Die Geschichte der Uferplanung am Luzerner Seebecken
Zum Tag des öffentlichen Raums
Die konfliktreichen Planungsprozesse der vergangenen zwei Jahrhunderte zeigen die Irrwege der Aufschüttungspolitik. Sie führten aber zu einer neuen Seeuferzone und einem Grünraum für alle.
Durch die Verlagerung von Millionen Tonnen Gesteinsmaterial aus dem Tunnelbau oder unterirdischem Bodenaushub wurde ab 1836 das Ufer des Luzerner Seebeckens gestaltet. Die kontinuierlich erweiterten, künstlichen Aufschüttungen formten die heutige Uferlinie als neuen Landschaftsraum. In Teilen unter Naturschutz gestellt, kompensieren die Parkanlagen und Seeuferwege den fehlenden Grünraum der Innenstadt.
Der Prozess war aber in keinem Fall geradlinig. Ein Blick in die Geschichte enthüllt die Entwicklung der Uferlinie vom konfliktreichen Austarieren zwischen politischen und privaten Akteuren.
Die Entstehung der Uferzone und des «technischen Sporns»
Infolge erster Aufschüttungen und der Befestigung der Moorgebiete entstand Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe repräsentativer Hotelanlagen mit einer bis heute aufwendig gepflegten Promenade entlang des rechten Seeufers. Sie avancierte zum Anziehungspunkt zahlreicher Reisender.
Aufgrund dieser prestigeträchtigen und gewinnbringenden Entwicklung entbrannte 1865 ein Konflikt zwischen privaten Investoren, der Korporationsgemeinde und der Stadt um die begehrten Grundstücke entlang des rechten Seeufers. Mit dem Urteil des Obergerichts von 1868, der See gehöre dem Kanton, klärte sich nicht nur die rechtliche Situation zwischen den Beteiligten, sondern es wurde auch die unkontrollierte Neuerschaffung von zusätzlichen Uferflächen unterbunden.
Angesichts des Interesses der Stadt an wirtschaftlicher Expansion und der unmittelbaren Nähe zum einstigen Güterbahnhof, wurden ab Ende des 19. Jahrhunderts am linken Seeufer Flächen trockengelegt und aufgeschüttet. Hier entstanden Industrieanlagen wie die Werft und die Kiesverladestelle, die das nahegelegene Betonwerk bis heute beliefert.
Diese Nutzungseinheiten stechen als Relikte der konfliktträchtigen Planungsprozesse am Seeufer Luzerns hervor und widersprachen dem eigentlichen Ansinnen des Stadtbauplans von 1907, eine Parkanlage als Raum für die breite Öffentlichkeit zu schaffen.
Ein öffentlicher Seeuferweg mit Parkanlagen
Eine grössere, tatsächlich realisierte Aufwertung der linken Uferzone brachte die als Parkanlage und Badeort intendierte Landzunge Ufschötti – ab 1971 aufgeschüttet mit dem Aushubmaterial des Sonnenbergtunnels. Ausserdem garantierte die Stadt mit dem Bau der Fussgängerstege an der Werftanlage und dem Luzerner Quai vor dem Privatgrundstück Hausermatte einen durchgängigen öffentlichen Seeuferweg. Einzig die von privaten Anliegern initiierten Renaturierungsmassnahmen am Matthofstrand würden die bis heute öffentliche Zugängigkeit beschneiden.
Bei einer Rückschau auf die rund 200 Jahre andauernde bewegte Aufschüttungsgeschichte des Luzerner Seebeckens und einem Blick auf den heutigen heterogenen, attraktiven Erholungsort, stellt sich die Frage nach dem Erkenntnisgewinn für die Zukunft. Welche Schritte sind notwendig, damit nicht nur ein Naherholungsgebiet für alle entstehen kann, sondern auch ein Verständnis für schützenswerte Grünräume, das sich im Gesetz widerspiegelt?
Perspektiven für die Zukunft und was uns die Geschichte der Stadtplanung Luzerns lehrt
Die Geschichte des Luzerner Seeufers ist bis heute spürbar: Die künstlichen Uferausbuchtungen sind Resultat komplexer Entscheidungsverfahren und Planungsprozesse der unterschiedlichen Interessensgruppen. Der Kanton erhielt zwar per Gerichtsentscheid die Eigentumsrechte über den See und damit die Rechtsgrundlage für eine einheitliche Uferplanung.
Die inkonstante Entwicklung des Seeufers verweist aber einerseits auf die Vielstimmigkeit einer Stadt und andererseits auf die Alleingänge von Autoritäten. Für den Soziologen Lucius Burckhardt bestimmt eine «Kette der sichtbaren und unsichtbaren Entscheidungen» über das Resultat von urbaner Planung, wie wir es heute am Beispiel Luzerns nachvollziehen können. Es handelt sich nicht um ein statisches System, das die «Techniker planen», sondern um einen komplexen und unvorhersehbaren, sich ständig anpassenden Prozess.
Abstimmungs- und Workshopverfahren verschiedenster Akteurinnen und Akteure der Gesellschaft sind heutzutage oft langwierige Entscheidungsprozesse. Sie stellen aber aufgrund transparenter Planung und öffentlicher Kommunikation von stadtplanerischen Vorhaben ein starkes Gegengewicht zu politischen oder privaten Kräften dar. Sie bieten eine Plattform für Interessensaustausch und Abwägung. Transparenz, Ausdauer und das Bewusstsein für historische Prozesse der Bodenpolitik sind Grundlage einer gelebten, selbstkritischen Demokratie.