlichen Wohnungen auf den angrenzenden Parzellen zu ermöglichen und qualitativ hochwertige Aussen­räume zu schaffen, ohne dabei die charakteristische Bebauungsstruktur des Quartiers zu verlieren. 

Leitbild für Park und Quartier

Um diesen vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden, erarbeitete das AfS zusammen mit den Partner­ämtern der Stadt Zürich und in Abstimmung mit den Grundeigentümern und der Quartierbevölkerung ein städtebauliches Leitbild, das die Grundlage für das Planungsinstrument, den öffentlichen Gestaltungsplan, bildet.1

Die im Leitbild formulierte räumliche Vision berücksichtigt den städtebaulichen und den archi­tektonischen Massstab. Sie gibt vor, wie sich der neue Stadtpark ins Quartier einbindet, beschreibt eine angemessene bauliche Verdichtung mit einem vielfältigen Wohnangebot und fordert eine hohe Qualität der Freiräume. Dieses Ziel hat das AfS vor dem Hintergrund formuliert, dass die Akzeptanz einer baulichen Verdichtung unter anderem dann gegeben ist, wenn im Gegenzug qualitativ hochwertige öffentliche Räume für die Bevölkerung entstehen.2 

Für den Entwurf des städtebaulichen Leitbilds haben sich die Planenden intensiv mit den bestehenden Qualitäten und Defiziten der historischen und aktuellen Bebauungsstruktur auseinandergesetzt: Bis heute ist Schwamendingen geprägt durch meist drei- bis vier­geschossige Zeilenbauten, die auf die Planung von ­Stadtbaumeister Albert Heinrich Steiner im Jahr 1948 zurückgehen.

Inspiriert durch das Modell der «Gartenstadt» von Ebenezer Howard3 und die Planungskon­zepte der frühen Nachkriegsmoderne entwarf Steiner für Schwamendingen eine offene Bebauungsstruktur mit fliessenden Grünräumen.4 Dass besonders die Aussenräume solcher Planungen Defizite aufweisen, beschrieb die Städtebaukriti­kerin Jane Jacobs bereits in den 1960er-­Jahren.5

Zeitgenössische Experten wie Jan Gehl schlies­sen sich der Kritik an den räumlichen und funktionalen Paradigmen dieser Zeit an. Besonders problematisch sind Gehl zufolge die weitläufigen Aussenräume und die grosse Entfernung zwischen den Gebäuden. Aufgrund dieser Dis­tanzen können unpersönliche Zwischenräume entstehen.6 Diese Typologie von ausgedehnten, oft unbelebten öffentlichen Flächen ist in Schwamendingen an den Hauptachsen und in den dahinter liegenden Siedlungen zu beobachten. 

Da das Quartier auch künftig ein Wohnquartier bleiben soll, war es wichtig, Ideen zur Belebung des Stadtparks und zur Gliederung der Freiräume zu entwi­ckeln. Daher zielt das städtebauliche Leitbild auf die räumliche und programmatische Verknüpfung von Park und Gebäuden. Um vielfältige Weg- und Sichtbezüge zum Park zu ermöglichen, schreibt das Leitbild eine Querstellung der Bauten vor. Diese soll eine quasi «private» Vereinnahmung des Ueberlandparks – etwa durch Bauten parallel zur Einhausung – verhindern. Zudem wird eine Kontinuität der für Schwamendingen typischen Zeilenbauweise gewahrt. 

Brücken bauen

Gestalterische Aussagen auf städtebaulichem Massstab reichen jedoch nicht aus, um die angestrebte bauliche Verknüpfung und die Ziele für eine qualitätsvolle Verdichtung aufzuzeigen. Daher hat das AfS in Zusammenarbeit mit dem Architekturbüro Jakob Steib Architekten drei ­Prototypen für eine mögliche Bebauung entlang des Ueberlandparks entworfen. Diese liefern Ideen für eine bauliche Vielfalt, geben Anregungen für eine Neuinterpretation der Zeilenbauweise, machen Vorschläge zur Gliederung der Freiräume und beschreiben die räumliche Verbindung zwischen Park und Gebäuden. 

Aufgrund der Höhe der Einhausung ist eine Aussicht der angrenzenden Wohnungen auf den Park erst ab dem dritten Obergeschoss möglich. Die Masse für die zukünftige Bebauung orientieren sich an den Vorgaben für Arealüberbauungen, wie sie in der geltenden Bau- und Zonenordnung geregelt sind. Entlang des Ueber­landparks soll dies jedoch auch auf Arealen möglich sein, die kleiner sind als 6000 m2. Denkbar sind sowohl gestapelte Maisonette- als auch Geschosswohnungen oder eine Kombination verschiedener Wohnungstypen. 

Auch die Aussenräume der Wohnungsbauten sollen qualitativ hochwertig sein. Daher haben die ­Architekten bei der Ausarbeitung der Prototypen die Glie­derung der Freiräume mitgedacht. Typisch für die ursprüngliche Planung Steiners sind nicht klar zugeordnete, fliessende Grünräume. Bei der angestrebten baulichen Verdichtung hingegen sollen die Freiräume präzise hierarchisiert werden. Unmittelbar vor der ­Fassade werden private Vorzonen definiert, von denen die Wohnungen im Erdgeschoss profitieren. Zusätzlich zu diesen Vorzonen sollen vielfältig nutzbare Aussenräume entstehen.

Um die Verbindung der beiden städtischen Ebenen Gartenstadt und Ueberlandpark zu ermöglichen, sehen alle drei Prototypen eine bauliche Anbindung an den Park vor: Über Brücken werden gemeinschaftlich genutzte Bereiche des Hauses mit dem Park verbunden. Durch die räumliche Verknüpfung erhält das Haus eine zusätzliche Adresse am Ueberlandpark. Zugleich soll so erreicht werden, dass die Bewohnerinnen und Bewohner den Park mit verschiedenen Aktivitäten beleben, was die Qualität dieses Freiraums erhöht.

Zusammenarbeit trotz Individualinteressen

Um die räumlichen Qualitäten umzu­setzen, die im städtebaulichen Leitbild und in den Prototypen beschrieben sind, hat das AfS zusätzlich einen öffentlichen Gestaltungsplan erarbeitet. Die darin festgeschriebenen Rege­lungen bieten den Grundeigentümern verschiedene Anreize, nach den Vorgaben des Leitbilds zu bauen: Realisieren Bauherrschaften beispielsweise eine Verbindung zwischen Park und Gebäuden, werden sie mit dem «Brügglibonus» belohnt, der eine Mehrausnützung von zehn Prozentpunkten erlaubt.

Den Grundeigen­tümern wird ausserdem die Möglichkeit eingeräumt, sich zusammenzuschliessen und innerhalb der von der Stadt festgelegten Baufelder nach der sogenannten «Antrittsregelung» zu bauen. In diesem Fall orientieren sich die baulichen Masse an den Vorschriften für die Arealüberbauung. Im Gegenzug wird eine «besonders gute» Gestaltung der Gebäude und ­Freiräume verlangt. Um diese Qualität sicherzustellen, schreibt das AfS gemäss seiner Praxis Wettbewerbsverfahren vor oder fordert die Beurteilung der Bauvorhaben durch das Baukollegium ein. 

Aufgrund der heterogenen Eigentumsverhältnisse musste die Stadt auch für eine parzellenweise Bebauung Vorschriften definieren. Die Masse für Einzelbauten sind in der sogenannten «Grundordnung» festgeschrieben. Um die Umsetzung der städtebaulichen Grundprinzipien gemäss dem Leitbild sicherzustellen, gilt die Querstellung der Bauten für die «Antrittsregelung» und die «Grundordnung».

Damit eine qualitätsvolle bauliche Verdichtung entlang des Ueberlandparks gelingt, kommt es auf die Zusammenarbeit aller Beteiligten an. Bund, Stadt und Kanton führten regelmässig Gespräche mit den Grund­eigen­tümern. Vor allem diesen Verhandlungen ist es zu verdanken, dass die vorgesehenen Teilgebiete im Gestaltungsplan eigentümerverbindlich festgeschrieben werden konnten.

Die verschiedenen Interessen wurden abgewogen und aufein­ander abgestimmt, sodass es im Rahmen der öffentlichen Auflage lediglich sechs Stellungnahmen gab. Die Planenden haben jedoch nicht nur die Grundeigentümer in den Prozess einbezogen. Auch der Austausch mit dem Quartier war wichtig. Um die Bevölkerung umfassend über die Entwicklung zu informieren, organisierte das AfS eine Informationsveranstaltung und eine Ausstellung vor Ort.

In wöchentlichen Sprechstunden beantworteten Fachleute aus der Verwaltung zudem die Fragen der Anwohner und erläuterten das Planungsvorhaben anhand von Modellen, Bildern und Zeichnungen. Die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers bekräftigten in den Gesprächen den Wunsch, dass auf dem Dach der Einhausung ein belebter Park entstehen soll, der vom Quartier aus gut zugänglich ist. Diese Forderungen sind in das städtebauliche Leitbild und den Gestaltungsplan eingeflossen: Die gestalterischen Prinzipien ermöglichen eine hohe Durchlässigkeit, und eine Vielzahl an Wegeverbindungen sind festgeschrieben.

Planerisches Neuland betreten

Das städtebauliche Leitbild und der öffentliche Gestaltungsplan sind zum einen das Ergebnis von Verhandlungen mit den Grundeigentümern und der Quartier­bevölkerung. Zum anderen hat sich das integrative Vor­gehen auf mehreren planerischen Ebenen ausgezahlt: Die gestalterischen Vorgaben beziehen sich auf den städ­tebaulichen Massstab und auf dessen archi­tektoni­sche Übersetzung; die räumlichen Visionen sind im Leitbild nicht nur empfehlend beschrieben, sondern im Gestaltungsplan auch eigentümerverbindlich als Bauordnung festgeschrieben; die Sicherung spezifischer gestalterischer Themen wird durch planerische Anreize gefördert; und das Planungsinstrument regelt sowohl die Bebauung einzelner Parzellen als auch die Zusammen­arbeit der Grundeigentümer in den vorge­gebenen Teilgebieten. 

Mit diesem integrativen Planungsprozess ermöglicht das AfS eine qualitätsvolle Verdichtung mit hochwertigen öffentlichen Räumen. Durch die Vermittlung zwischen den Partikular­interessen Einzelner, den Bedürfnissen der Quartierbevölkerung und der Gesamtstrategie der Verwaltung ist somit die Ausgangslage dafür geschaffen worden, dass entlang des Ueberlandparks zukünftig ein lebendiges, durchmischtes Stadtquartier entstehen kann. 

Anmerkungen

  1. Hochbaudepartement der Stadt Zürich: Städte­bauliches Leitbild und öffentlicher Gestaltungsplan zum Ueberlandpark Schwamendingen, Zürich, Stand Öffentliche Auflage, 2013. (Der Gestaltungsplan Ueberlandpark Schwamendingen ist noch nicht rechtskräftig.)
  2. Vgl. Johannes Fiedler: Herausforderung Erdgeschoss, Wüstenrot-Stiftung (Hg.), Berlin 2014, S. 256.
  3. Vgl. Ebenezer Howard, Garden Cities of Tomorrow, London 1902 (2nd edition).
  4. Vgl. Daniel Kurz, Baukultur in Zürich, Affoltern, Oerlikon, Schwamendingen, Seebach, Hochbaudepartement der Stadt Zürich (Hg.), Zürich 2002, S. 81 ff.
  5. Vgl. Jane Jacobs, The Death and Life of Great American Cities, New York 1992 (Erstauflage 1961).
  6. Vgl. Jan Gehl, Leben zwischen Häusern, Berlin 2014, S. 31.

Der Direktor des Amts für Städtebau sagt:

«Kürzlich wurde in New York eine nicht mehr genutzte Hochbahnlinie zu einem Park umgebaut. Der High Line Park hat den anliegenden Quartieren neue Impulse gegeben und sich mittlerweile auch zu einer beliebten Touristenattraktion entwickelt. Das Infra­strukturprojekt in Schwamendingen mit seinen für Zürich neuen Dimensionen stellt uns vor ähnliche städtebauliche Herausforderungen. Gleichzeitig öffnet es eine riesige Chance, einen Park entstehen zu lassen. Die im städtebaulichen Leitbild mit den Grundeigentümern und der Quartierbevölkerung ausgearbeiteten Vorgaben bilden die übergeordneten Spielregeln dafür. Sie sind verbindlich. Das ist wichtig, denn für die Integration dieses riesigen Bauwerks in das bestehende Quartier braucht es verbindende Strukturen und funktionierende öffentliche Räume; sonst gelingt es nicht, die Beziehung zwischen Quartier und Einhausung herzustellen. Gerade das «Leitbild Ueberlandpark» zeigt exemplarisch, dass Städtebau und Architektur keine solistische, sondern vielmehr kollektive Disziplinen sind: Es geht mehr um die qualitätsvolle Verdichtung und um die Stärkung des Quartiers und weniger um situative Neuerfindungen unterschiedlicher Archi­tekturen. Das schönste Lob wäre zukünftig, wenn die Leute sagen würden: «Wenn du in Zürich bist, spaziere durch den Ueberlandpark.» New York lässt grüssen!» Patrick Gmür

Verwandte Beiträge