Fo­kus Ge­schwin­dig­keit

Das «richtige» Tempo innerorts wird von ­Verkehrsexperten kontrovers diskutiert. Die SVI hat zwölf Thesen als Leitlinie formuliert.

Publikationsdatum
17-11-2015
Revision
17-11-2015
Ulrike Huwer
Dr. Dipl. Ing. TU, Leiterin Verkehr, Mobilität und Raum, Basler  & Hof­mann
Rupert Wimmer
Dipl.-Ing. TU, Ziviling. für Raumplanung und Raumordnung, Geschäftsleiter Metron Verkehrsplanung

In der Verkehrsplanung hat das Thema Geschwindigkeiten in den letzten Jahren zunehmend an Aktualität gewonnen. Sei es im Zusammenhang mit der Aufwertung von Ortsdurchfahrten und Quartierzentren oder bei der Umsetzung der Lärmschutzverordnung. Die Leistungsfähigkeit des Hauptverkehrsstrassennetzes wird der Aufenthaltsqualität und Querbarkeit gegenübergestellt. Verkehrsexperten fragen sich: Kann eine niedrigere Geschwindigkeit bei engen Platzverhältnissen ein Ersatz für eine separate Veloführung sein? Ist eine Strecke mit Tempo 30 für den öffentlichen Verkehr noch wirtschaftlich bedienbar? Wir alle beeinflussen diese Fragen durch unseren Umgang mit Geschwindigkeit, Eile und Schnelllebigkeit. Erreichbarkeit ist ein wichtiger Standortfaktor, und funktionsfähige Verkehrsinfrastrukturen sind Voraussetzung für eine laufende Wirtschaft. Gleichzeitig zeigt sich ein Bedürfnis der Menschen nach attraktiven Aufenthaltsräumen und kurzen Wegen zu Fuss. Geschwindigkeiten hängen zusammen mit den Dichten – auf den Stras­sen, aber auch in den Städten, Agglomerationen und Gemeinden. 

Die Schweizerische Vereinigung der Verkehrsingenieure und Verkehrsexperten (SVI) hat das Thema aufgegriffen. 2014 und 2015 fanden 28 Veranstaltungen in Basel, Bern, Lausanne, Luzern, St. Gallen und Zürich statt, der Fokus lag auf Geschwindigkeiten in Siedlungsgebieten. Geschwindigkeiten auf Autobahnen und Hauptstrassen ausserorts sowie auf dem nationalen und regionalen Schienennetz wurden bewusst ausgeklammert. 

Doch welche Geschwindigkeiten sind nun gemeint? Schon hier ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Unterschieden wird zwischen den zulässigen Höchstgeschwindigkeiten, den tatsächlichen Fahrgeschwindigkeiten und den Reisegeschwindigkeiten. Wo und wann sind niedrigere Geschwindigkeiten nötig, was bedeutet dies für den Gesamtverkehr, wie sind sie in Konzepte einzubetten? Welchen Beitrag können Geschwindigkeiten leisten, und wo sind die Grenzen? Insgesamt haben 36 Referenten Inputs geliefert und 750 Teilnehmende mitdiskutiert. Im publizierten Tagungsband haben die Referenten die wesentlichen Punkte ihrer Ausführungen zusammengefasst. Er wurde an der Jubiläumsveranstaltung «50 Jahre SVI» an der ETH in Zürich präsentiert.

Auf Basis der Vorträge und der anschliessenden Diskussionen der Veranstaltungsreihe hat die SVI zwölf Thesen für die optimalen Geschwindigkeiten innerorts formuliert. Mit dem gesellschaftlichem Wandel und der zunehmenden Siedlungsverdichtung steigen die Anforderungen an die Verkehrsplanung. Beim Entwurf und bei der Gestaltung der Verkehrsinfrastrukturen sind die Geschwindigkeiten eine massgebliche Grösse. Die Thesen der SVI sollen bei der künftigen Planung Leitlinie sein.

Auf zwei wesentliche Aspekte der Thesen soll hier hingewiesen werden. Einerseits fordert die SVI, dass die generelle Höchstgeschwindigkeit auf dem untergeordneten Strassennetz auf 30 km/h beschränkt werden soll. Ausnahmen sind zu begründen – z. B. weil eine Sammelstrasse eine bedeutende Bus­achse ist. Für das Hauptstras­sennetz ist die Geschwindigkeit separat festzulegen. Aber auch hier gilt, dass die Geschwindigkeit auf das Umfeld zu reagieren hat. Je nach Situation kann die optimale Geschwindigkeit daher tiefer oder auch höher als 50 km/h liegen. Der zweite Aspekt betrifft den Entwurf und die Gestaltung der Haupt- und Nebenstrassen. Eine Strassenraum­gestaltung, so dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten werden kann, ist nicht möglich. Auf dem übergeordneten Netz kann auch heute schneller als 50 km/h gefahren werden, und auch in vorbildlich umgesetzten Tempo-30-Zonen mit horizontalen und vertikalen Versätzen kann die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit nicht per se sichergestellt werden. Die Geschichte und die Erfahrung lehren, dass dies mit einem gesellschaftlichen Konsens zu niedrigeren Höchstgeschwindigkeiten auch nicht notwendig ist. Die festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten werden zumeist eingehalten. Die selbst­erklärende Strasse, in der sich die angepassten Fahrgeschwindigkeiten aus dem städtebaulichen Umfeld und dem Strassenraumentwurf ergeben, kann es nur mit diesem Konsens geben.

Weitere Informationen
Tagungsband «Optimale Geschwindigkeiten in Siedlungsgebieten», Schweizerische Vereinigung der Verkehrsingenieure und Verkehrsexperten SVI (Hrsg.),deutsch-französisch, 209 S., Zürich, November 2015. Alle Referate der Veranstaltungsreihe sind auf der SVI-Webseite www.svi.ch/geschwindigkeit aufgeschaltet.

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