Über die Schul­ter ge­schaut

Bei Scheidegger & Spiess ist eine Monografie über Peter Zumthors Werk von 1985 bis 2013 erschienen. Das Konvolut ist geprägt von der Vertrautheit zwischen Zumthor und dem Herausgeber Thomas Durisch.

Publikationsdatum
21-08-2014
Revision
18-10-2015

Bisweilen glaubt man beim Lesen, Peter Zumthor sprechen zu hören. Dann erklingen die Texte in dieser bedächtigen, leicht kratzigen Stimme und dem Dialekt, der auch nach vielen Jahren im Bündnerland den Basler verrät. Der Duktus des geschriebenen Worts ist der gleiche wie der des gesprochenen; ruhig und präzise, wenn auch bisweilen ein wenig mäandrierend tastet Zumthor das eigene Werk und seine Auseinandersetzung mit der Architektur ab.

Es ist eine der Besonderheiten dieser fünf Bände, die das Schaffen von 1985 bis 2013 dokumentieren, dass der Architekt die Texte selbst verfasst hat. Wo sonst Kritiker, Journalisten oder Kunsthistoriker das Œuvre beschreiben, kommt hier der Entwerfer selbst zu Wort. Dies schafft eine ungewohnte Nähe, die auch etwas irritierend Intimes hat. Auf die sonst übliche Distanz und Objektivität verzichtet diese Monografie. Zum guten Glück, muss man anfügen, denn die aussergewöhnlichen Bauten des Ateliers in Haldenstein sind ohne die Person und die Arbeitsweise von Peter Zumthor kaum vorzustellen. Und auch wenn er in seinen Beschreibungen konstant zwischen dem «wir», das für sein Team steht, und dem «ich» des Autorenarchitekten wechselt, so wird doch schnell klar, dass er die treibende Kraft im Büro ist.

Leserausch

Und so blickt man dem begnadeten und willensstarken Entwerfer gleichsam über die Schulter und ganz tief in Kopf, Herz und Hand. Atmosphärisch dichte Bilder und Zeichnungen begleiten Zumthors Ausführungen, in denen er darüber schreibt, wie er sich die Freiheit als Entwerfer erarbeiten musste, und immer wieder: von Träumen und Bildern, die vor seinem Auge auftauchen. Diese Zusammenstellung übt einen starken Sog aus, dem Leserausch ist kaum zu entkommen. Der Rezensent ertappte sich dabei,  die gesamte Monografie in einem Zug verschlungen zu haben, nachdem der erste Band aufgeschlagen war.

Die Anekdoten um Peter Zumthor sind legendär. Der Ruf des unnachgiebigen und bisweilen stur handelnden Bürochefs und Architekten eilt ihm voraus. Interessant ist, wie Zumthor die Projekte kommentiert, die in Konflikten endeten: etwa die «Topographie des Terrors» oder die Bebauung der Insel Ufenau. Da ist kein Zorn mehr, weder Zynismus noch Bitterkeit. Lediglich das Bedauern, dass der eingeschlagene Weg und die Erfindung, die fast jedes  Projekt bietet, nicht zur Realität weitergetrieben wurde. 

Den Weissraum füllen

Herausgeber Thomas Durisch hält sich derweil nobel und unaufdringlich im Hintergrund: kein einleitender Text, keine übliche Einordnung in den historischen und gegenwärtigen Architekturdiskurs. Um der Sache zu dienen und dem autobiografischen Element in dieser Monografie Raum zu lassen, verzichtet er auf den Platz, den Herausgeber sonst in Büchern einnehmen. Noch nicht einmal ein Vorwort verfasste der Zürcher Architekt, der einst vier Jahre bei Zumthor arbeitete und der offenbar sein vorbehaltsloses Vertrauen geniesst: Bereits die epochale Ausstellung im Kunsthaus Bregenz von 2007 entstand unter der Regie von Thomas Durisch. Dessen Handschrift ist nun auch in Konzept und Gestaltung der Bücher wiederzuerkennen. Denn die Auswahl der Projekte, insgesamt werden 43 Werke vorgestellt, und der Materialien stammt von ihm. Die Gestaltung der fünf Bände entstand in enger Zusammenarbeit mit den Grafikern Beat Keusch und Angelina Köpplin aus Basel. Durisch legte die Melodie fest, nach der die Skizzen, Pläne, Modellfotos und Aufnahmen – viele von Hélène Binet – gesetzt sind, und schafft es damit, über 856 Seiten immer wieder mit einer wechselnden Tonalität zu überraschen. 

Ein wichtiges Gestaltungsmittel ist der Weissraum; nicht nur der grafische, sondern auch die bewusst gesetzten Lücken in der Darstellung. Es ist genau die Information vorhanden, die es braucht, um die Projekte zu verstehen. Jeder Entwurf wird mit dem Fokus auf den Kerngedanken – eine Arbeitsweise oder eine Erfindung – vorgestellt. Einmal steht ein Konstruktionsdetail im Vordergrund, ein andermal eine kunstvoll bearbeitete Modellaufnahme. Den Weissraum zwischen diesen Versatzstücken füllt der Leser selbst – zumal auch auf Bildlegenden verzichtet wird. Wer sich darauf einlässt, kann viel entdecken; bei Zumthor und bei sich selbst. Ohne auch nur ein Wort beizusteuern, prägt Durisch damit das Buch wesentlich. Im eingespielten Dialog der beiden Entwerfer ist eine höchst beachtenswerte und tiefgründige Monografie entstanden. 

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