Auch künf­tig mo­bil sein

Strategien für Energiefragen in der Schweiz

Welche Strategien für Energiefragen in der Schweiz können zielführend sein? Das Forum für Universität und Gesellschaft der Uni Bern geht derzeit unter dem Titel «Die Kunst der Effizienz» an vier Veranstaltungen dieser Frage nach.

Publikationsdatum
16-01-2013
Revision
25-08-2015

Industrie, Dienstleistungen, Heizen und Kühlen brauchen Energie – genauso wie die Mobilität. Fossile Rohstoffe drohen knapp zu werden, Atomstrom gerät in die Kritik, und Quellen für erneuerbare Energie sind zwar in Sicht, doch erst beschränkt verfügbar. So wird der Endenergieverbrauch der Schweiz erst zu 20 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt.
Bereits im November 2012 gingen Fachleute im Rahmen einer einführenden Veranstaltung des Forums für Universität und Gesellschaft der Uni Bern der Frage nach, was bei Energiefragen die Schweiz bewegt und was zu tun ist, wenn um 2020 die vom Netz gehenden Kernkraftwerke eine Stromlücke erzeugen. Energieeffizienz ist dabei ein beliebtes Stichwort. Im Dezember wurde dies in einem ersten Schwerpunkt in Bezug auf das Wohnen diskutiert, am 12. Januar 2013 kamen Fragen zur Mobilität auf den Tisch.

Mobilität als belastende Notwendigkeit

Bernhard Gerster von der Abteilung Automobiltechnik der Berner Fachhochschule Biel sieht die Schweiz energiepolitisch an einem Scheideweg zwischen fossilen und nachwachsenden Treibstoffen. Dazu kommt die sofort wirksame Möglichkeit zu sparen. Die Frage zur Verfügbarkeit von Ressourcen wird derzeit zudem durch die CO2-Diskussion ergänzt, wobei gemäss Gerster politische Einflüsse die sachlichen Argumente teilweise übersteuern. Klar ist für ihn, dass wir uns mit zu schweren und übermotorisierten Autos bewegen; kleinere und leichtere Automobile müssen nicht unsicher sein und wären mit deutlich geringerem Energieverbrauch genügend leistungsfähig.
Wege vermeiden, verkürzen und auf effizientere Verkehrsträger verlagern, dies sind für Dirk Bruckmann vom Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme der ETH Zürich Faktoren, die zu einer Effizienzsteigerung beitragen. Er bezieht diese Aussagen sowohl auf den Personen- als auch auf den Güterverkehr. Zentralisierung von Firmen und Verwaltung sowie der gut ausgebaute öffentliche Verkehr, besonders von Zentrum zu Zentrum, lassen die Pendlerströme anschwellen. Doch ist in der Schweiz trotz bestens ausgebautem Bahnnetz der Anteil der öV-Reisenden nicht um ein Vielfaches höher als in andern Ländern. Weitere Ausbauten haben einen abnehmenden Grenznutzen, das heisst die neuerlichen Investitionen erzeugen zunehmend weniger Effekt. Im schweizerischen Schienengüterverkehr ist bezogen auf die Verkehrsleistung immer noch ein Marktanteil von 40% zu verzeichnen. Der im Fokus der Aufmerksamkeit stehende alpenquerende Bahnverkehr macht leicht vergessen, dass auch der Binnenverkehr für Wirtschaft und Energieverbrauch von erheblicher Bedeutung ist. 

Kostenwahrheit als Lenkungsinstrument

Auf 82 Milliarden Franken jährlich beliefen sich die Gesamtkosten des Verkehrs 2005 gemäss Robert Leu, Volkswirtschafter an der Universität Bern. Davon entfallen 70.5 Mrd. auf Strassen und 11.4 Mrd. auf die Schienen. 2010 wurde der öffentliche Verkehr mit 8 Milliarden Franken subventioniert. Die ungedeckten externen Kosten des Verkehrs betragen 9 Mrd. jährlich (Strasse 8.5 Mrd. und Schiene 0.5 Mrd., ohne Luftverkehr). Jährlich 10.000 km legt jeder Einwohner der Schweiz im Schnitt mit dem Auto zurück und dazu 4000 km mit der Bahn. Verglichen mit 1970 fahren Autos heute mehr als eineinhalb mal weiter, die Bahnkilometer je Nutzer sind allein in den letzten fünf Jahren um über einen Viertel gestiegen. Pendler gibt es heute mehr als doppelt so viele wie 1970. Wir leisten uns eine hohe Mobilität, deren Preis wegen Subventionen und externen Kosten zu tief liegt. Leu sieht in einem weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur einen Haupttreiber der Zersiedelung. Weil zusätzlicher Verkehr die Umweltkosten und den Energieverbrauch erhöht, steht die heutige Verkehrspolitik eigentlich im Widerspruch zur Umweltpolitik. Für die Umwelt ist weniger Verkehr so oder so besser. Aus ökonomischer Sicht wäre eine kostengerechte Nutzung der bestehenden Infrastruktur  anzustreben, und die externen Kosten des Privatverkehrs auf der Strasse sollten den Nutzern angelastet werden. Einem elektronisch gesteuerten Roadpricing-System schreibt Leu eine erhebliche Steuerwirkung zu; er nannte als Beispiele London und Singapur.

Plädoyer für mehr Energieautonomie in der Schweiz

Wie auch immer die technischen und die volkswirtschaftlichen Konzepte für den Verkehr aussehen, Tatsache bleibt: In 40 bis 50 Jahren wird sich der weltweite Energiebedarf verdoppeln. Im besten Fall deckt erneuerbare Energie den Zuwachs, die andere Hälfte muss aber immer noch anderweitig gedeckt werden. Der Geologe Peter Burri, Präsident der Schweizerischen Vereinigung von Geo-Wissenschaftern SASEG, Basel, legte diese Fakten auf den Tisch, zeichnete aber kein düsteres Zukunftsbild, sondern skizzierte Möglichkeiten für die Schweiz, aus der Zwickmühle herauszukommen. Seine Ausführungen betrafen die unkonventionellen Kohlenwasserstoffe, Öl und Gas, das  – seit wenigen Jahren – dank neuen Konzepten aus dichtem und wenig durchlässigem Gestein gefördert werden kann. Entgegen dem gängigen und oft wenig fundierten Medientrend, dies als schädliches Teufelszeug abzutun, zeigte Burri Möglichkeiten und auch Grenzen für die Nutzung dieser Energiequelle u.a. auch für die Schweiz.
Die heute abgebauten konventionellen Erdöl- und Gasvorkommen entsprechen eher einer seltenen Anomalie der Natur. In Gesteinsschichten (vor allem in Gasschiefern, sogenanntem Muttergestein) eingeschlossenes Gas hingegen kommt weltweit und in grossen Mengen vor, so auch in der Schweiz. Der Abbau erfolgt über Erdbohrungen zu diesen meist 2000-4000 Meter tief gelegenen Schichten, die dort mir horizontalen Bohrungen und einem «Hydraulic Fracturing» (hydraulisches Aufbrechen von Gesteinsschichten) die an sich schlecht permeablen Gesteinsschichten künstlich stimulieren und das Gas so erschliessen. Diese Förderung unkonventioneller Gasvorkommen bedeutet einen hohen Aufwand und birgt tatsächlich Risiken für die Umwelt durch sogenannte Frac-Hilfsstoffe, Chemikalien, die bei defekten Bohrungen oder unsorgfältigem Operating  z.B. ins Grundwasser gelangen können. Die weit verbreitete Vorstellung, dass durch das Fracturing Risse aus einigen Tausend Metern Tiefe bis an die Oberfläche entstehen können, ist aber nachweislich falsch und auch physikalisch nicht möglich. Allerding sei auch der Wasserverbrauch zu hoch, und Methan könne bei unsorgfältigen Operationen in die Atmosphäre entweichen. Also verbieten   Burri ist klar der Meinung, dass wir auf diese Energiequelle weder verzichten sollen noch können, alle aufgetretenen Probleme können mit sorgfältigem Arbeiten und auch mit neuen Technologien (z.B. wasserlose Gas-Fracs) vermieden werden. Statt Verboten schlägt er klare Vorschriften, strenge Standards und gewissenhafte Kontrollen vor. Die USA sind dank diesen neuen Gasvorkommen und auch unkonventionellen Ölfunden auf dem Weg dazu, von Ölimporten aus dem mittleren Osten unabhängig zu werden; ab 2015 werden die USA sogar Gas exportieren. 

Gas -  ideale Brückenenergie zu einer Energiezukunft aus erneuerbaren Quellen

Die riesigen neuen Gasressourcen, welche zum heutigen Verbrauch den Weltbedarf an Gas für 200-300 Jahre decken, können gemäss Peter Burri entweder als Bedrohung für die Umwelt gesehen werden oder aber als Chance, vor allem dann nämlich, wenn es gelingt, durch dieses Gas einen grossen Teil der Kohle in den Kraftwerken zu ersetzen (Kohle ist heute global der am schnellsten wachsende fossile Brennstoff, und in China geht jede Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz). Gas könnte auch im Transport vermehrt eingesetzt werden. Vor allem mit der Kohle-Substitution hätten wir mehr zur Reduktion des weltweiten CO2-Ausstosses getan als mit allen anderen Massnahmen zusammen. Burri sieht daher unkonventionelles Gas als die ideale Brückenenergie zu einer Energiezukunft aus erneuerbaren Quellen.
Unser hoher Energieverbrauch dürfte sich in naher Zukunft nur graduell reduzieren. Deshalb sollten auch in der Schweiz die Erkenntnisse der Geo-Wissenschaften beachtet und genutzt werden, gibt sich Burri überzeugt. Die Frage ist nicht: Haben wir noch genügend  Öl und Gas im Boden? Die relevante Frage ist, ob wir es uns vor dem Hintergrund von Umwelt, Kosten, Wirtschaftlichkeit und politischer Abhängigkeit leisten können und wollen, alle fossilen Brennstoffe zu fördern. Die Antwort hängt ab von der Verfügbarkeit von sehr grossen Mengen an wirtschaftlich konkurrenzfähiger, erneuerbarer Energie. Peter Burri sieht einen Teil der Lösung in unserem Planeten selbst versteckt. Denn 99 % des Erdballs sind über 1000 °C heiss – eine immens grosse Energiequelle und die einzige erneuerbare Quelle, die Bandenergie liefern kann. In der Schweiz wird Tiefengeothermie zur Stromerzeugung immer noch massiv unterschätzt.

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