Ler­nen mit Ta­ges­licht

Die Suche nach Alternativen zum verschwenderischen Umgang mit Kunstlicht wird dringlicher. Dabei ist ein Blick auf bewährte Architekturformen hilfreich, die das Tageslicht klug nutzen. Was sich von Bildungsbauten lernen lässt, untersuchen Studierende des CAS Lichtgestaltung an der Hochschule Luzern.

Publikationsdatum
13-10-2022

Es ist nicht selbstverständlich, dass dem Tageslicht eine bedeutende Rolle bei der Gestaltung von Innenräumen zukommt. Nach Ansicht des Lichtdesigners Michael Josef Heusi ist die Tendenz sogar eher rückläufig. Diese Entwicklung ist häufig der angestrebten maximalen Ausbeute von Grund­stücken geschuldet, die zu entsprechend wenig Oberfläche – und damit möglichen Fensterflächen – im Verhältnis zur Raumtiefe führt. Dazu kommen geringere Abstände zwischen den Bebauungen, sodass diese sich gegenseitig verschatten, und das Gebot zur Einsparung von Baukosten.

Darüber hinaus gewinnt aber auch das Bedürfnis an Dringlichkeit, Betriebsenergie zu sparen und unter anderem der Nutzung des Tageslichts als schadstofffreier und kostenloser Alternative zum Kunstlicht Raum zu geben. Die widersprüchlichen Anforderungen stürzen manche Planende in ein Dilemma, aus dem heraus sie die geschlossene Form bevorzugen. Dabei ist es durchaus möglich, mit der Geometrie der Architektur auf derartige Anforderungen zu reagieren.

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Ein aktuelles Beispiel ist das 2020 entstandene Primarschulhaus Feld in Azmoos, nahe der Grenze zu Liechtenstein im Kanton St.Gallen. Den Architekten gelang ein kompaktes und somit energetisch günstiges Gebäude, das wie eine Gruppe ländlicher Ökonomiebauten daherkommt. Für die natürliche Belichtung machen sie sich neben grossen Fensteröffnungen die gefaltete Dachlandschaft zunutze, die das Volumen überspannt. Fünf nordwärts gerichtete Flächen der Satteldächer öffnen sich jeweils mit Sheds über die ganze Länge, wodurch sowohl Klassenräume als auch Erschliessungsbereiche grosszügig mit indirektem, manchmal zenitalem Tageslicht versorgt werden.

Setzen, ungenügend

Auch vonseiten Forschung und Lehre tut sich etwas. Mit der Veröffentlichung der Tageslichtnorm SN EN 17037, die ein Pendant zur bestehenden Norm zum Kunstlicht bildet, existiert seit 2019 ein Leitfaden, anhand dessen die Qualität der Lichtplanung bei Neubauten oder Sanierungen überprüft und entwickelt werden kann. Eine wachsende Anzahl von Fallstudien untermauert die Erkenntnisse in der Anwendung und stärkt damit ihre Aussagekraft. Um dieses Repertoire zu erweitern, haben Studierende im Rahmen des CAS Lichtgestaltung an der Hochschule Luzern die Tageslichtverhältnisse an bestehenden Bildungsbauten untersucht.2 

Erste Ergebnisse präsentierte Michael Josef Heusi, der die Untersuchungsreihe entwickelt hat und zusammen mit Björn Schrader das Modul «Gestalten mit Tageslicht» unterrichtet, beim Tageslicht-Symposium 2022 unter dem Titel «Zurück in die Zukunft des Tageslichts III» (Vortrag ansehen, Vortrag-Folien).3 Dabei spielt der Blick in die jüngere Architekturgeschichte eine grosse Rolle: Besonders in Bereich der Bildungsbauten haben wir es mit einem umfassenden Bestand an Schulhäusern zu tun, bei dem Klassenräume oftmals von nur einer Seite belichtet sind, zulasten einer gleichmässigen Ausleuchtung. Die mangelnde Belichtung der innen liegenden Sitzplätze geht einher mit der Blendung derjenigen, die an der Fensterfassade sitzen. Die Empfehlungen zu den Kriterien, insbesondere zur Tageslichtversorgung, die in der Norm genannt sind, werden somit weit verfehlt. Hier gibt es also besonderen Handlungsbedarf.

Vom Licht her denken

Ihren Untersuchungen haben die Studierenden gut dokumentierte Beispiele aus der Schweiz zugrunde gelegt, bei denen alternative Lichtlösungen in eine stimmige Architektursprache integriert sind. Gerade im Zuge der Bildungsreform um 1960 gab es theoretische ­Ansätze, die sich in bis heute überzeugenden Entwürfen niederschlugen. Die ausgewählten Häuser wurden als digitale Modelle nachgebaut und auf die vier Kriterien hin untersucht, die im Zentrum der Tageslichtnorm stehen.

Für das Schulhaus Riedenhalden in Zürich Affoltern, entworfen 1959 von Roland Gross und Partnern, erstellten die beiden Studierenden Patricia Amstutz und Christian Rippstein eine erste Studie. Der viergeschossige Bau, der 2007 eine denkmalgerechte Sanierung erfuhr, liegt zwischen den Ausläufern einer niedrigen Wohnbebauung und einer Landwirtschaftszone. Die im Grundriss windmühlenartig um den Erschliessungskern angeordneten Kuben beherbergen quadratische Klassenzimmer, zumeist mit einer Fensterfront und einer gegenüberliegenden Oberlichtreihe. Die zweiseitige Belichtung sorgt für eine bessere Tageslichtverteilung im Raum.

Mehr zum Thema Tageslicht finden Sie in unserem E-Dossier.

Dass die Vorteile, die diese einfache Ergänzung durch Oberlichter bringt, im Modell zu so entscheidend besseren Werten führen würden, war allerdings eine Überraschung. Die Zielbeleuchtungsstärke auf Normstufe «mittel» von 500 Lux auf über 50% der Fläche und zur Hälfte aller Tageslichtstunden wird mit 93% Flächenanteil und mit verschattender Vegetation spielend erreicht. Die Mindestziel-Beleuchtungsstärke von 300 Lux, die in 95% des Raums gegeben sein sollte, war hier überall vorhanden.

In einer weiteren Variante haben die Studierenden den Raum untersucht, ohne die Einflüsse der direkten Umgebung ausserhalb des Gebäudes auf die Lichtsituation zu berücksichtigen. Diese Methode dient einerseits dem direkten Vergleich verschiedener Gebäudetypologien: Das Schulhaus Riedenhalden erreicht ohne verschattenden, aber eben auch ohne kühlenden Baumbestand die Normstufe hoch, was mit einer optimalen Tageslichtversorgung gleichzusetzen wäre. Andererseits bietet sie eine Grundlage für rein theoretische Studien.

Der Aspekt der Aussicht wurde von zwei unterschiedlichen Sitzplätzen im Raum berechnet und bot – kaum überraschend – ebenso gute Ergebnisse. Auf den Luxus einer so locker bebauten Umgebung können sich freilich nur die wenigsten Neubauten beziehen. Zur Nachahmung geeignet ist aber der weit gespreizte Winkel der Aussicht, den der gestaffelte Baukörper auch aus der Tiefe des Raums ermöglicht.

Die mögliche Besonnungsdauer ist an die Lage und Ausrichtung der einzelnen Räume gekoppelt, sodass zuerst Untersuchungen anders orientierter Räume folgen müssen, um ein gültiges Bild zu liefern. Das vierte und letzte Thema des Blendschutzes bedarf dann einer höheren Aufmerksamkeit, wenn der Raum nach Süden orientiert ist oder sich der Bauplatz inmitten reflektierender Oberflächen benachbarter Häuser befindet.

Was zu beweisen ist

Nach der bereits erfolgten Überprüfung der Methodik und Rechenwege ist der nächste Schritt eine Wiederholung der Untersuchungen durch ein zweites Team, um die vorab präsentierten Ergebnisse zu sichern. Die Zahlen, die die Berechnungsprogramme liefern, sind noch nicht immer belastbar. Erst wenn die Anzahl der erhobenen Daten ein gewisses Volumen erreicht hat, gelten die digitalen Modelle als verlässlich.

Die Studie zu Riedenhalden bildet den Anfang einer Forschungsreihe innerhalb des CAS. Zusammen mit weiteren Beispielen, die auch den Neubau der Primarschule Feld in Azmoos durch Felgendreher Olfs Köchling Architekten von 2020 einschliessen, sollen in zwei bis drei Jahren die Erkenntnisse aus den Fallstudien in einer gemeinsamen Publikation zugänglich gemacht werden.

Die positiven Ergebnisse der Studien zu Tageslicht fordern mit deutlichen Zahlen dazu auf, die bis heute gültigen niedrigen Standards des Schulhausbaus diesbezüglich zu überdenken. Im Hinblick auf die psychologisch und physiologisch wichtige Versorgung der Lehrpersonen und Kinder mit Tageslicht erreichen die typischen Klassenzimmer selbst ohne Berücksichtigung der Umgebung die unterste Empfehlungsstufe «gering» der Tageslichtnorm nicht, obwohl dies mit wenigen Mitteln möglich wäre.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 33/2022 «Tageslicht in Bildungsbauten».

Primarschule Feld, Azmoos SG

 

Architektur
Felgendreher Olfs Köchling, Berlin

 

Bauleitung
Gauer Architektur, Azmoos

 

Tragwerksplanung, Brandschutz
Merz Kley, Altenrhein

 

HLKS-Planung
Technoplan, Sargans

 

Elektroplanung
Marquart, Buchs SG

 

Bauphysik
Lenum, Vaduz

 

Baumeister
Marty, Azmoos

 

Holzkonstruktion
Blumer-Lehmann, Gossau

 

Oberlichter
HP Gasser, Lungern

 

Fenster
Huber, Herisau

 

Fertigstellung
2020

 

Gesamtkosten BKP 1–9
17.4 Mio. Fr.

 

Volumen
23 400 m3

Anmerkungen

 

1 Leitfaden zur Tageslichtnorm

 

2 Studiengang CAS Lichtgestaltung

 

3 Tageslicht-Symposium mit Vortrag von Michael Josef Heusi «Zurück in die Zukunft III»: Audiodatei

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