Fuss­gän­ger am Fahr­was­ser

Projektwettbewerb Rad- und Fussgängerbrücke Welschdörfli, Chur

Bänziger Partner und Ritter Schumacher gewinnen den Ingenieurwettbewerb für die Rad- und Fussgängerbrücke über die Plessur in Chur mit einem verspielten Kraftakt: Die miteinander verflochtenen Elemente von Bogen und Steg entfalten sich im städtischen Korsett.

Publikationsdatum
17-05-2018
Revision
17-05-2018
Thomas Ekwall
MSc. EPFL Bau-Ing., MAS ETHZ Arch., Korrespondent TEC21

Das Nadelöhr am Stadttor von Chur wird Schritt für Schritt und durchaus erfinderisch aufgelöst: Um den Autoverkehr geschmeidiger abzuwickeln, errichteten Stadt und Kanton 2011 einen Kreisel auf der 15 m weit gespannten Obertorbrücke über die Plessur (vgl. TEC21 33-34/2011, «Neues Stadtbild am Obertor in Chur»). Voraussichtlich Anfang 2020 sollen auch dem Langsamverkehr die engen Trottoirs des Welschdörflis erspart bleiben – ein 76 m langer Steg wird vom Obertor zur Sägenstrasse errichtet, nota­bene über den gleichen Fluss. Aufgrund der abgeschrägten Überquerung von 20° blicken die Passanten nicht nur auf das Wasser  hinunter, sondern auch auf die Fassade des Hotels Chur und entlang der denkmalgeschützten Gärten der Villa Brunnengarten (1848). Eine städtebaulich sensible Ausgangslage, die die Tiefbaudienste des Departements Bau Planung Umwelt der Stadt Chur veranlasste, einen Ingenieurwettbewerb auszuschreiben.

Vielfalt im Kleinen

Zum anonymen Projektwettbewerb reichten drei der vier eingeladenen Churer Ingenieurbüros ihren Entwurf ein. Wie im Programm empfohlen, zogen alle einen Architekten bei. Trotz der kleinen Auswahl standen grundlegend unterschiedliche Lösungsansätze zur Diskussion: eine Balkenbrücke und zwei Bogenbrücken, einmal mit oben-, einmal mit untenliegender Fahrbahn.

Alle Projekte wurden von der Jury als dauerhaft, unterhaltsarm, wenig schwingungsanfällig und realisierbar eingestuft. Der Entwurf «Pons» von Conzett Bronzini Partner mit Maurus Frei Architekten sieht eine Spannbeton-Rahmenbrücke mit einseitigem Gegengewicht vor. Die massiven Rahmenstiele übernehmen die Torsionsmomente aus der gekrümmten Fahrbahn und ermöglichen zugleich einen schlanken Querschnitt in der Feldmitte. Die geschwungene Linienführung gewährt einen fliessenden Übergang zur Sägenstrasse und wendet sich der Gartenanlage der Villa zu. Die­se Nähe empfand die Jury jedoch aufgrund der damit verbundenen Schleifung der historischen Mauern als unsensibel. Die Gesamtkosten lagen mit 2.9 Mio. Franken im oberen Segment, was auch auf das aufwendige Lehrgerüst und die pro­gnostizierte lange Bauzeit von zwölf Monaten zurückzuführen ist.

Das Projekt «igl artg» von Casutt Wyrsch Zwicky mit Gredig Walser Architekten löst die Aufgabe mit einer ebenen, eingespannten Stahl-Bogenbrücke, radialen Pfeilern und einer aufgeständerten Fahrbahn. Der flache Bogen stützt sich weiter unten am Flussufer ab, wodurch die Widerlagerbereiche besser ausgebildet werden. Die gerade Linienführung löst die städtebauliche Problematik pragmatisch, doch der mit 1.6 Mio. Fr. Gesamtkosten wirtschaftlichsten Lösung fehlt das gewisse Etwas: Die Konstruktion mag trotz ihrer Schlankheit gestalterisch nicht vollends überzeugen, der Dialog mit der Umgebung bleibt aus.

Geste in enger Gasse

Das Siegerprojekt «Arcocoira» von Bänziger Partner mit Ritter Schumacher will den optischen Bezug zum Fluss mit einer kräftigen räumlichen Intervention stärken: Der schlanke Bogen überspannt den Fluss in einer Ebene. Die Fahrbahn mit leicht S-förmigem Grundriss verläuft unter dem Bogen beim Scheitel und neben den Viertelpunkten, ohne diese zu berühren. Um das Lichtraumprofil des Gehwegs zu gewährleisten, reicht der Bogen bis zu 8.5 m über dem Steg, der über weit auskragenden Konsolen aufgehängt wird. Beide Bauteile sind als Hohlkasten ausgebildet und in gemeinsamen Widerlagern eingespannt, die mittels Mikropfählen im Baugrund verankert sind. Die Montage des Bogens erfolgt mithilfe eines Mobilkrans und zweier Lehrgerüste an den Drittelpunkten. Die Bauzeit beträgt sechs Monate, die Gesamtbaukosten werden auf zwei Millionen Franken geschätzt. «Mit der sanft mäandrierenden Wegführung und der filigranen, spielerisch erscheinenden Brückenkonstruktion wird eine ausgezeichnete städtebauliche Integration im sensiblen Bereich von Gewässerraum der Plessur und den historischen Bauten und Anlagen erreicht», fasst die Jury zusammen.

Gemeinsam zum Erfolg

Dieser für Graubünden bisher einmalige Entwurf ruft nach internationalen Vergleichen: Die freigespielte Fahrbahn und der mit Hängern ausgesteifte Stabbogen erinnern an Bauten des ungarischen Ingenieurs Stefan Polónyi. Seine zeichenhafte Emscherbrücke im Gelsenkirchner Nordsternpark (1996) hebt sich aber vor einem offenen Horizont ab.

Wie entfaltet sich eine solche Geste im engen Plessur-Raum mit dem Gebirgsmassiv des Calandas oder der Altstadt von Chur in Hintergrund? Nutal Peer von Bänziger Partner ist zuversichtlich: «Der Bogen ist ein neues, aber gut integriertes Element im Churer Stadtbild, denn er hält einen angemessenen Abstand zu den Nachbarbebauungen ein und überragt diese nicht. In erster Linie wollen wir damit den Blick auf den Fluss freilegen.»

Sein Partner Thomas Jäger führt weiter aus: «Die geschwungene Linienführung stand am Anfang des Entwurfs, weil sie sich städtebaulich und bei den Widerlagern am besten einfügte. Erst dann kam der Bogen, der die grosse Spann­weite filigran überbrückt und von dem eingespannten Fahrbahnträ­ger stabilisiert wird. Der S-förmige Fahrbahnverlauf begünstigt das ­integrale Lagerungskonzept und führt lediglich zu geringen Zwangsbeanspruchungen.»

Zusammen mit den Architekten wurde der Entwurf präziser: «Die Ingenieure haben uns die Bogenlösung und als Variante einen Balkenträger vorgestellt», erinnert sich Jon Ritter. «Letztere verdeckte den Flussraum zu sehr und überzeugte vom Erlebnis her nicht, im Gegensatz zum Bogen. So haben wir sie ermutigt, den Entwurf zu schärfen und möglichst filigran zu formulieren, etwa mit dem dreieckigen Bogenquerschnitt oder bezüglich der Anordnung der Hänger.»

Der kürzere Weg

Gemäss dem Wettbewerbsperimeter hätte die Brücke auch an beiden Ufern entlang verlaufen können, was den Flussraum weniger überbaut und die Spannweiten gekürzt hätte. Dass keines der Ingenieurbüros diese Option vorgeschlagen hat, ist bemerkenswert. Dennoch ist der Auftraggeber mit dem schlank durchgeführten Wettbewerb und der qualitativ hochstehenden Auswahl sehr zufrieden: Stadtingenieur Roland Arpagaus spricht bereits heute von einer baulichen Attraktion am Obertor.

Weitere Infos und Pläne unter competitions.espazium.ch

Auszeichnung
 

«Arcocoira»: Bänziger Partner, Chur; Ritter Schumacher, Chur
 

Weitere Teilnehmende
 

«igl artg»: Casutt Wyrsch Zwicky, Chur; Gredig Walser Architekten, Chur
«Pons»: Conzett Bronzini Partner, Chur; Maurus Frei Architekten, Chur
 

Jury
 

Roland Arpagaus, Stadtingenieur Chur (Vorsitz); Markus Dünner, Kantonsbaumeister; Simon Berger, kantonale Denkmalpflege; Urs Castellazzi, Leiter Tiefbau Chur; Andreas Pöhl, Leiter Stadtentwicklung Chur; Roger Stäubli, kantonales Tiefbauamt; Karl Baumann, Leiter Kunstbauten Rhätische Bahn (beratend); Iris Florin, stv. Leiterin Tiefbau Chur (beratend)

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