Planen und bauen – bald nur digital?
Bau- und Planungsprozesse
BIM stösst in der Praxis auf viel Skepsis und Kritik. Doch die Digitalisierung der Planung schreitet unaufhaltsam voran. Es braucht viel Information und Aufklärung, um auszuloten, wie die neue Methode den besten Nutzen bringt und wo Handlungsbedarf besteht.
Seit je tun sich Planende – vornehmlich aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen – sowie ein Grossteil der Bauindustrie schwer mit neuen Planungs- und Ausführungsprozessen. Auch die Einführung neuer Produkte auf dem Bau erfolgt meist nach langwierigen, auf gesetzlicher Basis vorgeschriebenen Validierungsstufen. Hier ist nicht allein die landesweite Überregulierung zu rügen, die das Einführen neuer Bauprodukte oft erschwert.
Auch bei den Planenden ist eine gewisse Lustlosigkeit zu beobachten, sich mit neuen Planungsabläufen und Formen der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Daraus schliessen professionelle Bauherrschaften einen Kompetenzverlust unter den Betroffenen, der letztlich einen Vertrauensverlust zwischen den Beteiligten zur Folge hat. Dieser Tenor hat mittlerweile auch Laien und Politiker erfasst, und das Bauen wird landläufig eher mit Rückständigkeit als mit Innovation in Verbindung gebracht.
Doch es tut sich etwas in der Mottenkiste des Bauens. Während Apps unaufhaltsam unseren Alltag gestalten, entwickelt sich parallel mit viel Euphorie die Digitalisierung im Bauwesen. Deren Anwendung erfolgt jedoch mit grosser Zurückhaltung. Welche Veränderungen sind zu erwarten? Wird die fortschreitende Digitalisierung unseres Alltags auch in die Bauprozesse eingreifen und diese in Zukunft verändern?
Zu früh für Vorschriften
Der Anspruch der Digitalisierung im Bauwesen – und im Speziellen die Einführung des Building Information Modelling, kurz BIM – verursacht Nervosität in der Praxis. Eine Schwemme von Einladungen zu Anlässen überflutet zurzeit die Briefkästen und Mailboxen der Planungsbüros. Eine gewisse Ratlosigkeit hat sich unter Architekten und Ingenieuren breitgemacht, und der Ruf nach anwendbaren Regeln erschallt. Zu Recht vielleicht, denn Länder wie Grossbritannien, die Niederlande, Dänemark, Norwegen und Finnland treiben die Anwendung der Digitalisierung voran und schreiben die Nutzung von BIM bei öffentlich finanzierten Bauvorhaben bereits vor.
Öffentliche Stellen versuchen zu regeln, wie in Zukunft zu planen und zu bauen ist. Dieses Vorgehen ist gefährlich, da die wenigen unter Verwendung von BIM geplanten Bauten bisher zu wenig Erfahrungspotenzial erkennen lassen, um daraus gesetzliche Grundlagen für die Planung, den Bau und den Betrieb zu formulieren. Zu viele Anliegen der Prozessregulierung werden über Behauptungen und Spekulationen hergeleitet, die noch zu beweisen sind.
Deshalb schätze ich die Zurückhaltung des Schweizers und der Schweizerin in Sachen Digitalisierung im Bauwesen. Bevor wir über neue Methoden und deren Auswirkungen mutmassen, sind deren Anwendung in der Praxis zu prüfen und die Einflüsse auf Planung und Ausführung zu validieren. Reale und interessante Objekte wie die Baustelle des Arch_Tec_Lab, des neuen Zuhauses des Instituts für Technologie in der Architektur (ITA) an der ETH Zürich, in BIM geplant und roboterunterstützt gebaut, oder die Planung des Neubaus des Kinderspitals in Zürich sind gute Beispiele, um Erfahrungswerte zu sammeln und daraus Rückschlüsse auf den Planungsprozess zu ziehen.
Aufklärung ist nötig
Spezialisten und Berater haben die Stimmung und die Lage am Markt erkannt; sie besetzen eilig die offenen Felder der Digitalisierung im Bauprozess. Softwares drängen auf den Markt, man spricht bereits von «Little BIM» oder «Big BIM» und versucht, die Betroffenen an Produkte und Lizenzen zu binden – lang bevor die Berufsverbände synchronisiert Position bezogen haben und die Methode geklärt ist.
Ungeachtet dessen führen viele Architektur- und Ingenieurbüros ihre tradierten Planungs- und Konstruktionsmethoden weiter. Zwei gegensätzliche Lager haben sich geformt: die vorauseilenden Opportunisten contra die sperrigen Bewahrer. Die einen haben Angst, Aufträge zu verlieren, die anderen fürchten sich vor dem Unbekannten. Was ist zu tun?
Um der Unsicherheit entgegenzutreten, braucht es eine Aufklärung zu Fragen der Digitalisierung und im Speziellen zu BIM. Die im Internet publizierten Definitionen sind in der Regel terminologisch korrekt, bringen die Betroffenen jedoch nicht wirklich weiter. Genauso wenig tun dies Workshops, die zum Ziel haben, Softwareprodukte oder Beratungsmandate zu vermitteln.
Tatsache ist, dass die Digitalisierung bereits stattgefunden hat und wir die Allgegenwart der Informationstechnologien auch im Bauwesen anerkennen müssen. BIM ist Realität! BIM löst jedoch ebenso wenig die in der Schweiz bewährte Entwurfs- und Konstruktionslogik ab, wie es das Bauen per se nicht über alle Lebenszyklen koordinierter, mängelfreier, schneller und günstiger machen wird.
Urheberrecht ungeklärt
Neben aller Skepsis kann die computergestützte Modellierung von Gebäudedaten sinnvoll angewendet werden. Aus einem unübersichtlichen Datenchaos lassen sich konsistente, von der Planung über die Fabrikation bis zur Bewirtschaftung hin koordinierte Datenflüsse etablieren. Nennen wir es eine Art maschinensprachentaugliche Verständigung, die jedoch nicht das Ausmass der menschlichen Verständigung ablösen kann und wird. Die Digitalisierung schafft damit durchaus Mehrwerte und hilft, die klassischen Brüche in der Kette zwischen Planung, Realisierung und Bewirtschaftung unaufgeregt zu überwinden.
Vermutlich wird in der Folge mehr Zeit für das Wesentliche frei und das Kerngeschäft der Planer gestärkt. Kompetent angewendet kann die Informationstechnologie neue gestalterische Freiräume erschliessen und gleichzeitig aufseite der Ausführenden und der Auftraggeber Mehrwerte in Form von Effizienzgewinnen erzeugen.
Daneben dokumentiert die Digitalisierung ein hohes Mass an Transparenz. Der virtuelle digitale Datenspeicher, neudeutsch Cloud, lagert sozusagen das gläserne Modell des geplanten Objekts ein. Wem der Zugriff gewährt ist, hat neben der Einsicht in die laufende Planung auch die Möglichkeit, Anpassungen anzubringen. Dies tangiert ganz wesentlich die Rolle des Architekten und Ingenieurs, etwa deren Autonomie beim Entwerfen und deren Rechtsanspruch auf die Planungsergebnisse. Hier ist das Urheberrecht gefordert.
Eine weitere Kunst wird es sein, die Dichte der Inhalte und den Grad an Informationen auf die spezifischen Planungs- und Bauphasen abzustimmen: Ergibt der kürzlich bei einem Schweizer Ausschreibungsverfahren geortete hohe Detaillierungsgrad der geforderten Anwendung von BIM für die Beurteilung eines Planungswettbewerbs Sinn? Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, ist es Zeit, dass etablierte, in der Praxis tätige Architekten und Ingenieure in das Geschehen eingreifen, Erfahrungswerte offenlegen und sich in die Erarbeitung von Grundlagen miteinbringen.
Ich erinnere an die schleppende Einführung des Computer Aided Design, kurz CAD, Mitte der 1980er-Jahre. Eine ungenügende Aufklärung führte anfänglich zu Skepsis und Ablehnung. Zehn Jahre später erliess der SIA Merkblätter zu einem koordinierten Datenaustausch und zur Struktur von Layerorganisationen. In der Folge beruhigten sich die Gemüter, und die Technologie des CAD gehört heute zu den üblichen Instrumenten der Planung im Hoch- und Tiefbau. Deshalb ist die Zeit reif, unter den Informationsmodellen Ordnung zu schaffen.
Der SIA schaltet sich ein
Endlich hat es sich der SIA zur Aufgabe gemacht, federführend und koordinierend in das Geschehen einzugreifen. Ziel ist es, die wesentlichen Standards im Konsens mit weiteren betroffenen Berufsverbänden zu setzen. An einem ersten runden Tisch zwischen SIA, KBOB / IPB und CRB wurde beschlossen, den SIA damit zu beauftragen, auf Ende 2015 in einem Positionspapier zu den Eckwerten der Digitalisierung im Bauwesen Stellung zu nehmen.
Parallel entwirft der SIA unter der Mitwirkung von Kollegen und Kolleginnen aus der Praxis ein Merkblatt zur Verständigung und Anwendung von BIM. Daneben wird an Dokumentationen gearbeitet, die Erfahrungswerte aus der Praxis in der Anwendung von BIM sammeln. Zu guter Letzt steht in Aussicht, ab 2016 von SIA, KBOB / IPB und CRB eine unabhängige Informationsplattform zu installieren, um Fragen aus der Praxis zur Digitalisierung im Bauwesen kompetent und produktneutral zu beantworten.
Neben allem guten Willen zur digitalisierten Kommunikation und Koordination sollten wir Folgendes nicht ausser Acht lassen: Die Schweizer Baukultur vereint von jeher geistes- und naturwissenschaftliche, technische und handwerkliche sowie künstlerische Disziplinen. In rasantem Tempo entwickeln sich laufend neue Technologien, die das Bauen in der Zukunft beeinflussen werden. Deshalb braucht es neben dem Erhalt und der steten Weiterentwicklung unserer kulturell verankerten Entwurfs- und Konstruktionspraxis auch den Brückenschlag zur Digitalisierung.
Darüber hinaus bedarf es der Neugierde, neue Wege einzuschlagen. Damit schaffen wir die nötige Freiheit in der Gestaltung und Entwicklung, um die drängenden Fragen um die Zukunft unserer Städte und Landschaften zu beantworten. Die hochwertigen und inhaltlich differenziert aufgebauten Ausbildungen an unseren Universitäten und Fachhochschulen vermitteln bereits beide Welten. Nun gilt es, die Praxis dahin gehend zu überzeugen!