Ei­gen­kon­sum statt Über­pro­duk­ti­on

Gemessen an der kumulierten Leistung befindet sich der Schweizer Photovoltaikmarkt seit 2011 in einem stetigen Wachstum. Wie gelingt der energiestrategisch wichtige weitere Ausbau auf ökologisch und ökonomisch sinnvolle Weise?

Publikationsdatum
03-03-2020

Wer sich beim Bau eines Mehrfamilien­hauses für die Nutzung solarer En­ergie entscheidet, erfreut sich heutzutage einer Fülle an technologischen Möglichkeiten. Nicht nur, dass mit dem aktuellen Stand der Technik bereits eine überschaubare Kollektorfläche zur Deckung der eigenen energetischen Bedürfnisse ausreicht. Es bieten sich auch zahlreiche und zwischenzeitlich praxiserprobte Konzepte für einen wirtschaftlichen Betrieb von Photo­voltaiksystemen an. Allerdings haben sich in den letzten Jahren mit der technologischen Entwicklung auch die finanziellen Fördermechanismen verändert, wodurch der Begriff der Wirtschaftlichkeit laufend neu definiert wird.

Im Grundsatz gilt: Die Wirtschaftlichkeit einer Anlage kann hauptsächlich über die Optimierung des Eigenverbrauchs (der übrigens erst seit dem Jahr 2014 gesetzlich geregelt wird) erreicht werden. Zahlreiche Leuchtturmprojekte der vergangenen Jahre zeigen, wie mit einer geschickter Nutzung und Umwandlung der photovoltaischen Energie der Eigenverbrauch erhöht werden kann. Das ist insofern relevant, als die Photovoltaik eine tragende Säule bei der Stromproduktion aus erneuerbarer Energie ist. Abgesehen von der Wasserkraft ist sie hauptverantwortlich dafür, dass der Pfad in Richtung der gesetzlich verankerten Produk­tionsrichtwerte der Energiestrategie 2050 bislang eingehalten wird.

Da die übrigen Energieproduktionsformen (Kehrichtverbrennungsanlagen und erneuerbare Abfälle, Windenergie­anlagen, Feuerungen mit Holz und Holzanteilen, Biogasanlagen) seit knapp zehn Jahren beinahe konstante Energiemengen zur Produktion beisteuern, scheint ein weiterer Ausbau der Photovoltaik nicht nur sinnvoll, sondern für die anvisierte Senkung der energiebedingten CO2-Emissionen zwingend.

Aus ökonomischer und ökologischer Sicht ist ein Ausbau der Photovoltaik aber vor allem dann sinnvoll, wenn die produzierte Energie entweder vor Ort konsumiert, umgewandelt oder gespeichert werden kann. Erfahrungsgemäss erfolgt eine Rückspeisung ins Netz zu Tageszeiten, an denen andernorts im Land kaum Bedarf für eine Verwendung besteht. Nun ist es einerseits nicht ökologisch, die Überproduktion ins Ausland zu verkaufen und zu anderen Tageszeiten von dort nicht nachhaltig produzierten Strom zu impor­tieren. Andererseits ist eine Rückspeisung aus Sicht des Anlagenbetreibers nur dann ökonomisch, wenn die Differenz zwischen Stromabnahmevergütung und Strombezugspreis nicht allzu gross ist.

Haus 2050: der optimierte Pionier

In Kriens LU steht eines der ersten Minergie-A-Eco-­Mehrfamilienhäuser der Schweiz. Das 2013 von einer privaten Bauherrschaft fertiggestellte und über die folgenden Jahre betriebstechnisch überwachte Haus mit fünf Wohnungen und zwei Büroeinheiten gilt als Vorreiterprojekt bezüglich Optimierung des Eigenverbrauchs, da zum damaligen Zeitpunkt weder standar­disierte Konzepte noch förderliche Gesetze für einen optimalen Betrieb von Gebäuden mit hoher Eigenproduktion vorhanden waren. Es verfügt über eine dachintegrierte Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 30 kWp und einem Jahresertrag von rund 23 MWh (zum Vergleich: laut Bundesamt für Energie liegt der durchschnittliche Jahresverbrauch eines Haushalts bei rund 5 MWh elektrischer Energie).

Verantwortlich für die Optimierung ist ein intelligentes Gebäudemanagementsystem (Steuerung und prioritärer Solarbetrieb aller Verbrauchsgeräte) und eine hohe Effizienz der Gebäude­hülle. Ein wesentlicher Teil des hohen Eigenverbrauchs geht auf eine Luft-Wasser-­Wärmepumpe zurück, die auf die Verfügbarkeit des Solarstroms abgestimmte Betriebszeiten hat und damit ­quasi als Puffer wirkt. In der Summe produziert das Haus über das Jahr hinweg einen grossen Teil des gesamten Energiebedarfs für Heizung, Warmwasser, Lüftung und Strom selbst.

Zentrum Tobel: der Grossversorger

Ebenfalls die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft verfolgt ein Baukonsortium mit der Zentrumsüberbauung in Tobel TG. Dabei handelt es sich um die Umnutzung einer rund 3000 m2 grossen Industriebrache zu einer Wohnüberbauung mit Dorfmarkt (Lebensmittelgeschäft samt Bäckerei, Bistro und Poststelle). Das Vorhaben umfasst mehrere Ausbauetappen: In der 2017 fertiggestellten Etappe wurden drei Mehrfamilienhäuser mit total 32 Minergie-P-Wohnungen realisiert. Für die elektrische und thermische Energie sorgen vollflächig auf den Flachdächern installierte Photovoltaikmodule und eine im Rahmen des Projekts neu patentierte, solaraktive Modulfassade mit Lamellen­struktur und Lüftungsstutzen. Im Jahr 2019 wurden die Balkonbrüstungen mit einer zusätzlichen Photovoltaikanlage nachgerüstet, was insbesondere auch die Winterstromproduktion erhöhte. Gemäss den neuesten Messungen erzeugen die beiden Photovoltaikanlagen mit 285 kWp Leistung über das Jahr gesamthaft 236 MWh elektrische Energie.

Das Gesamtenergiekonzept der Überbauung basiert auf verschiedenen technologischen Bausteinen: Die Photovoltaikanlagen decken den Strombedarf der Haushalte, des Dorfmarkts und der technischen Ge­räte. Mittels Erdsonden wird die Energie für die Fussbodenraumheizung gewonnen. Die Modulfassade mit Lamellen­struktur wirkt als Kollektorfläche, um die Innenräume mit solar gewärmter Frischluft zu versorgen.

Für den Wärmeaustausch in den Wohnräumen konnte indes auf eine konventionelle Zu-/Abluftanlage verzichtet werden: Über einen leistungsarmen Abluftventilator wird «verbrauchte» Raumluft abgezogen. Dadurch entsteht im Gebäudeinnern ein leichter Unterdruck, der den Luftaustausch mit der an den Kollektoren gewärmten Frischluft ermöglicht. Die abgezogene Raumluft wird wiederum als Quelle für die Warmwasseraufbereitung der Wärmepumpe eingesetzt. Insgesamt resultiert aus dem Produktionskonzept, der gewählten Gebäudetechnik und einer energieeffizienten Bauweise ein deutlicher Überschuss an elektrischer Energie von 82 % in der Jahresbilanz – er macht das Zentrum Tobel zu einer Plusenergiesiedlung.

MFH Brütten: der Selbstversorger

Fernab von jeglichen Vergleichsobjekten präsentiert sich in Brütten ZH das erste energieautarke und rein solarstrombetriebene Mehrfamilienhaus (vgl. «Egoist», TEC21 7–8/2017). Dem 2016 fertiggestellten Objekt mit neun Wohnungen wird weder elektrische noch thermische Energie von aussen zugeführt – es ist vollständig unabhängig von Versorgungsnetzen. Als alleinige ­Energiequellen dienen Erdwärme und Sonne. Die gewonnene Energie wird in verschiedenen Formen für die ganzjährige Nutzung gespeichert.

Motor dieses Kraftwerks sind sowohl in die Fassade wie auch ins Dach integrierte Photovoltaik­platten mit gesamthaft knapp 1000 m2 Modulfläche, 127 kWp Leistung und knapp 100 MWh erzeugter elektrischer Energie pro Jahr. Zusammen mit der aus der Umgebungswärme und mittels Erdsonden gewonnenen thermischen Energie wird der jährliche Gesamtenergiebedarf des Gebäudes genau gedeckt. Die Autarkie wird mithilfe einer Speicherung der elektrischen und thermischen Energie erreicht.

Anreize für mehr Produktion

Neben den technischen Optimierungsmöglichkeiten und den energiegesetzlichen Förderinstrumenten gibt es auch Ansätze, die an der Schnittstelle zwischen Stromproduzenten und Elektrizitätsversorgungsunternehmen (EVU) ökonomische Anreize schaffen wollen. Erst kürzlich hat die Eidgenössische Elektrizitätskommission (ElCom) das Modell des virtuellen Speichers geprüft, aber 2019 von der ElCom als stromversorgungsrechtlich unzulässig eingestuft.

Ansporn für hohe Produktionsmengen liefern also lediglich die Umwandlungs- und physischen Speichermöglichkeiten für die selbst produzierte Energie. Nun kann aber – von der Sinnhaftigkeit einmal abgese­hen – nicht jeder Anlageneigentümer grosse Speicher- oder Umwandlungsanlagen realisieren. Abhilfe könnten hier etwa kleinere Batterielösungen schaffen, die sich in den vergangenen Jahren immer wirtschaftlicher ins eigene Energiesystem integrieren lassen. Noch interessanter wären freilich «zweckgebundene» Lösungen wie zum Beispiel in Elektroautos verbaute Batterien, die nicht eigens als Hausspeicher beschafft werden müssen und bei Bedarf wieder entladen werden könnten. Leider gibt es bislang kaum ein Dutzend Fahrzeugmodelle, die einen bidirektionalen Ladevorgang softwaretechnisch erlauben.

Das Ziel: die Energiewende

Wie kann demnach der zur Energiewende wichtige ­weitere Ausbau der Photovoltaik sinnvoll bewerkstelligt werden, sowohl ökonomisch wie auch ökologisch? Die Antwort liegt auf der Hand: Es braucht weitsichtige Bauherren und findige Planer, die mit ihren Visionen und Ideen nachahmenswerte Objekte realisieren.

Die praktischen Beispiele des «Hauses 2050» und der Zentrumsüberbauung Tobel zeigen, wie der Eigenverbrauch mit gezielten Massnahmen (solare Architektur, Gebäude- und Gerätemanagementsystem, Energieumwandlung und Einbindung unterschied­licher Nutzungsprofile) sinnvoll erhöht werden kann. Das Mehrfamilienhaus in Brütten liefert den Beweis, dass Energieautarkie (mit entsprechendem technischem Aufwand) auch im Siedlungsumfeld möglich ist. Die drei ausgewählten Bauten zeigen also Konzepte, die individuell bestens funktionieren. Sie dienen als Ideen­geber für die weitere Entwicklung des solaren Bauens und bestätigen, dass sich hohe Produktionsmengen ökologisch und ökonomisch lohnen können.
 

Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie in TEC21  6/2020 «Die Klaviatur des solaren Bauens».

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