«Es war ein stra­te­gi­scher Ent­scheid»

Seit dem 1. Januar 2008 sind nicht mehr die Kantone für das Verkehrsmanagement auf den Autobahnen zuständig, sondern der Bund. Marc Wijnhoff ist Bauingenieur und leitet heute die Verkehrsmanagementzentrale Schweiz im Auftrag des Astra.

Publikationsdatum
12-10-2012
Revision
01-09-2015

TEC21: Herr Wijnhoff, was sind kurz gesagt die wichtigsten Aufgaben der Verkehrsmanagementzentrale Schweiz (VMZ-CH)?
Marc
Wijnhof: Das Verkehrsaufkommen auf den schweizerischen Strassen nimmt kontinuierlich zu. Die Folgen sind bekannt: höhere Schadstoff- und Lärmemissionen, mehr Unfälle sowie längere Staus und Reisezeiten. Das ganze Verkehrssystem wird immer anfälliger für Störungen. Durch die Konzentration an einer zentralen Stelle möchte der Bund die bestehende Infrastruktur besser nutzen, denn der Verkehr auf der Autobahn hört nicht an der Kantonsgrenze auf. Wir sind die Beobachtungs- und Steuerungsstelle der Nationalstrassen. Hier laufen die Informationen vom Geschehen auf allen Schweizer Autobahnen zusammen.

Sie sind Bauingenieur ETH. Auf welchen Umwegen sind Sie zum Verkehrsmanagement gekommen?
M. W.:
Nach meinem Studium arbeitete ich bei verschiedenen Infrastrukturprojekten als Bau- und Projektleiter, darunter waren die Basler Stadtautobahn Nordtangente oder der Erhaltungsabschnitt Basel–Augst (EABA). 2005 wechselte ich zur Kantonspolizei Basel-Landschaft. In der Stellenausschreibung wurde explizit ein Studium als Bau- oder Verkehrsingenieur verlangt. So kam ich als Quereinsteiger zur Polizei, wurde vereidigt und übernahm die Funktion des Abteilungsleiters Verkehrkehrspolizeilicher Support.  

Mit dem Wechsel zur Polizei haben Sie sich bewusst vom klassischen Berufsbild des Bauingenieurs entfernt. Was war Ihre Motivation?
M. W.:
Es war ein strategischer Entscheid. Ich wollte Führungserfahrung sammeln. Nach drei Jahren bei der Polizei begann ich mich nach einer neuen Herausforderung umzusehen, denn mir war von vornherein klar, dass wenn ich länger als fünf Jahre bleiben würde, ich Schwierigkeiten hätte, in meinen ursprünglich erlernten Beruf zurückzugehen. Zudem sind für einen Bauingenieur die Möglichkeiten, innerhalb der Polizei aufzusteigen – im Gegensatz beispielsweise zu Juristen –, eher eingeschränkt. 

Als Sie begannen, sich umzusehen, existierte die VMZ-CH noch gar nicht. Wie sind Sie auf die Stelle aufmerksam geworden?
M. W.:
 Mit der Neuordnung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) hat das Bundesparlament nicht nur das Eigentum der Nationalstrassen von den Kantonen auf den Bund übertragen, sondern auch das Verkehrsmanagement. Einen kantonsübergreifenden Blick für den motorisierten Verkehr gab es bis dahin nicht. Für den Aufbau einer neuen Verkehrsmanagementzentrale wurde nun ein Leiter gesucht, und ich wurde angefragt, ob ich diese Herausforderung annehmen möchte. Mein Wissen aus der Baubranche und die praktischen Erfahrungen im Umgang mit der Polizei kamen mir zugute. Ausserdem half mir mein grosses Netzwerk aus der Zeit in Baselland. 

Haben Sie vor Ihrer Tätigkeit bei der Polizei eine zusätzliche Ausbildung absolviert?
M. W.:
 Im Vorfeld habe ich keine weitere Ausbildung gemacht. Ich besuchte jedoch interne Weiterbildungen, um mich in das neue Gebiet einzuarbeiten, unter anderem Kurse für Führungskräfte. Zu meinen Aufgaben gehörte aber auch der Pikettdienst. Bei grösseren Ereignissen mussten wir die Koordination vor Ort übernehmen oder Todesnachrichten überbringen. Obwohl diese Erfahrungen nicht immer nur schön waren, möchte ich die Fronterfahrung nicht missen, sie hat mir persönlich viel gebracht. 

Kommt Ihnen Ihre Ausbildung zum Bauingenieur heute zugute?
M. W.:
 Die fachliche Ausbildung spielt eher eine untergeordnete Rolle. Sicher hilft die Ausbildung im Verkehrsingenieurwesen für das Verständnis. Doch die analytischen Fähigkeiten, das Denken in Varianten und das Querdenken stehen im Vordergrund. Ich profitiere heute von dem breiten Fundament, das man beim Studium bekommt, und von meiner praktischen Erfahrung bei der Polizei. 

Die VMZ-CH nahm Anfang 2008 ihren Betrieb auf. Für Sie begann die Arbeit schon vorher.
M. W.:
 Im September 2007 begann der Aufbau der VMZ-CH. Anfangs war noch nicht einmal das Gebäude fertig. Meine erste Aufgabe war, das Personal zu rekrutieren. Wir sind inzwischen rund 20 Personen. Auf der operativen Ebene sind die Mitarbeiter zu 80% ehemalige Polizisten, oder sie kommen von den SBB oder einem anderen Verkehrsbetrieb. Die Arbeitsplätze sind rund um die Uhr besetzt. Neben dem Sekretariat und dem IT-Spezialisten arbeite ich momentan mit zwei Verkehrsingenieuren zusammen. Wir begleiten die zuständigen Bundesstellen beim Planen des Verkehrsmanagements auf Baustellen. Zurzeit beschäftigt uns unter anderem auch die geplante Sanierung des Seelisbergtunnels, besonders arbeiten wir hier im übergeordneten Verkehrsmanagement mit. 

Künftig wird das ganze Nationalstrassennetz von Emmenbrücke aus gesteuert. Wie weit ist die Umsetzung fortgeschritten?
M. W.
: In den letzten zwei Jahren ging es darum, uns am Markt zu positionieren. Bisher wird noch keine Schaltung bei uns im Haus gemacht. Stockt der Verkehr, entscheiden unsere Operateure über Sperrungen, Umleitungen oder Temporeduktion. Die zuständige Kantonspolizei wird telefonisch benachrichtigt, um die notwendigen Anlagen zu schalten. Bis wir soweit sind, erfolgt diese Arbeit im Leistungsauftrag. Dieses Jahr werden wir jedoch ein Pilotprojekt starten, bei dem die ersten Schaltungen im Raum Solothurn, Aargau und Basel-Landschaft auf der A1, der A2 und der A3 von uns durchgeführt werden. In den nächsten Jahren sollen sukzessive weitere Gebiete hinzukommen. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Harmonisierung der Betriebs- und Sicherheitsausrüstung und der Verkehrsmanagementanlagen auf dem Nationalstrassennetz. Die rund vierzig verschiedenen Betriebssysteme in den Kantonen sind organisch gewachsen und meist nicht kompatibel. Weiter sind wir daran, eine zentrale, für alle Partner zugängliche und umfassen de Softwareumgebung aufzubauen. Bis 2012/2013 sollen in diesem Bereich erste Erfolge zu verzeichnen sein. 

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