Ge­bäu­de­tech­nik: Strom über­nimmt

Das Energiesystem und der Gebäudebereich stehen vor einem Wandel. Die Dekarbonisierung ist aber nur ein Problem von mehreren, mit denen sich die Planerbranche aktuell konfrontiert sieht.

Publikationsdatum
29-10-2019

Der nationale Gebäudetechnik-Kongress fand 2019 zum dritten Mal statt. Ob die Digitalisierung ein motivierender Input oder eine komplexe Herausforderung sei, war die Hauptfrage, die die anwesenden Branchenvertreter diesmal bewegte. In der Eröffnungsrede machte Adrian Altenburger, SIA-Vizepräsident und Vertreter der Kongressorganisation, zwar deutlich: Big-Data ist das neue Öl, das das smarte Energiesystem der Zukunft antreiben soll. Jedoch kommen weitere Anforderungen auf die Branche zu. Dass der Verband der Elektroinstallateure, Electrosuisse, ab nächstem Jahr das Zepter am Kongress übernimmt, darf als stellvertretendes Zeichen gelten: Der Fokus richtet sich in der Gebäudetechnik vom klassischen HLK-System neu auf den Stromanschluss aus. 

Der Grund kam am Kongresstag immer dann zur Sprache, wenn sich ein Referent über die fossilfreie und erneuerbare Versorgung des Gebäudeparks äusserte. Präsentiert wurden Geschäfts- und Wohnhäuser – mit und ohne Heizanlage, mit und ohne Lüftungssystem oder mit und ohne Kühltechnik. Diesen ist allerdings gemein: Den Stromanschluss brauchen sie umso dringender. 

Fühler und Sensoren anstatt einer Heizung

Ein Gebäude – ohne Treibhausgasemissionen beheizt und gekühlt – benötigt beispielsweise Wärmepumpen. Diese beziehen ihre Grundenergie aus der Luft oder dem Boden; ein minimaler Input an elektrischer Energie ist trotzdem vonnöten. Auch das fünfstöckige Wohnhaus im Basler Erlenmattquartier kommt ohne Strom nicht aus, damit die Bewohner zwar auf eine Heizung verzichten, aber im kalten Winter komfortabel leben können. Architekt Heinrich Degelo hat das Projekt «Homebase» konzipiert, realisiert und am Gebäudetechnikkongress präsentiert: «Ein CO2-freier Betrieb ist möglich: dank 80 cm dickem Mauerwerk, automatischen Fensteröffnern sowie einigen Fühlern und Sensoren zur Steuerung des technischen Betriebssystems.» Oder das Kraftwerkshaus, das der grünliberale Nationalrat Jürg Grossen bewohnt und als Firmensitz nutzt: Hier wird Energie ausschliesslich in Form von Strom produziert, «so viel, dass die eigene Fahrzeugflotte damit betankt werden kann». Daraus schloss Jürg Herzog, Ländermanager Siemens Schweiz, dass der «Appetit auf elektrische Energie wächst». Dazu rechnete er vor: «Der Stromverbrauch wird sich im Gebäude- und Mobilitätssektor bis 2050 verdoppeln.» 

Über die absehbaren Folgen wurde am Gebäudetechnik-Kongress kontrovers diskutiert. Zum einen provoziere die steigende Nachfrage eine inländische Versorgungslücke im Winter. Strom lasse sich zwar importieren, betonte Peter Richner, stellvertretender Direktor der Empa. Doch ökologisch bedenklich ist: «Europa liefert Energie, die zu einem grossen Anteil aus Kohle und Kernkraft erzeugt wird.» Zum anderen befürchtet die Branche mit dem Aufkommen der Neu-Elektrifizierung und der Digitalisierung des Gebäudetechnikbereichs nun zusätzliche Konkurrenz.

Diese waren am Kongress ebenfalls vertreten, darunter Anbieter für Gebäudeautomation (GA), IT-Dienstleister und Energieversorger. Sie präsentierten ihrerseits intelligente Systeme in jeweils smarter Manier. Barbara Frei, Executive Vice President Europe von Schneider Electric, dem Mutterkonzern der GA-Firma Feller, wies zudem auf die wachsende Bedeutung von Datenrechenzentren hin. «Diese sind grosse Energieverbraucher und benötigen mehr Strom.» Sie halte softwaregesteuerte Gebäudesysteme aber nicht für überflüssig, sondern zwingend, um die Performance bei Effizienz und Komfort zu verbessern. Microsoft-Sprecher Christian Tschumper bestätigte seinerseits, dass die Kopplung von Gebäudetechnik mit digitaler Intelligenz überaus vorteilhaft sei. 

Mathias Prüssing, CEO BKW Building Solutions, vertrat die schweizweit führende Gebäudetechnikgruppe, die sich der Berner Stromversorger inzwischen einverleibt hat. Die Unternehmenseinheit macht 400 Mio. Franken Umsatz und bietet eine breite Produktepalette von Gesamtenergielösungen über die Gebäudeautomation bis zu ICT- und BIM-Dienstleistungen an. Prüssing hält die Schnittmenge aus Digitalisierung und Gebäudetechnik ebenfalls für äusserst zukunftsträchtig. Doch dafür braucht es wohl auch neue Berufsfelder und Fachdisziplinen: Ist der «Gebäudeinformatiker» nun die gesuchte Mischung aus HLK-Planer und Elektroinstallateur? 

Minergie in China?

Chinas Industriepolitik steht im schlechten Ruf, den Erfindungsgeist des Westens zu kopieren und den Massenmarkt mit Nachahmerprodukten zu bedienen. Gleichzeitig darf fast kein westliches Unternehmen darauf verzichten, sich im asiatischen Reich selbst zu präsentieren. Die inländische Baubranche nahm deshalb erfreut zur Kenntnis, dass Energieforscher aus China die Destination Schweiz auswählten, um sich über das energieeffiziente Bauen und den Minergiestandard zu informieren.


Der Gebäudetechnik-Kongress bot nun weiteren Anlass, den gegenseitigen Austausch zu vertiefen: Shicong Zhang, Direktor der chinesischen Akademie für Gebäudeforschung CABR, vermittelte in seinem Referat, wie sich das Land mit dem weltweit höchsten CO2-Ausstoss dekarbonisieren will. Gemäss Zhang ist der Gebäudebereich ein Vorreiter; das Nullenergiegebäude soll demnächst Neubaustandard werden.


Seit 1986 sind Energiestandards gesetzlich vorgeschrieben; inzwischen sind die Verbrauchsvorgaben um fast zwei Drittel besser geworden. Der nächste Schritt sei das «Zero Emission Building»: «Etwa 50 Pilotprojekte sind entstanden. Ab 2035 soll der Standard in ganz China gelten», sagt Direktor Zhang. Auch eine dem Schweizer Gebäudestandard Minergie nachempfundene Zertifizierung sei möglich. Die ersten Nullenergiegebäude, die in China erstellt wurden, haben Briten und Deutsche mit ihren Länderpavillons an der Weltausstellung in Shanghai 2010 realisiert. China ist also nicht nur neugierig und lernbereit, sondern auch schnell in der Umsetzung zu sein. Insofern hat das Kopieren nicht nur negative Folgen.

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