Hom­mage an Mar­tin Stein­mann (1942-2022)

Der Theoretiker und ehemalige EPFL-Professor ist im Alter von 80 Jahren verstorben. Zwei seiner ehemaligen Kollegen würdigen ihn als eine Persönlichkeit, die eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Schweizer Architektur spielte und die Verbindungen zwischen allen Teilen des Landes knüpfte.

Publikationsdatum
26-04-2022
Bruno Marchand
Architekt, Professor für Kritik und Theorie der Architektur an der EPFL

«Ohne sein Werk wäre die Schweizer Architektur nicht dort, wo sie heute ist, weder in ihrer konkreten Form und schon gar nicht in unseren Gedanken.» Mit diesem Satz schloss Roger Diener seine Würdigung von Martin Steinmann bei der Verabschiedungszeremonie, die am 21. März in Aarau stattfand – er war im Alter von 80 Jahren nach langer Krankheit verstorben. Es scheint uns, dass man die zentrale Rolle, die er während seiner Karriere mit seinen kritischen Beiträgen zur Architektur- und Wohntheorie in der Schweizer Architektur im Allgemeinen gespielt hat, nicht besser zusammenfassen kann – von der Tessiner Szene bis zur Deutschschweizer Architektur, von Herzog & de Meuron über Peter Zumthor bis zu Diener & Diener, um nur einige zu nennen.

Die Anfänge seiner akademischen und beruflichen Laufbahn sind untrennbar mit seinen Forschungen am gta der ETH Zürich verbunden, wo er in den 1970er Jahren die Archive der CIAM systematisch durchforstete. Bei dieser Gelegenheit traf er auf Bruno Reichlin, Fabio Reinhardt und Arthur Rüegg, mit denen er Freundschaften schloss und einen tiefen und dauerhaften intellektuellen Austausch pflegte.

Schnell machte Steinmann durch die Ausstellung «Tendenzen. Neuere Architektur im Tessin» auf sich aufmerksam, die 1975 an der ETH Zürich stattfand und die er zusammen mit Thomas Boga kuratierte. Das dort entwickelte Argument, nämlich die Verbindung von Tradition und Realität, wurde zu einem zentralen Thema der Zeitschrift archithese, die er von 1981 bis 1986 herausgab. In mehreren mittlerweile ikonischen Ausgaben beleuchtete er, oft in Zusammenarbeit mit Irma Noseda, Architekturen von Heinrich Tessenow, Franz Scheibler und Kay Fisker, auf die sonst nicht Bezug genommen wurde.

1987 wurde er zum Professor an der EPFL ernannt. Seitdem prägte er mit seinem fundierten und anspruchsvollen Unterricht mehrere Generationen von Architekturstudierenden, insbesondere im Bereich des kollektiven Wohnungsbaus. Seinen Projektansatz, den er als «praktische Theorie» bezeichnete, beschrieb er folgendermassen: «Der Projektprozess beginnt mit der Beobachtung dessen, was existiert.»

Mit der Veröffentlichung des Artikels «Die starke Form» – so der Titel der 2003 erschienenen Sammlung seiner Texte – in der Zeitschrift Faces im Jahr 1991 kam es zu einer Verschiebung in Steinmanns kritischem Blick. Von seinem Interesse an linguistischen Fragen wendet er sich der Problematik der sinnlichen Wahrnehmung des Raums durch den Betrachter zu. Er bringt den Begriff Stimmung in die Diskussion ein, dessen theoretische Bedeutung er in mehreren Aufsätzen in der Zeitschrift matières entwickelte. Später wurde dies auch zu einem zentralen Thema seines Unterrichts.

Schliesslich muss man auch den Menschen erwähnen, seine unsterbliche Schreibmaschine und die Sorgfalt, mit der er die «Dias» seiner Vorlesungen sortierte. Aber auch die freien und intensiven Diskussionen an den Donnerstagabenden im Café Le 1900, an einem offenen Tisch und bei einigen Bieren, um über Architektur zu sprechen, aber manchmal auch, um ein Spiel der Champions League zu sehen. Heute verlieren wir einen Lehrmeister und einen Freund. Ohne ihn wird es sicherlich schwieriger werden. Aber das Leben geht weiter, trotz allem, wie Adolf Loos sagte.

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