Er­ho­lung, to­tal

Die diesjährige ILF-Tagung am 29. Oktober 2014 widmete sich den Themen Erholung und Freizeit. Im Zentrum standen die Bedürfnisse der Nutzenden, die planerische Sicherung der notwendigen Flächen in Zeiten der baulichen Verdichtung und schliesslich die konkreten Nutzungsangebote und Gestaltungen, die aus freien Flächen erst Freiräume machen.

Publikationsdatum
20-11-2014
Revision
01-09-2015

Peter Wullschleger, bekennender Nah-Erholiker, eröffnete die Tagung mit Bildern aus seinem privaten Fotoalbum. Zu sehen gab es keine Selfies auf dem Pumptrack, sondern menschenleere Kulturlandschaft um La Chaux-de-Fonds. Für den Geschäftsführer des Berufsverbandes BSLA bedeute totale Erholung vor allem die Abwesenheit von jeglicher Landschaftsarchitektur. 

Nutzende vermessen

Nun kann die Erholung zwar ohne die Landschaftsarchitektur, aber eine Landschaftsarchitektur ohne Thematisierung des Erholungsaspektes ist spätestens seit dem Zeitalter der Industrialisierung und der Anlage der ersten Volksparks mehr oder weniger undenkbar. Die Erforschung der entsprechenden Bedürfnisse hat demgemäss eine lange Tradition, sieht sich aber auch immer wieder neuen Phänomenen ausgesetzt.

Aus den Freiräumen Wiens berichtete etwa Andreas Muhar von der Universität für Bodenkultur, dass Freizeit in einer globalisierten Welt nicht per se positiv besetzt sein muss: Arbeitsmigrantinnen und -migranten würden Freizeit eher mit einer negativ konnotierten Beschäftigungslosigkeit gleichsetzen. Entsprechend schwierig sei es, für diese Gruppen entsprechende Angebote bereitzustellen.  

Dem empirisch fundierten Vorgehen Muhars stellte Markus Bieri (Freiraumarchitektur Luzern) das älteste Instrument der Bedürfniserfassung gegenüber: das Zuhören, das er im basisdemokratischen Planungsprozess der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich intensiv nutzte.

Flächen sichern

Im Angesicht der fortschreitenden Zersiedelung und der laufenden Verdichtung ist die Sicherung von  Flächen für Erholungs- und Freizeitnutzungen mit Nachdruck zu betreiben. Susanne Karn (Institut GTLA, HSR) stellte eine Pilotstudie vor, in der ein neuer Ansatz zur Bestimmung der Freiraumversorgung in der Agglomeration getestet wurde. Aus der Literatur abgeleitete Freiraumbedürfnisse wurden in eine abgestimmte Typologie von Freiräumen mit je eigenen Raumansprüchen übersetzt.

Bedenklich stimmte, dass Erholung allein als Argument kaum je auszureichen scheint. Besonders in der Peripherie müssen zwingend Allianzen mit anderen Playern in der Landschaft geschmiedet werden, um dem Legitimationsdruck gegenüber ökonomischen Verwertungszwängen standzuhalten. Adrienne Grêt-Regamey (ETH Zürich) plädierte für den Einbezug von Landschaftsleistungen in planerische Überlegungen. In Simulationen auf der Massstabsebene des Baufeldes zeigte sie, wie gezielte Verdichtung das Freispielen von Flächen erlaubt, die eine Vielzahl von Funktionen nebst der Erholung erfüllen können. 

Räume entwickeln

Mit der Sicherung der Flächen geht die eigentliche Arbeit aber erst los. Die vorgestellten konkreten Projekte verdeutlichten dabei auch die Bandbreite von Massstabsebenen, in denen Landschaftsarchitektinnen und –architekten denken: Lea Ketterer Bonnelame (ILF) stellte ein Zertifizierungssystem für naturnahen Tourismus in der Alpenregion vor, das länderübergreifend von Frankreich bis nach Slowenien angewendet wurde. Adrian Kräuchi (Landplan Lohnstorf) und Joachim Kleiner (ILF) zeigten auf, wie regionale Konzepte im Lokalen konkretisiert werden können: Kräuchi für das Grüne Band um Bern, Kleiner für die Erholungslandschaft Zürichsee. Auf der lokalen Ebene setzte schliesslich die erwähnte Kalkbreite den Gegenpol.  

Berührungsängste abstreifen

Gemein war den meisten der vorgestellten Projekte, Ansätze und Sichtweisen, dass Siedlung und Architektur allzu oft als Leerstelle, vor allem aber als Grenze des eigenen Einflusses wahrgenommen wurden. Die baulichen Entgleisungen am Siedlungsrand kaschiert man mit üppigem Grün, statt selber architektonische Qualitätsansprüche zu formulieren und einzufordern. Und auch das Flächenangebot in der öffentlichen Hand ist in der Agglomeration verschwindend gering. Die Stellschrauben für eine qualitätsvolle Entwicklung liegen hier, wie von Susanne Karn eindrücklich aufgezeigt, in den Wohnumfeldern.

Es bleibt der Disziplin also zu wünschen, dass sie ihren Einflussbereich weiter fasst und das Thema Erholung mehr in der Totalen von bebautem und unbebautem Raum begreifen und besetzen möge. Erholung total!

Infomartionen
Die ILF-Tagung wird seit 2012 jährlich vom Institut für Landschaft und Freiraum ILF der Hochschule für Technik Rapperswil HSR ausgerichtet. Weitere Informationen, Unterlagen und Videos zur diesjährigen Tagung können unter http://ilf.hsr.ch abgerufen werden.

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