BIM für al­le?

Ergibt Building Information Modelling heute für alle Beteiligten zu jeder Zeit Sinn? Die Planer von Herzog  & de Meuron und ZPF Ingenieure sind skeptisch. Aufgrund noch fehlender Richtlinien beim mit BIM geplanten Neubau des Kinderspitals Zürich mussten sie weitreichende ­Entscheidungen zu Organisation, Prozessen und Qualitätssicherung selbst treffen.

Publikationsdatum
15-09-2020

Auf Initiative des planenden Architekturbüros Herzog  & de Meuron wird der ­Neubau des Kinderspitals Zürich seit 2014 als Open-BIM-Projekt erarbeitet. Bereits in den frühen Leistungsphasen des Projekts kam BIM zum Einsatz, wie auch in der Ausschreibungsphase und bei der derzeitigen Umsetzung. Dank der frühen und engen Zusammenarbeit konnten die Beteiligten wertvolle Erkenntnisse dazu sammeln, wie die Planungsqualität eines Projekts durch die Methode gesichert werden kann und welche Prozesse mit der Zeit einen besonderen Stellenwert bekommen.

In drei Phasen zum dokumentierten Werk

Wie in den meisten BIM-Projekten war die modellbasierte Koordination beim Neubau des Kinderspitals Zürich für die Zusammenarbeit zwischen dem Architekturbüro Herzog  & de Meuron, dem Tragwerksplaner ZPF und den Gebäudetechnik-Fachplanungen eine zent­rale Anwendung, die erst entwickelt werden musste. Leitfäden und Best-Practices-Empfehlungen, aber auch Normen lagen zu Projektbeginn nur aus dem interna­tionalen Umfeld vor. Ebenso war die Entwicklung der Rollen und Steuerungsinstrumente im Prozess notwendig.

Das BIM-­Man­agement übernahm die ARGE KISPI, bestehend aus Herzog  & de Meuron und der Gruner AG. Die BIM-­Fach­koordination nahm Gruner Gruneko wahr, während die Gesamtkoordi­nation als digitaler Abstimmungs- und Prüfprozess zwischen Architekt, Tragwerksplaner und Fachkoordinator gelebt wurde. Rückblickend hat sich diese Vorgehensweise als zielführend erwiesen, da alle relevanten Rollen direkt von den Projektbeteiligten der Planung wahrgenommen wurden.

Retrospektiv konnten die Phasen der SIA 112 – Projektierung, Ausschreibung, Realisierung – das BIM-­Projekt Kinderspital klassisch einrahmen. Aus dem Phasenmodell liessen sich recht einfach Detaillierungsgrade Level of Geometry (LoG) und Level of Information (LoI) ableiten.

Während die Architektur durchgängig das Referenzmodell für die weitere Planung durcharbeitete, ergaben sich im Umgang mit der Modellbearbeitung seitens Tragwerksplanung unterschiedliche Qualitäten in den Leistungsphasen. Die Beschreibung der SIA-­Phasen als Konzept- beziehungsweise Designphase, Produktionsphase und Dokumentationsphase soll die BIM-bezogenen Herausforderungen im kollaborativen Prozess zwischen Architekt und Tragwerksplaner hier verbildlichen.

Konzept- und Designphase: alles im Fluss

In der Konzept- beziehungsweise Designphase (Projektierung) werden das Vor- und das Bauprojekt erarbeitet. Vor allem im Vorprojekt werden verschiedene Varianten gleichzeitig verfolgt, das Projekt ist starken Verän­derungen unterworfen, es existiert nicht «das eine ­Bauwerk», sondern eine Vielzahl von Bauwerken, die parallel als Varianten meist mit unterschiedlichen Werkzeugen ausgearbeitet werden.

Ein BIM-Flächen- und -Raummodell war zu diesem Zeitpunkt für den Architekten vor allem für die Koordination der funktionalen und räumlichen Zusammenhänge des Spitals sinnvoll. Für den Tragwerks­planer war die Modellierung aufgrund der sich stetig wandelnden und parallel zu bewertenden Varianten unverhältnismässig aufwendig und ohne zusätzlichen Nutzen. Das Architektenmodell reichte zu diesem Zeitpunkt vollkommen aus, da alles sehr schnell geändert werden konnte.

Das Modell war ständig im Fluss – 50 Stützen konnten an einem Tag ohne Weiteres bewegt werden –, ein zeitlicher Anspruch, den ein Tragwerksmodell kaum erfüllen kann. Eine hohe Agilität ist in dieser Phase mit einer vereinfachenden Modellierung gleichzusetzen. Stützen wurden im Architekturmodell geschossübergreifend modelliert, Wände oder Decken waren mehrschichtig und haben zwischen Roh- und Ausbau nicht unterschieden.

Gegenüber dem Architekten tritt der Tragwerksplaner in dieser Phase somit als Berater und Informationslieferant auf. Er definiert Regeln, nach denen der Architekt planen kann. Der konventionelle Ansatz – ohne einen ständigen Tragwerksabgleich mit Modellen – ­ermöglicht eine effiziente Lösungsfindung mit dem ­Architekten. Dieser kann die Regeln direkt in seinen Entwurfs- und Koordinationsprozess miteinbeziehen.

Anstatt eines Tragwerksmodells sind für den Ingenieur und die Auslegung des Tragwerks allerdings «Freezes» notwendig – Meilensteine, bei denen ein vereinbarter Zustand des Architektenmodells festgehalten wird, um ein mögliches dazugehöriges Tragwerk zu konzeptionieren. Diese Freeze-Zustände dürfen den Architekten allerdings nicht ausbremsen. Der Ingenieur bringt daher Konstruktionskonzepte und Berechnungen für die Meilensteine, die den Architekten bei der Entwicklung des Tragwerks unterstützen.

Da im Vorprojekt möglichst viel Zeit für die Ermittlung der besten Lösungen verwendet werden soll, wird ein Freeze des Architekturmodells so spät wie möglich vor der Abgabe des Vorprojekts gesetzt. In dieser kurzen Zeit wird kein komplettes Tragwerksmodell aufgebaut. Es entsteht nun die finale Version der Tabuzonenkörper – der Bereiche, die nicht überplant respektive durchdrungen werden dürfen. So können in den folgenden Phasen Kollisionen vermieden und bei baulichen Konflikten eine frühzeitige Abklärung eingeleitet werden.

Bereits in dieser Phase wurden gesondert aufgebaute Berechnungsmodelle, etwa für den Erdbebennachweis, in spezialisierten Programmen eingesetzt. Die aus den Resultaten dieser Berechnungen definierten Regeln flossen danach wiederum in die Planung des Architekten ein.

Bauprojekt: koordiniertes Konzept

Auch der Anfang des Bauprojekts weist meist noch konzeptionellen Charakter auf und kann weiterhin nach der bewährten Methode aus dem Vorprojekt ablaufen. Der Tragwerksplaner pflegt das Tabuzonenmodell, berät und unterstützt den Architekten bei der Implementierung der Regeln zur Geometrisierung, wie etwa maximaler Spannweiten im Stützenraster oder Bauteildimensionen. Das Projekt wird zunehmend gefestigt, und die gewählten Lösungen aus dem Vorprojekt werden weiterverfolgt.

Sind die Projektgeometrien festgelegt und die grösseren Aussparungen fixiert, findet der Wechsel von der konzeptionellen Aufgabe zu den Produktionsanforderungen statt. Erst ab diesem Zeitpunkt wird ein vollständiges und in sich koordiniertes Tragwerksmodell erstellt, das neben der Koordination hauptsächlich zur Erstellung der Bauprojektpläne dient. Hierfür müssen auch die Aussparungen und Einlagen durch den Tragwerksplaner, den Architekten und die technische Gebäudeausrüstung geprüft und bewertet werden.1

Beim Kinderspital Zürich etwa erfolgte die Prüfung und Nachverfolgung sämtlicher Änderungen im «Provision-­for-­Void»-Prozess mittels intern erstellter Programmerweiterungen in den BIM-Autorensystemen. War eine Aussparung bei zwei Modellständen weder in Lage noch Abmessung verändert, wurde der letzte Zustand der Kommentierung übernommen. Eine erneute Prüfung war nicht mehr notwendig. Bei über 1000 Aussparungen ist dies im Vergleich zu einem konventionellen Abgleich der Pläne zeitsparend und weniger fehleranfällig.

Dennoch war einer der grössten Aufwände in dieser Phase die Nachverfolgung von relevanten Änderungen zwischen den Modellständen. Obwohl BIMPrüfsoftware zum Einsatz kam, liegt hier noch ein grosses Potenzial, und bei Einsatz von neuen Kollabora­tionsplattformen ist eine Zeitersparnis möglich. Damals lagen solche im benötigten Umfang noch nicht vor.

Ausschreibung: Grundlagen festhalten

Mit Blick auf die Vielzahl der kommenden Einzelausschreibungen der Gewerke wandelte sich die Rolle der Modelle. Im Fokus stand nun unter anderem die Qualität der abgeleiteten Planunterlagen. Modelle wurden den Ausschreibungen nur als zusätzliche, nicht rechtlich verbindliche Informationsquelle beigelegt.

Konzeptionell lassen sich Ausschreibung und Ausführung als Produktionsphase beschreiben. Das Augenmerk liegt auf der Effizienz der Planung und der Herstellung des Gebäudes, einem möglichst hohen Automatisierungsgrad, gesicherten Freezes, Kontrollen und Freigaben, klaren Verhältnissen bezüglich Haftung und der definierten Schnittstelle zu den ausführenden Unternehmen mit der Übergabe des freigegebenen Plans.

Aufgabe der Produktionsphase Ausschreibung ist die Ableitung der Ausschreibungspläne und ihrer Detaillierung, der Massenauszüge und der Listen direkt aus dem Modell. Auf dieser Basis lassen sich in der Folge das Leistungsverzeichnis und nach Bedarf Bauablaufsimulationen erstellen. Eine der wichtigsten ­Herausforderungen ist, möglichst keine Änderungen an den Grundlagen vorzunehmen, die den Produktions­prozess unterbrechen oder sogar neu anstossen könnten.

Ein Änderungswunsch entsteht oft in guter Absicht, das Produkt zu verbessern. Meist verursacht eine solche Änderung im laufenden Produktionsbetrieb aber höhere Kosten, als dies die vermeintliche Verbesserung rechtfertigen würde. So wurde in der Produktions­phase der Ausschreibung zumindest zwischen den BIM-­Modellen Architektur und Tragwerk kein enger Austausch vorgesehen.

Realisierung: strikt nach Fahrplan

Wie schon in vorgängigen Phasen ist auch in der Produktionsphase der Realisierung das Freezing von grösster Bedeutung. Dabei müssen in der Planung Zeitpunkt und Abschnitt der freigegebenen Bauteile klar definiert sein. Ab diesem Zeitpunkt läuft die Produktion immer nach demselben Schema ab. Basierend auf dem Freeze ak­tualisiert die Fachkoordination die Aussparungen, ­während die Ingenieure und Konstrukteure das Tragwerksmodell auf den neuesten Stand bringen.

Mit den aktualisierten Modellen wird eine interne Qualitätssicherung durchgeführt, inklusive einer Kommentierung der Aussparungen. Aus dem aktualisierten Tragwerksmodell werden Schalungspläne generiert und dem Architekten zur Kontrolle zugestellt. Dies erfolgt immer zusammen mit dem jeweiligen Stand des Tragwerksmodells zur externen Qualitätssicherung. Sowohl bei den Aussparungen wie auch bei der Schalung sollte es sich nur noch um einen formalen Kontroll- und Frei­gabeprozess handeln, um letzte verbliebene Details bereinigen zu können.

Beim Kinderspital Zürich wurde der Prüfprozess für die Schalung innerhalb von 60 Wochen rund 30-mal durchgeführt und damit 394 Schalungspläne und 331 Fertigteilpläne geprüft. Für die Erstprüfung der Aussparungen führte man den Prozess zehnmal durch und prüfte damit 60 Aussparungspläne mit über 3500 Aussparungen und Bohrungen.

Dokumentation: Modell kopiert Realität

Prozesse zwischen den Planern spielen in der Dokumentationsphase eine untergeordnete Rolle, da ein Modellaustausch nur noch final stattfinden muss. Die Modelle werden auf den definitiv ausgeführten Stand gebracht. Das Modell entspricht zum Schluss einem digitalen Zwilling der gebauten Wirklichkeit. Selbst wenn kein «As built»-Modell gefordert ist, ergibt es Sinn, bei der Aktualisierung der Pläne gleichsam das Modell nachzuführen. Wichtig ist hierbei die Festlegung eines Zeitpunkts für die Finalisierung der Modelle, damit eine koordinierte Übernahme der Fremdmodelle ins eigene Modell stattfinden kann.

Die Zusammenarbeit während der drei Phasen – Konzept-, Produktions- und Dokumentationsphase – wird im Wesentlichen durch die Organisation und die Prozesse geprägt. Während in der Konzept-/Design­phase der Lead bezüglich Rohbau klar beim Architekten liegt, verlagert er sich in der Produktions- und der Dokumentationsphase auf den Tragwerksplaner und auch auf das Bauunternehmen.

Den vollständigen Artikel finden Sie in TEC21 28/2020 «BIM in der Praxis».

BIM – eine Frage der Zusammenarbeit

Beim Projekt Neubau Kinderspital Zürich hat BIM den Planungsbeteiligten gezeigt, das es die richtige Methode ist, um gemeinsam komplexe Projekte effektiv durchzuführen. Die neuen digitalen Arbeitsmethoden haben den grossen Vorteil, dass sie den Dialog über Prozesse und die Art und Weise der Kollaboration erfordern.

Ziel der kommenden Projekte wird sein, mittels offener Schnittstellen und API einen hohen Grad an Automatisierung zu erreichen, damit aufwendige, manuelle Fleissarbeiten entfallen können. Entwurf und Planung sollen dadurch mehr Raum bekommen. Die digitalen Werkzeuge werden sich weiterentwickeln, neue Ansätze wie Machine Learning begegnen uns schon heute. Letztlich ist das Ziel nicht BIM oder Digitalisierung, sondern die Qualität unserer gebauten Wirklichkeit.

Anmerkung

1 Vgl. «BIM – damit keine Leerstelle vergessen geht»

E-DOSSIER BIM
Artikel aus früheren Heften und weitere Online-­Beiträge in unserem E-Dossier auf espazium.ch/bim

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