So­lar­ener­gie und Bau­kul­tur

Wie kann es gelingen, die Solarenergie mit der Baukultur zu verbinden. Mit einer neuen Untersuchung gibt das Bundesamt für Kultur Antwort auf eine Frage, mit der sich die Fachleute seit Langem beschäftigen. Für die Schweizer Gemeinden kann die Dokumentation als Leitfaden zum Umgang mit dem heiklen Thema verstanden werden.

Publikationsdatum
10-07-2019

Die Auswirkungen der Produktion von Energie aus der Sonneneinstrahlung auf Orte und Bauten, die über lange Zeit gewachsen sind, führen immer wieder zu intensiven, zuweilen ideologisch geprägten Auseinander­setzungen. Oft könnte in solchen Debatten der Eindruck entstehen, die ökologisch sinnvolle Art der Energieerzeugung sei mit der Baukultur generell unvereinbar.

Bei frühzeitiger Planung und sinnvoller Differenzierung lassen sich die ­beiden Belange indessen durchaus ver­binden. Dies zeigt eine neue Untersuchung, die kürzlich von der Sektion Heimatschutz und Denkmalpflege des Bundesamts für Kultur in den drei Landessprachen vorgelegt worden ist.

Leitfaden für die Schweizer Gemeinden

«Solarkultur – Solarenergie gekonnt mit Baukultur verbinden» zeigt den Schweizer Gemeinden einen praktikablen Weg auf, wie sie Solarenergieanlagen mit der Baukultur, die als wichtige Grundlage der Nachhaltigkeit eingestuft wird, verbinden können. Dabei geht die Unter­suchung nicht wie bisher üblich von Einzelbeispielen aus und vermittelt auch keine einfachen Rezepte, sondern zeigt eine planerische Vorgehensweise auf, mit der Gemeinden die beiden Anliegen gleichermassen berücksichtigen können. Vorausschauende Planung statt ­Konfliktlösung in Einzelfällen.

Die Methode wurde anhand des Beispiels von Carouge im Kanton Genf von der dortigen Hochschule für Landschaft, Technik und Ar­chitektur HEPIA entwickelt und getestet.1Die Gemeinde ist Deutschschweizer Architektinnen und Ar­chitekten vor allem bekannt durch ihre Altstadt und die «Tours de Carouge», die Waltenspuhl und Brera mit weiteren Architekten 1958–1963 gebaut haben. Sie weist eine viel­fältige Bebauungsstruktur auf, die als repräsentativ für eine durchschnittliche Schweizer Gemeinde gelten kann. Neben dem denkmalpflegerisch wertvollen «vieux Ca­rouge» gibt es Quartiere, die in ­starkem Wandel begriffen sind, und andere, die eine allmähliche Transforma­tion durchmachen.

Der in der Studie vorgeschlagene Weg zu einer kommunalen ­Solarstrategie, die die baukul­tu­rellen Ressourcen berücksichtigt, beinhaltet fünf Schritte. Zunächst wird die Gemeinde in Gebiete mit weitgehend einheitlicher Bebauungs­struktur eingeteilt. Danach analysiert man für jedes dieser Gebiete einerseits die städtebaulichen, architektonischen und denkmalpflege­rischen Eigen­heiten, andererseits die Eignung zur Nutzung von Solar­energie.

Als dritter Schritt folgt die Abschätzung des vorhandenen Solarpoten­zials. Anschliessend wird festgelegt, welche Priorität die Son­nenenergienutzung in jedem der Perimeter hat; dazu verbindet man die ­Beurteilung von Wirtschaftlichkeit und Effizienz der ­Anlagen mit der Einschätzung von deren Verträglichkeit mit den vorhandenen und zu erwartenden baukulturellen ­Qualitäten. Zuletzt werden die gewonnenen Erkenntnisse auf Datenblättern zusammengefasst.

Prioritätensetzung

Insgesamt 30 Perimeter in der Gemeinde Carouge wurden entsprechend dieser Methode untersucht, fünf davon werden in der Broschüre veranschaulicht. Zwei dieser Gebiete weisen eine hohe Priorität für die Sonnenenergienutzung auf. Es handelt sich um jene, die sich in starkem Wandel befinden, was bedeutet, dass bei Neubauten Solaranlagen aller Art in grossem Umfang installiert und integriert werden können. Werden diese Neubauten in der Nähe der Altstadt errichtet, sind die Solar­anlagen besonders sorg­fältig in die Gestaltung der Bauten zu integrieren.

Zwei der dargestellten Perimeter weisen eine mittlere Priorität auf. Es sind Gebiete mit einer in sich unterschiedlichen, weitgehend kleinmassstäblichen Bebauung. Viele der Bauten sind von geringem ­baukulturellem Wert und eignen sich als Träger von Solaranlagen oder werden wohl gelegentlich durch grössere Volumen ersetzt. Bei solchen Neubauten besteht ein grosses Potenzial zur Sonnenenergienutzung.

Das einzige Gebiet ohne Prio­rität ist der Perimeter «vieux Carouge». Das errechnete Potenzial zur Erzeugung von Solarwärme oder Solarstrom ist gering, und die hohen Denkmalwerte und die homogene Bebauung führen hier zur Einschätzung, dass auf die Installation von Solaranlagen zu verzichten ist.

Die Studie stellt fest, dass in solchen seltenen Fällen ein Ausgleich mit Perimetern, in denen die Solarenergie über das lokal benötigte Mass genutzt wird, erfolgen kann. Sie empfiehlt zudem ein Crowd-Investing in eine Solarzentrale, die, wie am Beispiel der Gemeinde Yverdon-les-Bains gezeigt, durch die Gemeinde selbst errichtet und betrieben werden kann. Auch Beispiele von Solargenossenschaften, die mit oder ohne Mitwirkung der Kommune grössere und damit rentablere Anlagen finanzieren, werden in der Broschüre ­aufgeführt.

Umsetzung

Für die praktische Umsetzung durch die Gemeinden sind die Datenblätter, wie sie für die Testperimeter der Gemeinde Carouge erarbeitet worden sind, hilfreich. Sie enthalten ausführliche Texte zur Baukultur und zum Solarpotenzial (Solarwärme, Solarstrom und Solareinstrahlung auf Fassaden) sowie Angaben zum Gesamtpotenzial für die Energieerzeugung auf Dächern und an Fassaden.

Die Untersuchung zeigt den Gemeinden auch praktische Möglichkeiten, ihre Solarstrategie, wie sie in den Datenblättern für die einzelnen Perimeter definiert ist, praktisch umzusetzen. Es werden Handlungsansätze und konkrete planerische Massnahmen aufgeführt, mit denen eine Gemeinde eine aktive Solarpolitik betreiben kann.

Diese Hinweise sind verdeutlicht mit Serien anschaulicher Pläne. Sie zeigen die Gebäudenutzung, kan­tonale Schutzmassnahmen, Brutto­einstrahlung auf den nutzbaren ­Bruttodachflächen und das Potenzial für die Deckung des jährlichen Warmwasserbedarfs, beziehungsweise die in­stallierbare Leistung pro Gebäude.

Die Methode ist in einer handlichen und übersichtlichen Broschüre dargestellt. In ihrer ansprechenden Gestaltung (nur Sinn und Gewinn der unbeholfen verfremdeten Farbfotografien erschliessen sich nicht) wird sie die Gemeinden animieren können, die Solarkultur konkret anzugehen und Solarenergie gekonnt mit Baukultur zu verbinden – es lohnt sich.

 

Anmerkung

1 Reto Camponovo, Anita Frei (éd.),
La planification solaire globale, une démarche au service de la transition énergétique et d’une culture du bâti de qualité. Rapport d’étude. HEPIA, Genève 2018

 

Die Arbeit kann in Deutsch, Französisch oder Italienisch beim Bundesamt für Kultur bezogen oder als PDF heruntergeladen werden.

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