«Ich lern­te ei­nen SIA ken­nen, der vie­les gut macht»

Peter Dransfeld blickt zurück auf seine ersten Monate als SIA-Präsident. Dabei umreisst er die drängendsten Herausforderungen für den Berufsverband und verrät, wovor er Respekt hat und welche Rolle der Bodensee in seinem Alltag spielt.

Publikationsdatum
15-09-2021

SIA: Herr Dransfeld, In Ihrem ersten Interview als SIA-Präsident sagten Sie, dass Sie Geschäftsführer Ihres Architekturbüros, Politiker, Sänger, Fasnächtler und Bergwanderer seien. Auf was haben Sie in den letzten Monaten verzichten müssen?

Peter Dransfeld: In der Politik habe ich mich auf die Rolle eines wenig aktiven Parlamentariers zurückgezogen. Gesang und Fasnacht waren aus naheliegenden Gründen kein grosses Thema. Aber für einige Tage Bergwandern in einsamen Tessiner Tälern hat es gereicht. Im Übrigen war der Einstieg in mein neues Amt trotz grosser Arbeitslast ausgesprochen belebend und motivierend.

Wie sieht bei Ihnen ein typischer Arbeitstag aus?

Mein Arbeitstag beginnt gewöhnlich um sieben Uhr. Davor schwimme ich in den Sommermonaten täglich im Bodensee. Meist bin ich der Erste im Büro. Es folgen die Lernenden und übrigen Mitarbeitenden, mit denen ich mich regelmässig und gern austausche, oft in der Kaffeepause, beim Mittagessen oder Feierabend­bier. Mein typischer Donnerstag beginnt ebenfalls um 7 Uhr im Büro. Nach einer Stunde steige ich in den Zug nach Zürich. Dort nehme ich Termine wahr, die meisten auf der SIA-Geschäftsstelle. In der Regel bin ich jeden Tag irgendwann aktiv für den SIA. Rund die Hälfte dieser Arbeit leiste ich in meinem Büro, die andere Hälfte in Zürich oder an­derenorts in der Schweiz.

Es ist Ihnen ein wichtiges Anliegen, Kontakte zu knüpfen. Wie gut ist Ihnen das in den letzten Monaten gelungen?

Ich habe tatsächlich bereits zahlreiche aufschlussreiche Gespräche geführt, etwa mit Vertreterinnen und Vertretern der Sektionen, vor allem aus der Westschweiz, und mit Mitgliedern der Berufsgruppen, Fachräte, Kommissionen sowie dem espazium-Verlag. Hinzu kamen zahlreiche wertvolle Kontakte innerhalb der Geschäftsstelle und des Vorstands. Ausserhalb des SIA gab es eine Reihe aufschlussreicher Gespräche mit dem Bund Schweizer Archi­tekten (BSA), Bauenschweiz, der Conférence Suisse des Architectes (CSA), Hochschulen, zwei Generalunternehmungen und Vertre­terinnen und Vertretern der Bauwirtschaft.

Und mit den SIA-Mitgliedern?

Gern hätte ich mich auch mit der SIA-Basis stärker aus­getauscht. Leider gab es bedingt durch die Pandemie nur wenige Veranstaltungen, bei denen ein direkter Kontakt möglich war. Ich erwarte aber in den kommenden Monaten eine Reihe von Begegnungen mit unseren Mitgliedern.

Können Sie schon Resultate aus Ihren Gesprächen vermelden?

Einiges deutet sich an. Ich will aber laufenden Gesprächen nicht vorgreifen. Wertvoll ist das wohlwollende, hilfsbereite und konstruktive Klima, dem ich begegnet bin: eine gute Basis, um aktuelle und künftige Herausforderungen zu meistern.

Welchen Eindruck haben Sie vom SIA erhalten?

Ich lernte einen SIA kennen, der vieles gut oder sehr gut macht, der professionell aufgestellt ist und ein sehr gutes Arbeitsklima pflegt. Er ist eine komplexe Organisation, die trotz der Vielfalt an Strukturen, Prozessen, Beteiligten und Inhalten seine Aufgaben sehr erfolgreich meistert. Dass dies nicht ausnahmslos gelingt, ist unvermeidbar. Ich lernte auch einen SIA kennen, von dem sehr Unterschiedliches erwartet wird. Wir können nicht allem gerecht werden, müssen aber alles daransetzen, der Vielfalt an Erwartungen unserer Mitglieder gerecht zu werden. Sich dabei nicht zu verzetteln ist eine weitere Herausforderung. Müsste ich eine Kernherausforderung nennen, dann wären das bei den Inhalten die bauliche Verdichtung und der nachhaltige Umbau unserer Bauwelt, bei den Prozessen die Honorierung und das Vergabe­wesen sowie der digitale Wandel.

Bei der Digitalisierung sprechen viele von einer Revolution. Da kann nicht lang zugewartet werden.

Der digitale Wandel ist unaufhaltsam. In meiner Wahrnehmung gehen wir vernünftig damit um, im Privaten ebenso wie im Berufsleben. Was neu ist, wird erprobt. Bewährt es sich, verbreitet es sich. Die Digitalisierung ist eine Entwicklung von unten, sie muss weder verordnet noch gelenkt werden. Das Wesen echter Innovation liegt darin, dass wir sie kaum voraussehen und dass wir in einigen Jahren ganz selbstverständlich Lösungen haben werden, die wir heute kaum erahnen, oder dass wir vermeintlich Zukunftsfähiges rasch wieder aufgeben. Wir sollten als Fachverband einen offenen Rahmen bieten, in dem unsere Mitglieder, aber auch die ganze Bauwirtschaft gute Lösungen ohne unnötige Hindernisse umsetzen können. Ein beachtlicher digitaler Wandel hat in den vergangenen 40 Jahren erstaunlich gut funktioniert, und ich bin zuversichtlich, dass er das auch in den kommenden Jahrzehnten tun wird.

Welche Rolle werden die SIA-Normen in Zukunft spielen? Und warum dauert es so lang, bis eine neue Norm erhältlich ist?

Man könnte auch fragen, weshalb die SIA-Normen schlank und praxisnah sind, weshalb sie breit akzeptiert und anerkannt sind. Das ist der Verdienst einer immensen ehrenamtlichen Arbeit von Leuten aus der Praxis, auch von vielen Nicht-SIA-Mitgliedern. Die breite Abstützung in der  Bauwirtschaft und die zahlreichen Mitsprachemöglichkeiten erfordern Zeit. Das scheint mir aber ver­­tretbar. Wer innovativ bauen will – ich rede aus der eigenen Praxis –, ist frei, neue Lösungen zu wählen, die nirgends normiert sind. Bewähren sich diese, werden sie vielleicht später zur Norm.
Normen bilden nach meinem Verständnis nicht Wünsche und Visionen ab, sondern das, was sich seit Jahren bewährt. Sie dürfen uns aber nicht daran hindern, Neues zu erforschen und zu erproben. Unsere Normen sollten nach dem Motto «So viel wie nötig und so wenig wie möglich» nicht mehr regeln als das, was einem grossen Bedürfnis der Baupraxis entspricht.

Was hat Ihnen als SIA-Präsident bis jetzt am meisten Freude bereitet?

Der Austausch mit Menschen in unterschiedlichen Lebens- und Berufssituationen, die in irgendeiner Weise zu einer guten Baukultur beitragen. Diese Gespräche waren inspirierend und anregend. Umso schöner war für mich, dass viele auf Französisch, in der Sprache meiner Kindheit, stattfanden.

Was war besonders intensiv oder überraschend?

Zeitintensiv sind die langen Reisen quer durch die Schweiz, die ich aber auch geniesse. Intensiv sind das Koordinieren unzähliger Termine und das Zurechtfinden in einem Geflecht von Namen und Organisationen, die mir noch neu sind. Besonders fordern werden mich die beiden wichtigsten Termine im SIA-Jahr, das Forum und die Delegiertenversammlung. Ich freue mich sehr darauf, habe aber auch Respekt davor. Es liegt in der Natur meiner Aufgabe, dass täglich Überraschungen warten. Völlig Unerwartetes ist mir aber nicht begegnet.

Welche weiteren Herausforderungen erwarten Sie in den nächsten Monaten?

Wichtige bevorstehende Daten sind Tagungen zu Baukultur, Kreislaufwirtschaft und Ordnungen. Hinzu kommt der Einstieg bei Bauenschweiz, der Vertretung der Schweizer Bauwirtschaft in Bern, in der uns verdankenswerter­weise bis jetzt noch mein Vorgänger Stefan Cadosch vertreten hat.

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