«Das Bau­denk­mal ist nicht bloss Idee, son­dern rea­li­sier­te Wirk­lich­keit»

Leserbrief

Zum Beitrag von Michael Hanak «Untolerierbare Geschichtsleugnung» in TEC21 19/2020 hat Nick Meyer einen Leserbrief verfasst («Mit einem Erhalt wäre niemandem gedient», TEC21 20/2020). Er schlägt vor, das Gewerbegebäude Tribschen in Luzern gut zu dokumentieren und dann abzubrechen. Ein weiterer fachkundiger Leser widerspricht vehement.

Publikationsdatum
22-07-2020

«Es ist verdienstvoll, wenn ein Bauleiter und Architekt sich für die Interessen seiner Bauherrschaft einsetzt. Es mag allerdings sein, dass ihm diese Nähe den Blick für das Ganze verstellt. Dies scheint auch Nick Meyer mit seinem Leserbrief geschehen zu sein.

Zunächst hat er Recht, wenn er den Ursprung des Problems in der vor 25 Jahren durchgeführten Planung sieht. Die damals Verantwortlichen auf allen Stufen haben den historischen Wert des Gewerbegebäudes Tribschen nicht erkannt, es nicht in die Planung einbezogen und seinen Erhalt nicht vorgesehen – aus heutiger Sicht tatsächlich ein Planungsfehler. Zum heutigen Zeitpunkt ist indessen von allen Beteiligten zu erwarten, dass sie eine planerische Vorstellung, die vor einer ganzen Generation entwickelt wurde, infrage stellen und angemessen auf neue Erkenntnisse reagieren. So auch in Luzern: Der herausragende historische Wert des Gewerbe­gebäudes ist heute anerkannt, und es ist höchste Zeit, das nötige Verständnis dafür aufzubringen und die neuen Fakten in eine gegenwärtige, neue Planung einfliessen zu lassen. Hierbei sind die Behörden wie die CSS Versicherungen als Eigentümerschaft (Plakat-Slogan «Verständnis zeigen») gleichermassen gefordert.

Es ist unbestritten, dass das Gewerbehaus und seine Entstehungsgeschichte für die sozialpolitischen Verhältnisse in der Stadt Luzern von eminenter Bedeutung sind. In der schweizerischen Architektur kommt ihm eine wichtige Rolle zu. Dem Architekten Carl Moss­dorf ist mit seinem Erstlingswerk ein Wurf gelungen, der un­gewöhnlich klar und gekonnt die ­Prinzipien der damaligen Neuausrichtung des Bauens aufnimmt. Das Gewerbehaus verfügt über natio­nale Bedeutung.

Die Studie des Architekten Andrea Roost von 2011, die Nick Meyer erwähnt, weist nach, dass das Gewerbegebäude vor Ort erhalten werden kann, ohne die künftige Nutzung der für eine Erweiterung des Hauptsitzes der CSS zur Verfügung stehenden Arealfläche infrage zu stellen. Dank seiner Stellung vor der heutigen Baulinie und seiner aussergewöhnlichen Architektur würde der kleine Bau seine Wirkung im Stadtganzen behaupten und weiterhin Landmarke sein können. Bei einer sorgfältigen Arealbetrachtung erweist sich auch das Argument von zu hohen Instandstellungskosten als zweifelhaft: Im Verhältnis zur Gesamtinvestition sind die Mehrkosten einer Restaurierung des Gewerbegebäudes vernachlässigbar. Der Versicherung würde sie indessen zu einem Imagegewinn als verantwortungsvolle Bewahrerin nicht bloss der Gesundheit, sondern auch von Baukultur verhelfen.

Nick Meyer schlägt vor, das Gewerbegebäude zu dokumentieren und dann abzubrechen. Damit würde der hohe Wert des Gebäudes als in seiner Art überaus seltenes Bauzeugnis der frühen 1930er-Jahre des letzten Jahrhunderts jedoch nicht annähernd gewahrt. Jede Architek­tin und jeder Architekt weiss es: Ein Bau ist mehr als die zu Papier gebrachte Idee, mehr als Pläne oder Fotos. Er existiert erst in seiner Realisierung mit allen zeitgeprägten Bedingungen und Zwängen, den technischen Möglichkeiten, der Handwerksarbeit – seine Materialität macht den wesentlichen Teil seines Werts aus. Nach der Realisierung prägt der Bau seine Umgebung und lebt durch seine vielfältige Benutzung. Selbst Veränderungen können Teil des Baus werden wie jedenfalls die Spuren, die die Alterung an ihm hinterlassen. So ist jedes Baudenkmal als umfassendes Zeugnis seiner Zeit von seiner materiellen Präsenz abhängig. Auch der Gewerbebau Tribschen.»

Zum Gewerbegebiet Tribschen sind folgende Beiträge erschienen:

 

Pe­ti­ti­on zur Ret­tung des Ge­wer­be­ge­bäu­des Trib­schen in Lu­zern
 

Untolerierbare Geschichtsleugnung


«Mit einem Erhalt wäre niemandem gedient»

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