Das Licht der Mo­der­ne

Publikationsdatum
14-01-2016
Revision
14-01-2016

Im Lauf des 20. Jahrhunderts haben sich sowohl der architektonische Diskurs als auch die Praxis intensiv mit dem Thema Licht befasst, auf verschiedene Weisen und mit unterschiedlichen Zielen.

Einerseits hat man sich mit den Gesetzmässigkeiten des Lichts aus gestalterischer Sicht beschäftigt, um Gebäudevolumen und Räume optimal zur Geltung zu bringen; ­andererseits spielen erstmals physikalische Berechnungen – beispiels­weise der Sonneneinstrahlung, Verschattung oder Beleuchtungsstärke – eine wichtige Rolle. Dies sowohl in Hinblick auf die Herstellung gesünderer Lebensräume als auch, um den wachsenden Anforderungen an Komfort gerecht zu werden – mit angenehmer Ausleuchtung von Räumen und Schutz vor exzessiver Sonneneinstrahlung.

Der Sammelband «‹Le jeu savant›: Luce e oscurità nell’architettura del XX secolo» ist das Ergebnis des gleichnamigen Symposiums an der Accademia di Architettura in Mendrisio im Oktober 2014 und die ideelle Fortsetzung von «Manipolare la luce in epoca premoderna: aspetti architettonici, artistici e filosofici» (hrsg. von Daniela Mondini, Vladimir Ivanovici, Mendrisio Academy Press/Silvana Editoriale, Men­drisio 2014), das aus einem ersten Symposium 2011 entstanden war.

Die 20 Beiträge von «‹Le jeu savant›» sind in vier thematische Gruppen gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit der Darstellung des Lichts in der Architektur in verschiedenen Medien, vom Text über die klassische Präsentationszeichnung bis zur Fotografie und zum Film.

Besonders lesenswert ist der Artikel von Katrin Albrecht über das Aufkommen von Nachtansichten in den 1930er-Jahren in Italien, sowohl bei Fotodokumentationen für Architekturzeitschriften als auch bei Wettbewerbsperspektiven: ein Zeichen des wachsenden Bewusstseins der gestalterischen Möglichkeiten von Kunstlicht. Spannend ist auch der Beitrag von Marcel Bächtinger, der eine Parallele zieht zwischen den kontrastreichen Lichtregien im Werk Le Corbusiers und dem Kino­erlebnis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 

Im zweiten Teil sind die Beiträge zu den Aspekten der Belichtung und Orientierung versammelt. Ein aussergewöhnliches Beispiel, vorgestellt von Valeria Farinati, ist die Villa Girasole des Ingenieurs Angelo Invernizzi, ein 1935 fertiggestellter Betonbau, der sich auf Schienen um einen zentralen Treppenturm drehen konnte, um dem Lauf der Sonne zu folgen. Die dritte thematische Gruppe zu Steuerungsvorkehrungen des natürlichen Lichts ist die schwächste, trotz dem interessanten Artikel von Marco Di Nallo über die Diskussion um einseitige oder mehrseitige Belichtung im Schweizer Schulbau der Nachkriegsmoderne.

Am aufschlussreichsten ist hingegen der vierte Teil, der dem Kunstlicht gewidmet ist. Hervorzuheben ist hier Matthias Brunners präzise Studie zum Kaufmann Desert House von Richard Neutra mit der Rekonstruktion der fein nuancierten Lichtplanung des Hauses, die das ausserordentliche Ziel verfolgte, auch nachts eine Konti­nuität von innen und aussen herzustellen und den spektakulären Sternenhimmel Kaliforniens in die Lichtkomposition einzubeziehen. 

Viel üppiger, doch ebenso ausgefeilt erscheint die Lichtregie des 1929 gebauten Théâtre Pigalle von Charles Siclis in der Analyse von Ruth Hommelen. Bemerkenswert sind auch der Artikel von Lutz Robbers zu dem eindrucksvollen Element der Lichtwand in Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon und in der Villa Tugendhat sowie derjenige von Dietrich Neumann, der am Beispiel von Mies van der Rohes Architektur den entscheidenden Aspekt der Zusammenarbeit von Lichtplanern mit der Industrie veranschaulicht.

Was man in Anbetracht des Titels ein wenig vermisst, sind Beiträge zur Architektur vom letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Eine Ausnahme bildet hier der Artikel von Giuliana Scuderi zu metallischen Sonnensteuerungs- und -schutzsystemen; allerdings fällt dieser Beitrag auch aufgrund der immensen Weite des Felds eher deskriptiv als analytisch aus.

Dennoch eröffnet «‹Le jeu savant›» viele faszinierende Einblicke in die Theorie und Praxis des Bauens mit dem Licht in der Moderne – und zwar im Hinblick sowohl auf die Auseinandersetzung mit dem Sonnenlicht als auch auf die Ent­deckung des Kunstlichts als neues «Material» für die Architektur des 20. Jahrhunderts.

Silvia Berselli, Matthias Brunner, Daniela Mondini (Hrsg.): «Le jeu savant» – Luce e oscurità nell’archi- tettura del XX secolo. Light and Darkness in 20th Century Architecture. Mendrisio Academy Press / Silvana Editoriale, Mendrisio 2014. Taschen- buch, 24.3 × 19.5 cm, Fotos und Abbildungen in s/w, 277 S., I/E/F/D; Fr. 52.00, ISBN 97888-3662-981-7.


Buch bestellen unter leserservice [at] tec21.ch.
Für Porto und Verpackung werden Fr. 8.50 verrechnet.

Magazine

Verwandte Beiträge