Pa­pier und Trag­werk blei­ben

Liechtensteinische Landesbibliothek, Vaduz; selektiver Projektwettbewerb

Im Gegensatz zum Briefverkehr, der rückläufig ist, erfreut sich Lesen immer noch gleichbleibender Beliebtheit. Wen wundert es da, dass die Post in Vaduz zugunsten der neuen Bibliothek den Platz räumen muss? Der Wettbewerb für diese Nachfolge wurde im Herbst letzten Jahres entschieden.

Publikationsdatum
30-03-2023

Die Liechtensteinische Landesbibliothek bekommt mehr Raum an einem prominenten Platz unterhalb des Schlosses. Dafür muss die Post aus dem Gebäude zwischen der Äulestrasse und dem Städtle (Fussgängerzone) weichen. 29 teilnehmende Büros wurden nach einer Präqualifikation zu dem Wettbewerb, der nach nach den Grundsätzen der SIA-Ordnung 142, Ausgabe 2009, des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) ausgeschrieben und durchgeführt wurde, zugelassen. Darunter waren auch zwei «Newcomer»-Büros, die den eigentlichen Vorgaben aufgrund fehlender Referenzen nicht entsprachen. So sollen junge Planungsbüros die Chance bekommen, ihre Ideen auch ohne frühere Projekterfahrung einzureichen.

Bestand immer wichtiger

Das bestehende Gebäude aus den 1970er-Jahren, entworfen vom Architekten Franz Marok, ist bis heute von guter struktureller und hoher städtebaulicher Qualität. Da überrascht es wenig, dass alle fünf rangierten und ausgezeichneten Projekte der Endrunde die Tragstruktur beibehalten und ein gewisses Augenmerk auf den Erhalt des Bestands haben. In einer Zeit, in der kaum ein Bauprojekt ohne das Wort «nachhaltig» genannt wird, ist dies durchaus sinnvoll. Das Bestandsgebäude nutzt mit seinen kubischen Volumina das Platzangebot augenscheinlich bereits gut aus und wirkt trotz seiner 50 Jahre noch zeitgemäss bis modern. Ob ein kompletter Neubau es viel besser machen würde, ist fraglich – der Aufwand eines neuen Gebäudes dürfte aber jedenfalls bedeutend höher sein als eine Umnutzung.

Hinzu kommt, dass die Umnutzung von einem Postgebäude hin zu einer Bibliothek kaum unüberwindbare Hindernisse bieten sollte. Öffentlicher Publikumsverkehr, auch rollstuhlgerecht, ist bei beiden Nutzungen zumindest bereits im Erdgeschoss vorhanden, die Verkehrserschliessung einer Postfiliale dürfte sogar noch tauglicher sein, als es eine Bücherei benötigt, Lagerräume werden bei beiden Gebäuden benötigt und Papier bleibt nun einmal Papier. Interessant sind in Liechtenstein die statistischen Zahlen. Die etwa 39 000 Einwohnerinnen und Einwohner kommen auf Ausleihzahlen um die 200 000 pro Jahr. Fünf Sachen holt sich theoretisch jeder Liechtensteiner im Jahr aus der Bibliothek. Die 8.7 Millionen Schweizer hingegen decken sich nur mit etwa 4.5 Mil­lionen Artikeln pro Jahr ein.

Ob diese Zahlen hüben oder drüben dafür ausreichen, eine Bibliothek als Treffpunkt, Verweil- und Aufenthaltsort zu etablieren, sei dahingestellt. Ein gutes Buch liest man doch eher gemütlich zu Hause, ohne Ablenkung. Andererseits ist Liechtenstein klein – da ist ja alles irgendwie zu Hause – vielleicht entwickelt sich die Landesbibliothek gar zu einer neuen guten Stube im Städtle? Die Planungsbüros zielen jedenfalls darauf ab.

896797

Eine Architektur von schlichter Eleganz – ohne modische Attitüden – schreiben sich die erstrangierten Morger Partner Architekten aus Basel auf die Fahnen. Trotz anfänglicher Überschreitung des Projektperimeters konnten die Verfasser ihr Konzept bis zur Jurierung weiterverfolgen. Das zweite und dritte Geschoss erhalten einen vorgelagerten, zweigeschossigen Raum, was zu einem lichten, grosszügigen Raum­eindruck führt. Hier sind die eigentlichen Büchersammlungen untergebracht, aber auch Computer stehen dort zur Verfügung. Darüber, im dritten Geschoss, planten die Ar­chitekten das Magazin mit einer Compactusanlage – verschiebbaren Regalen – ein. Zu­oberst im Attika­geschoss findet die Liechtensteinische Sammlung inklusive wind­geschützter Aussenbereiche mit Blick ins Rheintal Platz. Die Lage des Magazins überzeugte die Jury jedoch noch nicht – zu trennend wirkt es zwischen den Bibliotheksbereichen in den Geschossen darunter und darüber. Punkten konnte der Entwurf hingegen mit einer guten funktionellen Aufteilung in den Erdgeschossen – die befahrene Äulestrasse und das Städtle haben unterschiedliche Geländekoten. Eine Wendeltreppe im Gebäude überbrückt diesen Höhenunterschied. Durch die Erweiterung der ein- bis zweistöckigen Basisgeschosse und die Neuordnung der Aussenbereiche ergibt sich eine Verbesserung der städtebaulichen Situation. Dies alles bei relativ geringen Eingriffen in den Bestand. Und selbst die neue Aussenansicht mit vorgesetzten Holzlamellen versteckt die Verwandtschaft mit dem Bestandsbau nicht. Papier, Tragwerk und Verwandtschaft bleiben.

Chöchin

Fischer Architekten aus Zürich setzen die Liechtensteinische Sammlung repräsentativ auf den Boden. Entlang der Äulestrasse entsteht dafür eine Ausstellungsfläche. Diese wertet die Äulestrasse zwar auf, ist aber vom Betrieb der restlichen Bibliothek auf Höhenkote des Städtle abgeschnitten. Auch eine weitere funktionelle Einschränkung überzeugt die Jury nicht: Im Erdgeschoss entfallen wertvolle Flächen für den Publikumsverkehr, da der Schalterhallenvorbau (Basisgeschoss) rückgebaut wird. Dies spielt zwar einen städtischen Vorplatz frei und lässt das Hauptgebäude von allen Seiten abgesetzt und eindrücklich erscheinen, aber eben eventuell zulasten des Betriebs. Gefallen hingegen hat die vorgehängte Fassade aus Streckmetall. Ihr wird ein ephemerer, leichter und luftiger Ausdruck und eine angemessene Repräsentation des öffentlichen Gebäudes – auch bei nächtlicher Beleuchtung – bescheinigt.

Garten Eden

Eine statisch freitragende Fassadenkonstruktion mit Holzstützen wählen Itten + Brechbühl aus St. Gallen. Sämtliche Fassadenelemente – sowohl Photovoltaikmodule als auch als Kastenfenster ausgebildete Glasbauteile werden an den Stützen montiert. Der Bestandsbau dient nur als Rückverankerung der neuen Hülle. Dadurch und durch einen Anbau über den Basisgeschossen, der mit einer Dachterrasse gekrönt wird, strahlt die Bibliothek als kompakter, ruhiger Baukörper nach allen Seiten aus. Ein wichtiger Punkt der Verfasser war die bessere Vernetzung der westlich gelegenen Äulestrasse mit dem östlich zum Hang hin gelegenen Städtle. Sogar durch die neue Bibliothek ergibt sich hier ein öffentlicher Durchgang zwischen den Strassen. Ein gelungener Entwurf – allerdings nahm die Jury Abstand von der gewählten Fassadenholzkon­struktion. Sie bescheinigt ihr eine zu geringe Lebensdauer, da die tragenden Bauteile der Witterung ausgesetzt sind.

Helga

Das Gelände um das Bestandsgebäude wird von Ortner & Ortner Baukunst von Architekten aus Berlin aufgeräumt. Sie entfernen etwa die Flachbauten der Basisgeschosse, versehen den Bestand mit grossen Glasflächen und umlaufenden, photovoltaikbedeckten Vordächern und lassen das Ganze auf einem massiven Sockel ruhen. Der somit als Solitär wirkende Baukörper wirkt elegant, überzeugte die Jury jedoch städtebaulich und aufgrund einiger funktionaler Einschränkungen nicht gänzlich.

Doucement

Besonders bestandsschonend nutzen die Planer von Dürig aus Zürich das Gebäude um. Mit minimalen Eingriffen bekommen sie bereits das geforderte Raumprogramm in das vorhandene Gebäude: Das Attika­geschoss erhält eine Erweiterung, die über die Äulestrasse auskragenden Basisgeschosse werden unterbaut und eine kleinere Glasfassade ergibt einen neuen Eingangsbereich. Selbst Paneele der Bestandsfassade finden aufgefrischt Wiederverwendung. Dies alles und die vergleichbar niedrigen Baukosten anerkennt die Jury. Ihre Kritik bezieht sich nur auf das Design der Innenräume: Sie seien atmosphärisch zu kühl.

Lieber etwas mehr Neues

Denkt man an den zukünftigen Klimawandel, wird man sich vielleicht an kühler Atmosphäre eines Tages erfreuen. «Das öffentlich genutzte Gebäude mit hoher Strahlkraft soll die Entwicklung unserer Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit in ganz besonderer Weise verkörpern» war die Vorgabe in den Wettbewerbsunterlagen. Sind diese gros­sen, salbungsvollen Worte zur Nachhaltigkeit am konkreten Projekt eher doch nur Lippenbekenntnisse? Hat man nicht lieber doch etwas mehr «Neu» als «nur» eine Aufwertung des Bestands? Unterm Strich: Papier bleibt Papier – ob man als Postkundin oder Bibliotheksbesucher das Gebäude betritt. Vielleicht wird alles ein bisschen überbewertet, was ein solches Gebäude darstellen und können muss.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 10/2023 «Von Trennen und Fügen».

-> Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch.

Auszeichnungen

1. Rang, 1. Preis: «896795»
Morger Partner Architekten, Basel
2. Rang, 2. Preis: «Chöchin»
Fischer Architekten, Zürich
3. Rang, 3. Preis: «Garten Eden»
Itten + Brechbühl, St. Gallen
4. Rang, 4. Preis: «Helga»
Ortner & Ortner Baukunst, Berlin
5. Rang, 5. Preis: «Doucement»
Dürig, Zürich

FachJury

Dominique Felder, Architekt, Abteilungsleiter Hochbau ABI, Vaduz; Heidi Stoffel, Architektin, Zürich/Weinfelden; Helmut Dietrich, Architekt, Dipl. Ing., Bregenz; Hansjörg Vogt, Bauingenieur, Vaduz; Thomas Keller, Architekt, Schaan; Werner Binotto, Architekt, Altstätten

SachJury

Dr. Graziella Marok-Wachter, Regierungsrätin, Ministerium für Infrastruktur und Justiz, Vaduz; Manuel Frick, Regierungsrat, Ministerium für Gesellschaft und Kultur, Vaduz; Manfred Bischof, Bürgermeister, Gemeinde Vaduz; Christina Hilti, Stiftungsratspräsidentin Liechtensteinische Landesbibliothek, Vaduz; Dr. Wilfried Oehry, Landesbibliothekar, Vaduz

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