SIA: We­der Frei­zeit­park noch Agrar­wüs­te

Grundlagen für eine «Strategie Landschaft» des SIA

Was wird aus dem Land, wenn unsere Städte wachsen? Naturnahe Erholungsräume konkurrieren nur scheinbar mit dem Schutz von Agrarflächen – ein schlüssiges Integrationskonzept muss die divergierenden Ansprüche an die Landschaft versöhnen.

Publikationsdatum
18-06-2015
Revision
05-11-2015

Die Revision des Raumplanungsgesetzes ist ein klares Signal für die Innenentwicklung von Städten und Dörfern. Darüber wurde in den letzten Wochen und Monaten viel diskutiert und geschrieben. Die Beschränkung der Siedlungsgebiete auf ihre bestehenden Aussengrenzen ist ein grosses Anliegen der Bevölkerung und wird durch immer neue Initiativen und Vorstösse bestätigt, die einen besseren Schutz des Kulturlands verlangen. Da sind zum einen die Anliegen der Landwirtschaft, die unter dem Schlagwort der Ernährungssicherheit einen höheren Schutz der ackerfähigen Böden verlangen; da ist die kürzlich lancierte Initiative der jungen Grünen, die einen Stopp der Zersiedlung fordert. 

Neues Verständnis von Landschaft

Und da ist die Diskussion um die zweite Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes, die ebenfalls einen stärkeren Schutz der Fruchtfolgeflächen und eine Überarbeitung der Vorschriften zum Bauen ausserhalb der Bauzonen vorsieht.

Welche Bedeutung hat nun aber diese Landschaft, die immer besser geschützt werden soll, im Hinblick auf die Lebensqualität in einer auf 10 Millionen Menschen anwachsenden Schweiz? Wir stellen diese Frage im Kontext einer Schweiz, die sich wandelt – ein Wandel, der zugleich nach einem neuen Verständnis der Landschaft und ihrer Aufgaben verlangt. 

Das für die nächsten Jahre prognostizierte Wachstum wird sich vor allem in den Metropolitanräumen und den Agglomerationen vollziehen. Es geht einher mit zunehmender baulicher Dichte, aber auch mit weiteren Abwanderungen aus den ländlichen Räumen. Die Bevölkerung wird zunehmend urbaner – gleichzeitig wird der Ruf nach Heimat, die Sehnsucht nach Identifikation immer stärker. Kaum etwas ist in diesem Sinn identitätsstiftender als die Landschaft bzw. die Bilder, die sich im kollektiven Gedächtnis von den alten Kulturlandschaften eingeprägt haben.

Landwirtschaft: Abschied von den Kleinbetrieben

Auf der anderen Seite beobachten wir auch in der Landwirtschaft einen einschneidenden Wandel: Viele kleine Betriebe geben auf oder werden nur noch in Teilzeit geführt. Obschon in den vergangenen Jahren grosse Anstrengungen und vor allem finanzielle Anreize für eine Ökologisierung und Extensivierung der Landwirtschaft unternommen wurden, nimmt die Intensivierung bei den grossen Betrieben unaufhaltsam zu. Zugleich gehen kleinteilige Strukturen, Vielfalt und traditionelle Raumbilder, aber auch die Lebensräume vieler Tier- und Pflanzenarten zusehends verloren. 

In der laufenden Diskussion konkurrieren Ansprüche an die Lebensqualität einer zunehmend urbanen Gesellschaft, an die Biodi­versität und die Vielfalt einerseits mit der landwirtschaftlichen Pro­duk­tion und strengen Schutzvorschriften anderseits. Das führt zur Forderung nach Sicherung von Flächenkontingenten für diverse Ansprüche, obwohl eigentlich eine ganzheitliche und differenzierte Interessenabwägung über Qualitäten und Ziele stattfinden müsste. 

Wie kann der SIA darauf ­reagieren? Wo muss der Verein, der in einem seiner Leitsätze das Engagement für einen nachhaltig gestalteten Lebensraum deutlich macht, seine diesbezüglichen Anstrengungen konzentrieren? In der SIA-Berufsgruppe Umwelt (BGU) sind verschiedene in der Landschaft aktive Fachdisziplinen vereinigt. Mit einer Serie von Workshops hat sich eine Arbeitsgruppe der BGU intensiv mit diesen Fragen beschäftigt. 

Moderiert von Jürg Honegger erarbeiteten die Teilnehmenden mit der Methode Netmapping eine sogenannte «Erfolgslogik Landschaft». In einer Art Landkarte bringt sie Zielgrössen und Hebel in einen Wirkungszusammenhang. ­Erfolgslogik heisst sie, weil auf der Basis der gemeinsamen Definition und Bewertung von Zielgrössen der Erfolg beurteilt werden kann. 

Aus der Erarbeitung der Erfolgslogik resultieren folgende Erkenntnisse, die zwar nicht grund­legend neu sind, aber klären helfen, in welche Richtung die Anstrengungen gehen sollen.

Erfolgslogik Landschaft: Zwei Wirkungskreisläufe

1. In der Erfolgslogik werden zwei Wirkungskreisläufe unterschieden: 

Der Anreiz- und Nutzungsregelungskreis bildet die Produktion und die daraus resultierende Wertschöpfung ab, während der Vielfalts- und Wahrnehmungskreislauf die Wahrnehmung und Identität, die Qualitäten des Landschaftsbilds und die daraus resultierende Wertschöpfung abbildet. Die quantitativen Zielgrössen im ersten Wirkungskreislauf sind Flächen und die daraus resultierende Produktion z. B. von landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Produkten, aber auch von Ökosystemleistungen.

Die Zielgrössen im zweiten Wirkungskreislauf sind eher qualitativer Natur: Vielfalt der Lebensräume, Wahrnehmung und Identität oder die Qualität des Landschaftsbilds sowie Erholungswert.  

2. Die Hebelfaktoren, die diese Zielgrössen beeinflussen, sind charakterisiert durch sektorale Planungen, Projekte und Finanzflüsse. Um die genannten quali­tativen Zielgrössen verbessern zu können, müssen zwingend multisektorielle Planungen sowie ihre Finanzierung gestärkt werden. Als zentraler Hebel ist somit die Bedeutung der sektorenübergreifenden Planungen und Projekte zu stärken.

Soll auch in einer 10-Millionen-Schweiz die heutige hohe Lebens- und Standortqualität bewahrt werden, kann nicht länger die Ernährungssicherheit bzw. die Erhöhung der Produktion im Zentrum der Anstrengungen stehen. Vielmehr muss die Qualität der Kulturlandschaft als Gegengewicht zu immer dichteren Städten und Agglomeratio­nen stärkeres Augenmerk erhalten. 

Das Engagement des SIA zur nachhaltigen Landschaftsgestal­tung muss sich also darauf konzentrieren, in den Bereichen Vielfalt, Landschaftsqualität und -wahrnehmung sowie Erholungswert entscheidende Verbesserungen zu erzielen, ohne dabei die Anliegen der Produktion aus den Augen zu ver­lieren. Damit das gelingt, sind umfassende und methodisch korrekte Verfahren zur Interessenabwägung und angemessene Partizipations­verfahren zwingend notwendig. 

Der Ergebnisbericht der Workshops der Berufsgruppe Umwelt des SIA: «Grundlagen für eine Strategie Landschaft: Wirkungszusammenhänge, Ziele und Massnahmenvorschläge» kann demnächst auf der Internetseite der BGU abgerufen werden: www.sia.ch/de/der-sia/berufsgruppen/umwelt 

Verwandte Beiträge