«Wir müs­sen ei­nen Za­cken zu­le­gen»

Nirgends in Europa wird das solare Bauen schon so lang mit Preisen bedacht wie in der Schweiz. Der Berner Architekt Peter Schürch ist selbst mehrfacher Gewinner und wirkt im Preisgericht des Norman Foster Solar Award mit. Er möchte sowohl das Bewertungsverfahren als auch das Verständnis für die Solararchitektur verbessern.

Publikationsdatum
26-02-2021

TEC21: Herr Schürch, der Schweizer Solarpreis wird seit 30 Jahren verliehen. Sie selbst stehen seit einem Jahrzehnt der Jury vor, die alljährlich den Norman Foster Solar Award vergibt. Fördern Auszeichnungen die architektonische Qualität von Solarhäusern?

Peter Schürch: Im Gegensatz zu einem konventionellen Gestaltungspreis konzentriert sich der Norman Foster Solar Award auf die Nutzung von Sonnenenergie. Mit diesem Architekturpreis werden nur Plusenergiehäuser bedacht. Mitberücksichtigt werden nach Möglichkeit ein nachhaltiges Konzept und ein schonender Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Das Anliegen der Jury ist, die Qualität solarer Architektur zu fördern und jüngere Architektinnen und Architekten anzusprechen. Es geht uns um ein qualitätvolles, ressourcenbewusstes und ganzheitliches Verständnis von Architektur.

Welche Fortschritte können Sie aus dem Vergleich von Projekten erkennen, die einst und heute in der Jury beurteilt wurden respektive werden?

Vor etwa 20 Jahren war es innovativ, die Photovoltaikmodule überhaupt auf dem Dach anzubringen. Jetzt sind die PV-Elemente in der Dachhaut oder Fassade integriert. Die technischen Möglichkeiten sind vielfältiger geworden, und die Industrie bietet eine reiche Produktepalette mit neuen Gestaltungsvarianten an. Zahlreiche Architektinnen und Architekten präsentieren nun schöne, inspirierende und mutige Entwürfe. Eine heute zukunftsweisende und preiswürdige Solararchitektur muss ausgefeilt sein, gestalterisch überzeugen und die aktive Energiegewinnung mit passiver Energienutzung stimmig verbinden.

Eine Auszeichnung erhält grosse Aufmerksamkeit, wenn eingängige Projekte präsentiert werden können. Wird ein Solarpreis den vielfältigen Qualitätsansprüchen im solaren Bauen überhaupt gerecht?

Gute Solararchitektur muss zugegeben viel meistern; neben der Energietechnik und der Gestaltung gehört auch ein städtebauliches oder landschaftliches Einpassen dazu. Doch dass ein Projekt in allen nachhaltigen Kriterien und allen architektonischen Aspekten gut abschneidet, ist illusorisch. Beim solaren Bauen muss man deshalb Schwerpunkte setzen und sich gleichzeitig aus der Öko-Nische bewegen. Solararchitektur soll Reaktionen auslösen wie: «wow, schöne solare Architektur!»

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Gelingt es solchen Auszeichnungen, die Präsenz der ausgewählten Bauwerke und der daran beteiligten Macherinnen und Macher zu verbessern?

Ich denke schon, dass Preisträger die Neugier in der Architekturszene wecken können. Wahrnehmung und Aufmerksamkeit fluktuieren allerdings, abhängig von gesellschaftlichen Erwartungen und der politischen Beteiligung. Um das Renommee der Solararchitektur weiter zu verbessern, müssen wir auch die Qualitäten der Konzepte und der Architektur stärker betonen, in der Juryarbeit selbst und in der Kommunikation nach aussen.

Bei der Präsentation der Solarpreisgewinner wird zuerst erwähnt, wie viel mehr Strom das Gebäude erzeugt als die Bewohner selbst konsumieren. Hat die Leistung nicht zu viel Bedeutung für die Beurteilung von Solarbauten?

Die Performance von Photovoltaikmodulen steigt stetig. Da wirkt der Markt bestens, ohne das Zutun eines Preisgerichts. Wir wollen auf die Leistungswerte zwar nicht verzichten, aber dürfen sie nicht überbewerten. Deshalb wird der Schweizer Solarpreis im Gegensatz zum Norman Foster Solar Award auch an Projekte vergeben, deren Leistung nicht Plusenergieniveau erreicht.

Wäre aber nicht auch beim Award ein Abweichen von der positiven Jahresenergiebilanz als Mindestkriterium erforderlich?

Für mich ist eine Anpassung der Jurierungskriterien denkbar, beispielsweise mit einer zusätzlichen Auszeichnung für innovative Projekte mit hoher Gestaltungsqualität. Wir könnten so dem Umstand Rechnung tragen, dass gebäudeintegrierte Energieerzeugungsanlagen ebenso wie eine gut gedämmte Gebäudehülle längst Praxisstandard sind. Solare Architektur ausschliesslich über ihre quantitative Leistung zu beurteilen ist einseitig. Die Gestaltung, die Innovation und weitere nachhaltige Kriterien wären in etwa gleich zu gewichten. Erst dies wird den Ansprüchen an eine zeitgemässe und ganzheitliche Architektur gerecht.

Mehr zum Thema Solares Bauen finden Sie im digitalen Dossier.

Wie denkt die gesamte NFSA-Jury darüber?

Unser Gremium denkt über eine Anpassung der Auszeichnungsregeln nach, etwa um junge Architekturschaffende für das solare Bauen zu begeistern. Dafür wollen wir das Gespräch mit der Trägerschaft des Solarpreises suchen. Der englische Architekt Norman Foster hat aber das letzte Wort. Bei der Präsentation der Gewinnerprojekte legen wir jetzt schon mehr Gewicht auf die Qualitäten der Bauwerke und ihrer Architektur.

Kann das helfen, die Aufmerksamkeit in der Fachwelt zu erhöhen?

Es braucht sicher nicht nur eine bessere Kommunikation, sondern auch mehr Qualität in den Bauwerken selbst. Obwohl über den Entscheid einer Jury durchaus gestritten werden darf, konnten wir einige überzeugende Beispiele mit hoher gestalterischer Qualität küren. Hilfreich wäre jedoch eine stärkere Beteiligung namhafter Architekturbüros, weil deren Arbeiten generell auf Interesse stossen. Die Qualität im solaren Bauen würde zunehmen, wenn der Kreis der ideellen Überzeugungstäter Zuwachs erhält. Am Gestaltungsdiskurs, wie etwa die solare Architektur in einer Stadt aussehen soll, dürfen sich alle Architekturschaffende beteiligen.

Wie beurteilen Sie selbst die bisherige Gestaltung von PV-Fassaden im städtischen Umfeld?

Ich lehne sie für murale Stadtkörper nicht kategorisch ab. Aber grundsätzlich ziehe ich integrative Lösungen einem Powerhaus vor. Wichtig erscheint mir eine ehrliche und ablesbare Materialisierung: Solarfassaden sind keine Glas- oder Eternitfassaden. Ein Urteil über solare Gebäude darf sich jedoch nicht allein auf die PV-Fassade beziehen. Vieles ist in Bewegung; weitere Versuche, ein passendes Bild zu finden, sind zu begrüssen.

Welche Prioritäten würden Sie in der städtebaulichen Anpassung setzen?

Eigentlich ist heute jedes neue Glasgebäude oder Glashochhaus ohne solaraktives Konzept und ohne PV-Anlage eine verpasste Chance. Wir befinden uns mitten im Klimanotstand, deshalb muss das nachhaltige Denken einen grundlegenden Einfluss auf die Konzeption von Gebäuden nehmen. Wie der Mensch künftig wohnt, arbeitet und lebt respektive woher die Energie stammt, sind Fragen, die die Architektur mitzubeantworten hat. Die Solararchitektur muss in einem solchen Gesamtkontext betrachtet und beurteilt werden.

Sie selbst realisieren Solararchitektur als Inhaber der Halle 58 Architekten. Ihr neuestes Projekt ist der Umbau des Weyerguts, das letztes Jahr einen Solarpreis gewann. Waren Sie bei der Jurierung dabei?

Nein, selbstverständlich nicht. Ich trat in den Ausstand, weil das Projekt ursprünglich beim Norman Foster Solar Award angemeldet war. Doch wir mussten die Bewerbung zurückziehen, weil wir die Leistungswerte gemäss Auszeichnungsregeln aus Zeitgründen nicht wie verlangt messen konnten. Der Geschätsführer der Solaragentur, Gallus Cadenau, gab die Projektunterlagen jedoch an die Jury des Solarpreises weiter, die dafür einen Solarpreis
in der Kategorie Sanierung auslobte.

Das Preisgericht streicht das «anschauliche und nachhaltige» Bauwerk hervor, ohne die Gestaltung genauer zu würdigen. Können Sie Ihre Absichten ergänzen?

Ein fast 300 Jahre altes Anwesen in einen Plusenergiestandort zu verwandeln war kein Hauptanliegen der gemeinschaftlichen Bauherrschaft. Ich gehöre auch dazu. Das wichtigste Ziel war, kollektiven Wohnraum zu schaffen, ohne dafür neues Bauland beanspruchen zu müssen. Zudem wollten wir den über Jahre leer stehenden Gebäuden und ihrer Patina eine hohe Wertschätzung entgegenbringen. Darunter verstehen wir einen sorgfältigen Umgang mit dem schützenswerten Bestand, eine Zurückhaltung bei den baulichen Eingriffen sowie den Einsatz lokaler Materialien. Zusätzlich habe ich mich innerhalb der Baugemeinschaft für eine eigene Energieversorgung stark gemacht, insofern ist die Solararchitektur quasi als Nebeneffekt daraus entstanden. Mit der Bewerbung für den Award wollte ich belegen, dass eine Integration von Photovoltaik selbst bei geschützten Baudenkmälern möglich ist.

Schweizer Solarpreise
Die Solar Agentur Schweiz vergibt seit 1990 jährlich den Solarpreis Schweiz und seit 2010 den Norman Foster Solar Award. Der Solarpreis wird für unterschiedliche Gebäudekategorien wie Neubauten, Sanierungen, Plusenergiebauten oder Energieproduktionsanlagen vergeben; zusätzlich werden Personen und Institutionen für ihr solares Engagement ausgezeichnet. Ausser für die Kategorie «Sanierungen» wird eine auf Messdaten beruhende Plusenergiebilanz verlangt. (pk)

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 6/2021.

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