«Ka­ri­ka­tur wird Wis­sen­schaft»

Wer kennt sie nicht, die Geschichten der Familie Duck? Die meisten Menschen lesen und geniessen sie –Donaldisten deuten sie wissenschaftlich. Nach seinem Vortrag zur Geotechnik in Entenhausen bei der geologischen Gesellschaft Zürich beantwortete der Geologe Patrick Martin TEC21 einige Fragen.

Publikationsdatum
26-12-2012
Revision
25-10-2015

TEC21: Die D.O.N.A.L.D. (Deutsche Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus) beschäftigt sich seit 1977 mit der Familie Duck und der Welt, in der sie lebt. Worin liegt der Reiz, Erkenntnisse zum Leben in Entenhausen zu gewinnen?
Patrick Martin (P.M.):
Das ist die reine Freude an dem, was man macht. Die Wissenschaft wird bei uns zur Karikatur, oder die Karikatur wird Wissenschaft. Die meisten Donaldisten haben einen entsprechenden Hintergrund, wissen, wie man wissenschaftlich arbeitet und wie Wissenschaft funktioniert. Wie in anderen Wissenszweigen wirft auch bei uns das Ergebnis unserer Arbeit meist weitere Fragen auf. In einer Geschichte veranstaltet Donald Duck beispielsweise den Wettbewerb: «Wer rät, wie viele Bohnen in meinem Glas sind » Am Schluss sind es x Bohnen und ein grosser Stein. Über diese Geschichte hat ein Donaldist mittlerweile sechs Veröffentlichungen gemacht, in denen er äusserst strukturiert und detailliert darlegt, wie gross das Glas ist, wie gross Bohnen in Entenhausen sind, wie stark die Glaswandung sein muss und wie der Stein beschaffen sein muss, damit er überhaupt in das Glas passt. Dabei kam ein neues Masssystem heraus; wir haben jetzt ein Verständnis vom Entenhausener Meter und wie gross Donald Duck eigentlich ist.

Grundlage für den Donaldismus sind rund 6500 Seiten Duck-Geschichten, die der Amerikaner Carl Barks (1901–2000) gezeichnet hat. Beschäftigen Sie sich auch damit, ob man gesellschaftliche oder politische Ereignisse in den Geschichten erkennt?
P.M.
: Das ist eine literaturwissenschaftliche Frage, dazu wurde von anderen schon so viel geschrieben, dass wir dem nichts hinzuzufügen haben. Uns beschäftigen solche Fragen nur am Rand. Carl Barks deckt die Zeit von 1942 bis in die 1960er-Jahre ab. Einige Modeerscheinungen widerspiegeln sich, sei es Haartracht, Kleidung oder dass technische Errungenschaften wie Raketen plötzlich modern werden.

Wie hat die deutsche Übersetzung von Erika Fuchs (1906–2005) die Geschichten beeinflusst?
P.M.:
 Ohne ihre Texte wären die Geschichten nur einfache Comics. Als die deutsche Kunsthistorikerin 1952 Chefredaktorin des Micky-Maus-Magazins wurde, galten Comics als Schundliteratur. Mit ihrer gewählten Ausdrucksweise, eigenen Wortschöpfungen, Zitaten aus der klassischen Literatur und der Verwendung der gängigen Jugendsprache hat sie das Medium aufgewertet und interessant gemacht. Durch ihre Übersetzung ist der Sprachwitz erst dazugekommen.

Gibt es Donaldismus weltweit?
P.M.
: Am 17. November 2012 haben sich in Zürich die helvetischen Donaldisten (HelDonisten)gegründet, bis dahin gab es uns offiziell nur in Deutschland. Wir werden uns in der Schweiz nun regelmässig treffen. Insgesamt hat die D.O.N.A.L.D. ungefähr 700 Mitglieder, aber nur einige Dutzend veröffentlichen und treffen sich regelmässig. Die anderen lesen unser Zentralorgan oder kommen zu den Kongressen.1

Von Ihnen stammt die Morphoteltheorie. Sie behaupten, Donald Duck sei keine Ente.
P.M.: Eine Theorie, für die man mich gescholten hat, ich würde nichts mehr zum Forschen übrig lassen, weil sie alles erklären würde. Selten wurde eine Theorie so geehrt. Der Inhalt ist: Die Entenhausener sind nicht formstabil. Es wachsen ihnen je nach Bedarf Finger, Zähne etc., und da fragt man sich: Ist Donald Duck überhaupt eine Ente? Nein. Genauso wenig, wie die übrigen Bewohner Entenhausens Hunde etc. sind; sie sehen nur so aus. Im Röntgenbild haben all diese Gestalten ein menschliches Skelett. In Wirklichkeit sind es also Menschen, die ihre Form ändern können. Warum das so ist, haben wir noch nicht abschliessend geklärt. Es wird vermutet, dass sich Entenhausen in einer stark verkleinerten Welt abspielt, sodass Quanteneffekte eine Rolle spielen

War das Carl Barks bewusst?
P.M.: 
Nein, er hielt uns für harmlose Spinner. Genau wie Erika Fuchs. 

Welche Theorie beschäftigt Sie zurzeit?
P.M.
: Es gibt in Entenhausen viele lang gestreckte Hohlräume, die bis in die Tiefsee reichen. Sie sind kreisrund und haben glatte Wände. Ich werde beim nächsten Kongress die Hypothese zur Diskussion stellen, dass Riesenbohrwürmer die Erdkruste von Entenhausen durchlöchern. Ich hoffe, mir gelingt der Schritt von der Hypothese zur Theorie. Einer der wenigen Momente, als mir das gelungen ist, war der Nachweis des Vorhandenseins dreier Monde. Meine Hypothese lautete: «Es gibt mehr als einen Mond in Entenhausen.» Es müsste also ein Panel geben, auf dem mehrere Mondphasen zu sehen sind. Ich habe alle 6500 Seiten durchforstet und die eine Stelle gefunden, in der die Lunation in wenigen Augenblicken von abnehmend auf zunehmend wechselt. Das war der Beleg, es muss mehrere Monde geben, und aus anderen Belegen ergab sich die Zahl 3.

Donaldisten forschen zu Politik und Philosophie, aber auch zu Architektur, Technik oder Geologie. Gibt es eine typische Architektur?
P.M.: 
Es gibt wenig moderne Architektur. Der Einfamilienhausbau ist geprägt vom US-amerikanischen Stil. Auf einem einfachen Fundament werden Holzkonstruktionen errichtet. Grössere Gebäude werden meist sehr funktional gebaut. Das hängt möglicherweise auch mit der Erdbebensicherheit zusammen. Unterkellerung ist ungewöhnlich, allgemein wird flach gegründet und so, dass sich Gebäude im Fall eines Erdbebens vom Untergrund lösen können. Die mechanische Entkopplung ist überall eingebaut.

Erdbeben erreichen in Entenhausen erstaunliche Stärken. Wie kommt es dazu?
P.M.
: Man findet alle geologischen Phänomene, die man aus unserer Welt kennt, auch in Entenhausen, z. B. Vulkanismus und Plattentektonik. Ungewöhnlich ist jedoch, dass es in sechs Kilometer Tiefe riesige Hohlräume gibt, die bevölkert sind von kugelförmigen Gestalten. Diese Erdkullern machen sich einen Spass daraus, die Erdkruste zu erschüttern. Es fragt sich natürlich, wie jemand in sechs Kilometer Tiefe leben kann, ohne gekocht zu werden, wenn Vulkanismus existiert. Dort müssten eigentlich etwa 200  Grad Celsius herrschen.

Welche geologischen Besonderheiten gibt es noch?
PM
: Es gibt viele Beispiele für sehr steile Wände, auch im Lockergestein. Man findet angeschnittenen Sand mit 90-Grad-Winkeln, der stehen bleibt. Das ist ein Hinweis, dass die Bodenfestigkeit deutlich höher sein muss als in unserer Welt. Die Kohäsion ist dafür nicht verantwortlich, da eine höhere Kohäsion mit einer höheren Oberflächenspannung des Wassers verbunden wäre. Eine solche ist aber nicht zu erkennen, im Gegenteil. Bleibt noch die Scherfestigkeit, und das kann nur bedeuten, dass Gesteinskörner in Entenhausen wesentlich stärker verhakt oder verkittet sind als bei uns. Das könnte chemische Ursachen haben, wie einen geringeren Kohlendioxidgehalt, der für eine stärkere Ausfällung von Kalk sorgt. Man beobachtet dieses Phänomen allerdings nicht nur bei Böden: Eine Fischschüttung hat in Entenhausen einen Winkel von 45  Grad. In unserer Welt dürfte man kaum mehr als 10  Grad erwarten. Allgemein scheint die Comicwelt zu Übersteilung zu neigen, auch Berge sind immer etwas steiler dargestellt.

Einer ihrer Kollegen hat 13 Jahre am Stadtplan von Entenhausen gearbeitet. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse? Können wir in Bezug auf die Stadtplanung etwas lernen?
P.M.
: Um den Stadtplan zu erarbeiten, hat er jedes einzelne Bild indiziert und eine Datenbank erstellt. Er hat festgestellt, dass Barks tatsächlich Zeichnungen gemacht hat, die Jahrzehnte auseinander liegen, aber die gleiche Ecke aus unterschiedlichen Blickwinkeln darstellen. Der Stadtplan ist, wie für nordamerikanische Städte typisch, nach einem rechtwinkligen Plan angelegt. In Europa kämpft man ja eher mit gewachsenen Strukturen. Diese werden in Entenhausen rigoros beseitigt, wenn sie dem Fortschritt im Weg stehen. Da wird auch vor Dagobert Ducks Geldspeicher nicht Halt gemacht. Der Stadtplan zeigt daher auch, dass Dagobert in den Barks-Geschichten 13 aufwendige Umzüge mit dem Geldspeicher zu bewältigen hatte. 

Eine Grundfrage des Donaldismus zum Schluss: Wo liegt Entenhausen?
P.M.
: Das ist relativ leicht zu beantworten. Entenhausen liegt wahrscheinlich in einem anderen Universum, auf einem Planeten, der unserer Erde zunächst sehr ähnlich ist. Es sind alle Kontinente vorhanden, wie wir sie von unserer Erde kennen, aber die Küstenlinien stimmen nicht völlig überein. Auf diesem Planeten wird Entenhausen irgendwo auf dem nordamerikanischen Kontinent an der Westküste liegen. Barks nennt das Calisota. 

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