Land­schafts­far­ben in Yang­ming­shan

Forschungsprojekt zum Farbspektrum des Yangmingshan-Nationalparks in Taiwan

Aufgrund seiner geografischen Breite und seiner Höhenlage verfügt der Yangmingshan-Nationalpark in Taiwan sowohl über subtropische als auch gemässigte Klimazonen sowie über eine ausgeprägte Regenzeit. Die Farbveränderungen in der Natur und die unterschiedlichen Lichtstimmungen im Laufe der Jahreszeiten sind zu einer Touristenattraktion geworden. Ein Forschungsprojekt der Chinese Culture University in Taipeh untersucht das Farbspektrum des Parks. Aus der Evaluation sollen Lehrmittel und Tourenvorschläge mit Farbthemen für die Besucher und Besucherinnen entstehen.

Publikationsdatum
01-01-2012
Revision
25-08-2015
Yen-Ching Tseng
Department of Architecture and Urban Design, Chinese Culture University, Taipeh
Monica Kuo
Department of Landscape Architecture, Chinese Culture University, Taipeh

Die Landschaften Taiwans sind äusserst komplex und variieren auch visuell. Von den taiwa­nesischen Nationalparks zeichnet sich der Yangmingshan-Nationalpark im Norden der Insel durch seine Nähe zur Hauptstadt Taipeh aus. Der 11'455 ha grosse Park liegt auf einer Meereshöhe von 200 bis 1120 m ü. M. Dadurch verfügt er neben einem einzigartigen vulkanischen Terrain über eine vielfältige Flora und Fauna und aufgrund seiner langen Entwicklungsgeschichte auch über eine Fülle von historischen Monumenten. Durch die Höhenlage sind die Jahreszeiten hier ausgeprägter als in den Subtropen üblich. Im Winter sorgt der Nordost­monsun für Nebel und Regenbogen und somit für eine abwechslungsreiche Atmosphäre an einem einzigen Tag. Ständige Veränderungen des Mikroklimas schaffen eine im Wandel ­befindliche meteorologische Landschaft, mit Regen im Frühling, Regenbogen im Sommer, ­milden Nächten im Herbst und Schnee im Winter. Die Kirschblüte im Frühling und das sich im Herbst ockergelb verfärbende Chinaschilf tragen zur Farbenpracht des Parks bei.

Charakteristische Landschaftsfarbe

Das Forschungsprojekt der Chinese Culture University zielt darauf ab, zunächst das Farbspektrum und die Farbkompositionen des Parks zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten zu erfassen und zu vergleichen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen sollen Tourenvorschläge und Lehrmittel für die jährlich über 12 Mio. Besucher und Besucherinnen ausgearbeitet werden, die gezielte Touren mit verschiedenen Farb- und Lichtstimmungen ermöglichen. Den theoretischen Hintergrund der Arbeit bildet die «Geografie der Farbe», eine Farbtheorie, die der französische Farbdesigner Jean-Philippe Lenclos in den 1960er-Jahren entwickelte. (1) Die Theorie besagt, dass jeder Ort eine spezifische Farbigkeit besitzt. Dieses Farbspektrum wiederum ist Teil der Identität der Bewohner und Bewohnerinnen. Während sich Lenclos bei seinen Studien hauptsächlich auf die vorherrschende Baukultur bezieht, wird das Prinzip im Yangmingshan-Nationalpark auf physische Elemente der Natur wie Berge, Wasser, ­Gestein, Topografie und Boden sowie ökologische Bestandteile wie Pflanzen, Tiere und ­Mikroorganismen angewendet. Dazu kommen die virtuellen Einflüsse wie Licht, Farben und die meteorologische Landschaft. Diese Elemente interagieren und bilden so eine sich immerzu verändernde natürliche Landschaftsfarbe.
Betrachtet man beispielsweise die Farben des Frühlings im Yangmingshan-Nationalpark, so präsentiert sich die Kamelie von der Knospe bis zur Blüte in verschiedenen Farben, von Weiss und Crèmefarben über Pink bis zu Purpurrot. Das Magenta der Bergkirsche konkurriert mit den leuchtenden Farben der japanischen Kirschblüten, wie Hellrot und Karmesin. Varianten heimischer Rhododendren zeichnen sich durch lebendige Farben aus, wie Weiss, Pink und Orangerot, und das Grün der frischen Ahornblätter hebt sich im Frühling deutlich vom dunkelgrünen Hintergrund der Kordienwälder ab.

Regenbogen, Felsen, Pflanzen

Ausgehend von Lenclos’ Methodik wird zunächst eine Farbpalette angelegt. Diese Palette beinhaltet eine räumliche Skala, die eine Makroebene (wie Berge, Wasser, Terrassen, Siedlungen) und eine Mikroebene (Pflanzen, Tiere) umfasst. Dazu kommt eine zeitliche Einteilung mit den Jahreszeiten und den Elementen der meteorologischen Landschaft (wie Wolken, ­Nebel, Regenbogen, Sonnenuntergänge)). Für diese verschiedenen Orte und Situa­tionen werden mithilfe mehrerer standardisierter Farbsysteme wie Natural Color ­System (NCS), Pantone Matching System (PMS) oder des RAL-Farbfächers Farbskizzen ange­fertigt.2 Die Verwendung der verschiedenen Farbsysteme soll dabei ein möglichst breites Vergleichsspektrum erlauben. Materialmuster, Fotografien und Messungen der Material­helligkeiten anhand einer Helligkeitsskala, die sich in zehn Stufen von Weiss zu Schwarz bewegt, ergänzen die Daten. In einer zweiten Phase erfolgt die Synthese: Die ­Daten werden in einer Datenbank gesammelt und analysiert, zudem werden Farbmodelle angefertigt. Anhand der quantitativen Vorkommen der einzelnen Farbtöne erfolgt eine Vereinfachung und die Hierarchisierung in Grund-, Umgebungs- und Dekorationsfarben. Die ­Ergebnisse werden grafisch in Diagrammen zusammengefasst).

Wahrnehmung schärfen, Wissen sammeln

In diesen Diagrammen werden die charakteristischen Landschaftsfarben des Nationalparks festgehalten. Zudem beschreibt die Untersuchung, inwieweit Geografie, Landschaftsräume und Mikroklima mit Licht, Schatten und Farben in Zeitfolgen interagieren. Durch dieses ­Wissen können die Nationalparkbesuche bewusst auf bestimmte Zeitfenster und farblich interessante Ziele hin ausgerichtet werden – dieses Zusatzangebot kann einen Mehrwert für den Nationalpark generieren. Zudem sollen sich die Besucher und Besucherinnen aktiv an der Kartografierung der Naturfarben beteiligen können, wodurch wiederum ihr Bewusstsein für die Natur und das lokale Farbspektrum geweckt werden soll.

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