SIA: Wachs­tum ge­stal­ten, Zer­sie­de­lung stop­pen

Viele fürchten Zersiedelung und Überbevölkerung der Schweiz – aber ist wirklich das Wachstum das Problem oder ein Raumplanungsgesetz mit zersplitterten Kompetenzen, das die Naturräume unzureichend schützt?

Publikationsdatum
27-02-2015
Revision
05-11-2015

Die Schweizer Bevölkerung wächst schnell. Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) hat die ständige Wohnbe­völkerung der Schweiz 2013 erneut um 100.000 Personen oder 1.3% zugelegt. In den neuesten Daten des Bundesamts für Migration (BfM) für Januar bis Oktober 2014 setzt sich dieser Trend fort; auch im nächsten Jahr wird die Bevölkerung, den ­Geburtenüberschuss eingerechnet, ungefähr im selben Mass wachsen. Zwischen dem Bevölkerungs- und dem Siedlungswachstum besteht ein direkter Zusammenhang: Mehr Menschen brauchen mehr Wohn- und Arbeitsraum, mehr Strassen, Schienen und mehr Versorgungs­infrastruktur. 
Geht man davon aus, dass die Schweiz in den kommenden 20 Jahren im bisherigen Tempo wächst, dann sind es 2035 rund 10 Mio. Einwohner und Einwohnerinnen. Das wären 2 Mio. mehr als heute.

Visionen für eine wachsende Schweiz

Angesichts dieser Zahlen und in Kenntnis der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative ist es klug, die Chancen und Risiken dieser Wachstumsdynamik zu bedenken. Es gilt Wege aufzuzeigen, wie Wirtschaftsentwicklung und Wachstum ohne weitere Zersiedlung und Verluste an natürlichen Landschaftsräumen möglich sind. Planer, Architektinnen und Ingenieure haben Bilder einer künftigen Schweiz zu entwerfen und überzeugend darzulegen, wie unser Land sich auf eine wachsende Bevölkerung einrichten kann, ohne kollabierende Verkehrsnetze und ohne dabei seinen einzigartigen Charakter zu verlieren oder wertvolle Naturräume preiszugeben – wie also eine wachsende Schweiz aussehen und funktionieren kann. Das ist Kompetenz und Verpflichtung der Planer. Man darf zu Recht fragen, ob der Wachstum das Problem ist oder eine unzureichend strikte raumplanerische Steuerung. Gefragt ist eine weitsichtige Raumplanungsgesetzgebung, die eben dafür die Voraussetzungen schafft. 

Wir greifen zwei aus unserer Sicht zentrale und aktuelle Fragestellungen auf, die auch im Blick auf die zweite Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes von grosser Bedeutung sind.

1. Landschaftsqualität weiterent­wickeln

Wie mehrere Volksentscheide der vergangenen drei Jahre gezeigt haben, ­lehnen weite Bevölkerungskreise die zunehmende Zersiedlung der Schweiz ab. Mehr Dichte in den Agglomerationen erfordert attraktiven Freiraum innerhalb des Siedlungsgebiets, aber auch in dessen nahem und weiterem Umfeld. Dank der im Raumplanungsgesetz wegweisend festgeschriebenen Trennung der Baugebiete von Nicht-Baugebieten und der ersten Gesetzesrevision, die darauf zielte, eine weitere Ausdehnung der Baugebiete zu verhindern, sollte weiterer Zersiedlung ein Riegel vorgeschoben sein – wäre da nicht das Bauen ausserhalb der ­Bauzonen: Gemäss Monitoring des ARE hat gerade das Bauen auf eigentlich gar nicht dafür vorgesehenem Terrain bis heute rund 600.000 Gebäude hervorgebracht, was 24% des Gesamtgebäudebestands der Schweiz entspricht. Da diese Häuser noch dazu meist als Solitäre situiert und kaum in ein Gesamtsiedlungskonzept eingebunden sind, sind sie es, die die Zersiedelung in unserem Land vorantreiben!

Die immer wieder vorgebrachte Forderung, den Schutz der Fruchtfolgeflächen und der acker­fähigen Böden auszuweiten, ist nicht zielführend und schränkt die Handlungsspielräume zu stark ein. Viel zu unausgewogen wird der Fokus noch immer auf die landwirtschaftliche Intensivnutzung und die Selbstversorgung der Schweiz gelegt. Doch für viele Menschen sind die Gebiete ausserhalb der Bauzonen vor allem als Erholungsraum wichtig, und das erfordert entsprechende integrale Nutzungsmöglichkeiten. Es kommt daher nicht nur darauf an, das Bauen ausserhalb der Bauzonen in Zukunft deutlich restriktiver zu hand­haben – es gilt auch, die Landschaft insbesondere im Umfeld dicht besiedelter Gebiete nachhaltig weiterzuentwickeln und so zu gestalten, dass sie langfristig als Natur- und Identifikationsraum fungieren kann. Diese Diskussion lässt sich aber eben nicht an der Sicherung von  Flächenkontingenten festmachen. Sie muss vielmehr im Rahmen einer Interessenabwägung über Ziele und Qualitäten im Richtplanprozess geführt werden.

2. Denken in Handlungsräumen von nationaler Bedeutung

Die drei Metropolitanräume Basel, Zürich und der Arc Lémanique sowie die Hauptstadtregion Bern sind die Wirtschaftsmotoren der Schweiz. Die räumliche Entwicklung in allen drei Metropolitanräumen ist von hoher Relevanz für das ganze Land. Sie sind deshalb als Handlungsräume von nationaler Bedeutung zu behandeln. 

Mit dem Wandel von der produzierenden Industrie hin zu einer wissensbasierten Ökonomie sind sie zunehmend dem internationalen Standortwettbewerb ausgesetzt. Faktoren wie überregionale Er­reichbarkeit, ein leistungsfähiges Nahverkehrsnetz, die Nähe zu ­Hochschulen und nicht zuletzt die Lebensqualität durch attraktive Landschaften in unmittelbarer Nähe der Städte sind im internationalen Wettbewerb der Metropoli­tanräume um Arbeitskräfte und Firmenansiedlungen von zentraler Bedeutung. Daher ist es eine nationale Schwerpunktaufgabe, mit einer klugen und zielorientierten Raumplanung die Leistungsfähigkeit und Attraktivität dieser Räume lang­fristig zu sichern. Es handelt sich dabei aber um Planungsaufgaben, die die Kompetenzen der einzelnen Akteure übersteigen. 

Heute behindern diverse, an den politischen Grenzen orientierte Kompetenzzuteilungen diese Entwicklung: So ist die Raumplanung gemäss Verfassung Aufgabe der Kantone. Gemeinsam mit den Gemeinden sind sie Planungsträger für die Siedlungsentwicklung, während der Bund für die nationale Verkehrsinfrastrukturen verantwortlich zeichnet. Zudem sind ihm über die Sachpläne raumplanerische Kompetenzen zur Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben zugewiesen. Nach wie vor behindern aber Eigen­interessen der Gemeinden, Kantone und des Bundes die zielführende Entscheidungsfindung. Die nun anstehende zweite Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes bietet die Gelegenheit, die Kompetenzen zu klären und neu zu ordnen.

So braucht es die Verankerung der Handlungsräume von nationaler Bedeutung im Raumplanungsgesetz. Zu klären ist, ob es dazu sogar einer Verfassungsänderung bedarf. Der Bund (das Bundesamt für Raumentwicklung) muss dabei die notwendigen Kompetenzen erhalten, als Partner der Kantone, Städte und Gemeinden mitzuplanen und wenn nötig sogar die Federführung des Planungsprozesses zu übernehmen. 

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