Bau­kul­tur kann, soll, ist …

Am 25. November 2016 lud der Verein spacespot zu seiner jährlichen Netzwerktagung. Im Kulturzentrum Progr in Bern erläuterten Fachleute verschiedener Disziplinen ihr persönliches Verständnis von Baukultur. Der Bogen spannte sich vom sehr persönlichen Zugang bis zur Kulturbotschaft des Bundes.

Publikationsdatum
09-12-2016
Revision
14-12-2016

Spacespot hat es sich seit rund zehn Jahren zur Aufgabe gemacht, Schulkinder für die gebaute Umwelt zu sensibilisieren. Unterstützt von den Branchenverbänden SIA und dem Bund Schweizer Architekten BSA laufen aktuell mehrere Projekte: Neben dem Hauptstandbein, der Entwicklung von Lehrmitteln für den Unterricht an Schulen, sind das in Zusammenarbeit mit der Nationalen Informationsstelle zum Kulturerbe NIKE und dem Schweizer Heimatschutz ein Beitrag während der jährlichen Denkmaltage sowie ein Architektur-Sommer-Campus. Ausserdem unterstützt spacespot momentan eine Forschungsarbeit zur Qualitätssicherung von Baukultur an der Universität Liechtenstein.

So stand auch die diesjährige Netzwerktagung unter dem Motto «Baukultur – My point of view». Das Thema ist kein neues: In den vergangenen Jahren hat sich die Diskussion darüber in der Baubranche etabliert, und auch der Öffentlichkeit – zumindest der interessierten – ist Baukultur mittlerweile ein Begriff. Im Juni 2011 hatte der SIA in einem Manifest acht Thesen als Diskussionsgrundlage festgelegt, die Baukultur als Teil unserer Identität betrachtet, die interdisziplinär sowie zeitlich und normativ offen ist. Zudem sei sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, gehe alle an, sei allgegenwärtig und vereine Form und Funktion.

Was sich unterdessen geändert hat, ist die Art der Wissensvermittlung an Schulen. Mit dem Lehrplan 21 setzt man neu auf die Vermittlung von Kompetenzen anstelle von Fachwissen. Darauf müssen die didaktischen Konzepte auch der Architekturvermittlung reagieren. Hierzu sollte die Tagung erste Ansatzpunkte liefern. 

Neugier, Schönheit und das Miteinander

Vor illustrem Publikum – nahezu ausschliesslich Vertreter und Vertreterinnen aus Kultur- und Baubranche – sprachen zunächst drei Vertreter der Praxis: Clementine Hegner-van Rooden, Bauingenieurin und Fachjournalistin, vertrat die Sicht der Bauingenieurinnen, Roman Hermann von Waldhauser + Hermann jene der Gebäudetechniker. Anna Jessen vom Büro jessenvollenweider äusserte sich in ihrer Rolle als Architektin.

Clementine Hegner-van Rooden stellte die Neugier ins Zentrum ihres sehr persönlichen Vortrags. Neugier als Ursprung von Wissbegierde, Forschungsdrang und vielleicht auch Ungeduld sei eine wichtige Voraussetzung für das Streben nach Qualität im Bau. Nur Neugierde lasse auch unkonventionelle Lösungen zu, ein wichtiger Faktor sei für sie neben dem Fachwissen vor allem auch der eigene Erfahrungsschatz und die persönliche Biografie – sowie die Fähigkeit, Erlebtes auch zu reflektieren, einzuordnen und bei Bedarf einzusetzen.  

Überraschend und vor allem genreuntypisch äusserte sich Gebäudetechniker Roman Hermann – und zeigte damit einmal mehr, dass Vorurteile dazu da sind, widerlegt zu werden. Seine Botschaft: Ein Gebäude müsse vor allem schön sein, um bestehen zu können. Denn nur Schönheit sowie Adaptionsfähigkeit in einem gewissen Rahmen erlaube es, Gebäude auch fremden Nutzungen zuzuführen, ohne ihren Charakter komplett zu verleugnen – oder sie direkt abzubrechen. Anforderungen an Bauten müssten zunächst architektonisch oder funktional beantwortet werden, die Gebäudetechnik sei letztendlich nur das Supplement.

Anna Jessen öffnete anschliessend das Feld vom Objekt zum Ensemble. Sie schloss die vormittägliche Vortragsreihe mit einem Exkurs, der das Zusammen und damit vor allem die Zwischenräume von Gebäuden ins Zentrum stellte, denn «Baukultur ist Raumkultur». Sie betonte, wie wichtig es für eine Gesellschaft sei, sich neben einer juristischen auch eine räumliche Form zu geben, vor allem in der heutigen objektbezogenen Zeit.

Alle drei Redner unterstrichen in der anschliessenden Diskussion die Prozesshaftigkeit des Bauens – und wie wichtig es sei, sich als Planende auf diesen Ablauf mit offenem Ausgang einzulassen. Ebenso hoben alle ihre Wertschätzung für die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse und den Dialog mit den Planende anderer Berufssparten hervor. So weit, so einig – dass in diesem Fall die für das Schaffen von spacespot wichtigen Pädagogen im Publikum nur teilweise vertreten waren und bei den Vortragenden ganz fehlten, schmälerte etwas die Nachhaltigkeit und den Wert der ansonsten bereichernden Veranstaltung.

Kultur, Politik und Verbände

Nach den Vertreterinnen und dem Vertreter aus der Baupraxis kamen am Nachmittag Vermittler und Exponentinnen aus Politik und Berufsverband zu Wort. Architekt Stefan Jauslin vom Büro Jehovar & Jauslin war eingesprungen für den erkrankten Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums S AM, Andreas Ruby. Es folgten der Journalist Cedric van der Poel, Nina Mekacher vom Bundesamt für Kultur und Claudia Schwalfenberg vom SIA.

Stefan Jauslin verdeutlichte anhand eigener Projekte den Ansatz, dass Baukultur vor allem Vermittlung sei – und damit es etwas zu vermitteln gebe, sei eine hohe Qualität ohnehin Voraussetzung. Als Kurator der Ausstellung «Imagine la Suisse» am Schweizerischen Architekturmuseum S AM in Basel hatte er schweizweit Personen dazu aufgerufen, Impressionen von gebauten Situationen einzuschicken, zu denen sie eine persönliche Beziehung hätten. Aus der Zusammenstellung entstand ein rund 20-minütiger Film, der während einer Umbauphase des Museums zwei Wochen lang von innen an die Fenster des Museums projiziert und damit im öffentlichen Raum sichtbar wurde. Statt markanter Solitäre schickten die Menschen vor allem Raumstimmungen ein – offenbar besteht eine tiefe Sehnsucht nach Atmosphäre und sinnlichen Erlebnissen, auch im Zusammenhang mit Gebautem.

Einen anthropologisch motivierten Blick in die Westschweiz gewährte anschliessend der Journalist, Anthropologe und Volkswirtschafter Cedric van der Poel, Co-Redaktionsleiter von espazium.ch, in seinem Vortrag. Anhand zweier Beispiele aus der Genfer Planungspraxis stellte er aktuelle Vermittlungsprojekte vor: zum einen die Begleitbroschüre zum kantonalen Richtplan, zum anderen ein Video zur Vernehmlassung im Genfer Gewerbegebiet PAV. Die Bemühungen, so komplexe und auch trockene Themen der Bevölkerung nahezubringen, seien durchaus zu begrüssen, so van der Poel. Die Art und Weise – zum Teil (zu) sehr vereinfacht, zu klischeehaft, fast propagandistisch – hinterliess jedoch einen ambivalenten Eindruck.

Während sich ihr Vorredner explizit als Privatperson äusserte, nutzte Nina Mekacher vom Bundesamt für Kultur BAK ihren Vortrag für einen Überblick zur politischen Einbettung der Baukultur. Heute – suboptimal – angesiedelt bei der Sektion für Heimatschutz und Denkmalpflege des BAK, ist die politische Karriere der Baukultur noch jung, als Teil der aktuellen Kulturbotschaft des Bunds ist sie aber immerhin – und erstmals – vertreten. 

Um die Baukultur zu fördern, erarbeiten momentan 15 Departemente in einer Arbeitsgruppe, wie sich Baukultur in den jeweiligen Departementen verankern und stärken lässt. Bis Ende 2018 solle ein Strategiebericht mit konkreten Massnahmen vorliegen. Der Fokus liegt auf der zeitgenössischen Baukultur – also auf Gegenwart und Zukunft – im gebauten Umfeld (als Verbindung zu Bestand). Umgesetzt werden sollen die vier Handlungsfelder Raumordnung, Bauproduktion, Bildung & Forschung sowie Vermittlung. Für Letzteres ist die Verankerung der Baukultur in den Lehrplänen von Sekundar- und Primarschulen vorgesehen.

Claudia Schwalfenberg beendete den Vortragsreigen und erweiterte das Spektrum zugleich um die Position des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins. Sie betonte, wie wichtig es sei, die Diskussion um die Baukultur in die Öffentlichkeit zu tragen. Denn: «Die beste Planung nützt ohne gesellschaftlichen Konsens nichts.» In diesem Sinn forderte sie einen Schweizer Baukulturpreis analog zu bereits bestehenden Kulturpreisen in anderen Sparten. Weitere Wünsche und Ziele sind ein Schweizer Museum für Ingenieurbaukunst, die verstärkte und professionelle Vermittlung von Baukultur an Schulen inklusive der Sensibilisierung der Lehrkräfte sowie eine bessere Ausstattung des Schweizer Architekturmuseums.

Eine Diskussion mit den Rednerinnen und Rednern des Nachmittags rundete die Veranstaltung ab. Es herrschte Konsens: Baukultur ist wichtig und geht alle an, nicht nur die Fachleute. Es gelingt aber noch nicht ausreichend, die breite Öffentlichkeit zu sensibilisieren und für das Thema zu begeistern – trotz auch polarisierendem Storytelling, wie die Beispiele aus der Romandie zeigten. Man bleibt unter sich – wofür, nebenbei bemerkt, die Veranstaltung selber das beste Beispiel war.

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