Alt und Neu, Gross und Klein im Wech­sel­spiel

Ortsbildschutz am Bürgenstock

Der Denkmalpfleger des Kantons Nidwalden hat den Bau des Resorts über dem Vierwaldstättersee von Amts wegen begutachtet. Das städtebauliche und architektonische Gefüge hat in seiner Analyse zentrale Bedeutung; die Historie bleibt darin ablesbar.

Publikationsdatum
11-01-2018
Revision
11-01-2018

Der Bürgenstock beherbergt das nun erneuerte Resort und war bereits in seiner Vergangenheit ein Labor für die vom Tourismus geprägte Baukultur. Als sich ab 2007 ein wachsendes Inter­esse privater Investoren an der Wieder­belebung des Standorts abzeichnete, war die planerische und bauliche Transformation des Hoteldorfs bereits im Gang. So hatte das Raumplanungsamt des Kantons ­Nidwalden 1987 bei der Zürcher Architektin Beate Schnitter ein Ortsbildgutachten bestellt, als Basis für die Festlegung eines rechtlich gültigen Gestaltungsplans.

Von 1988 bis 1992 wurden das Appartement­haus La Maison anstelle der Pferdeställe am westlichen Eingang, der Ersatzneubau des Park­hotels und zwei Personalwohnhäuser erstellt. Weitere Wohnbauten waren vorgesehen, wurden aber nie realisiert. La Maison liegt ausserhalb des Resorts; das Parkhotel ist nun dem Bürgenstock Hotel gewichen. Einzig die Personalhäuser werden weiter­ genutzt. Das Gutachten Schnitter liefert allerdings bis heute wertvolle Erkenntnisse; es dokumentiert insbesondere den aus drei Entwicklungsphasen überlieferten Gebäudebestand. Aus der Ära der Hotelpioniere Franz Josef Bucher-Durrer und Josef Durrer (1872–1925) stammten die Hotelbauten der Belle Epoque; das Grand Hotel, das Park Hotel und das Palace reihten sich entlang der Krete zur Perlen­kette auf.

In der Zeit von Friedrich Frey-Fürst, der das Hoteldorf von 1925 bis 1953 betrieb, kamen Servicegebäude im Heimatstil und ein Clubhaus für den Golfplatz dazu. Fritz Frey-Dreyer, der nach einem Amerikaaufenthalt Anfang der 1950er-Jahre die Hotelanlage des Vaters übernahm, hatte zwischen die Grossvolumen mehrere Kleinbauten gesetzt, die sich zur Einkaufsmeile verbanden oder auf der Hügelkuppe eine Freizeitlandschaft amerikanischer Prägung formten. Frey verdichtete das Werk der Väter- und Grossvätergeneration zum modernen Resort. Der architekturaffine Hotelier legte ein Ortsmodell an, um sein Vorhaben zu überprüfen. Die meisten Planungsarbeiten wurden im internen Baubüro durchgeführt, dem der Luzerner Architekt Otti Gmür angehörte. Freys Ära endete Mitte der 1990er-Jahre.

Erhaltenswerte Gross- und Kleinbauten

Gutachterin Schnitter mass in ihrer Gebäudebewertung den Hotelbauten eine hohe und den vergleichsweise kleinen Zutaten der Familie Frey geringe Priorität zu. Einzig das Garderobengebäude wertete sie als hervorragendes Bauwerk aus der jüngeren Vergangenheit. 2007, das Hoteldorf hatte abermals die Hand gewechselt und der Umbau zum Resort stand bevor, lag trotzdem weder ein Denkmalpflegeinventar vor, noch standen Gebäude unter Schutz. Die private Investorenfirma, die die jüngste Erneuerung des Standorts plante, gab daher eine Recherche in Auftrag. Diese zeichnete die historische Entwicklung des Bürgenstockareals nach; ein Garten­inventar bewertete die Freiräume.

Die kantonalen Fachstellen für Denkmalpflege und Natur- und Landschaftsschutz entwickelten daraufhin ihre Zielvorgaben für den Ortsbildschutz: den Erhalt der beiden historischen Hotels (Grand Hotel und Palace) und der Klein­bauten aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Auch sollte die Anlage mit zeitgenössischer Architektur und Landschafts­architektur ergänzt werden können. Der Nidwaldner Regierungsrat genehmigte einen Schutzplan, der die Weiterentwicklung des Hotelstandorts regelt.

Ein zentrales Anliegen darin war, die Kleinbauten der 1950er- und 1960er-Jahre nach denkmalpflegerischen Grundsätzen zu restaurieren. Sie verfügen über einen hohen Anteil an originaler Bausubstanz. Fassaden, Grundrisse, Dekorationsmalereien und Ausstattungen sind in den letzten 50 Jahren kaum verändert worden. Das Wechselspiel zwischen den ganz grossen Baukörpern und den Kleinbauten ist zudem der Faktor, der das Ortsbild wesentlich prägt. 2013 erhielten fünf Objekte den Status «denkmalgeschützt»: das Garderoben­ge­bäude, der Pool mit Unterwasserbar, der Gübelin-Bazar, die Wetterstation und das Stickereigebäude. Sie wurden zeitgleich mit der Resort-Erweiterung restauriert und wieder in Betrieb genommen.

Denkmalpflege-Repertoire durchgespielt

An den fünf geschützten Kleinbauten und den beiden erhaltenen historischen Hotels wurde das gesamte Repertoire an Vorgehensweisen durchgespielt, mit dem sich die Denkmalpflege heute konfrontiert sieht. Unter anderem steht die Wetterstation an einem neuen Platz, der Pool ist originalgetreu ersetzt, der Gübelin-Bazar wurde in den Originalzustand rückgeführt und das Garderobengebäude sanft renoviert. Bei den Hotelbauten fand eine Auskernung statt; das Grand Hotel ist teilweise rekonstruiert. Die Stuckmarmorsäulen und -pilaster im Palace Hotel wurden dagegen restauriert.

Weil die historischen Gebäude für Sommertourismus ausgelegt waren respektive auf einer günstigen Bauweise beruhen, sind die baulichen Massnahmen veränderten Betriebsansprüchen und erhöhten strukturellen Anforderungen geschuldet. Immer noch tragen diese Bauten zur Verortung der Geschichte im neu gebauten Resort bei. Ergänzend schreiben die Neubauten, in zeitgenössischer Architektur, die Geschichte des Bürgenstocks lesbar fort. Die materielle und farbliche Ausgestaltung der Fassaden berücksichtigt die Gebote der Integration. Auf dem Bürgenstock gelang es den Fachstellen, den Eigentümer von der Qualität wettbewerbs­ähnlicher Verfahren zu überzeugen. Die Panorama-­Residenzen, das Spa, die Lakeview-Residenzen, die Tennishallen und das Bürgenstock Hotel sind aus Studienaufträgen hervorgegangen.

Ein Vergleich mit Andermatt?

Neben dem Bürgenstock führt ein weiteres Resort in der Zentralschweiz die aktuelle Liste der Schweizer Tourismusgrossprojekte an: das Andermatt Swiss Alps des ägyptischen Investors Samih Sawiris. Der Autor hat die jüngste Entwicklung beider Tourismusstandorte mit­erlebt: den komplexen Umbauprozess auf dem Bürgenstock als Denkmalpfleger des Kantons Nidwalden und die Anfänge in Andermatt von 2005 bis 2008 als Heimat­schutzvertreter im Begleitgremium des Kantons Uri.

Sowohl das Resort in Andermatt als auch das Hoteldorf Bürgenstock sind private Areale unter der Kontrolle eines einzelnen Investors. Das öffentliche Interesse wird in Zonenbestimmungen gesichert. Gestaltungsplan respektive Quartiergestaltungsplan sind in einem demokratischen Raumplanungsverfahren festgelegt worden. In vielem aber wirkt die Ausgangslage gegensätzlich: In Andermatt platziert sich die Resort-Architektur im Zwischenraum zwischen Dorf und alpiner Kulisse. Die verdichtete Anlage ist ausserhalb der Kernsiedlung auf dem unbebauten Areal des ehemaligen Militärgeländes angelegt. Das ebenfalls von Investor Sawiris erstellte Luxushotel The Chedi (Baujahr 2015) und der umgebaute Bahnhof (Neubau 2017–2019) bilden das Scharnier zwischen dem Resort «Andermatt Reuss» und dem Dorfzentrum. Auf dem Bürgenstock stehen die Bauten hingegen für sich allein, ohne dörfliche Anbindung. Sie prägen aber den Vierwaldstätterseeraum.

Ernüchterung versus solides Schaffen

Der unterschiedlichen Einbettung zum Trotz sind beide Anlagen in Beziehung zu einem ISOS-Ortsbild natio­naler Bedeutung zu setzen. Das Resort in Andermatt dehnt sich ausserhalb des Dorfperimeters aus, löst aber auch im Ortsbild Veränderungen aus: Das ehemalige Belle-Epoque-Hotel Danioth ist bereits einer Wohn­anlage gewichen. Das Hoteldorf Bürgenstock belegt hingegen das Kerngebiet des nationalen Ortsbilds, das 1994 ins Inventar aufgenommen wurde.

Drehte sich die Diskussion über Neubauten in Andermatt anfänglich um Fragen der ortsbaulichen und architektonischen Angemessenheit, haben stilistische Bezugnahmen zwischen Neuem und der Architektur der 1950er-Jahre die Projektauswahl auf dem Bürgenstock bestimmt. Die Bauten in Andermatt werden von Generalunternehmungen realisiert. Auf dem Bürgenstock setzten die in den Studienaufträgen siegreichen Architekten ihre Projekte um, begleitet von Fachgremien und Jurymitglieder. Vor zwölf Jahren dokumentierte der Schweizer Heimatschutz den Zustand des historischen Hotelbestands von Andermatt in einem Faltblatt. Einst exponierte Bauten mitten im Ortsbild waren schon damals überformt, abgebrochen oder verwaist.

Heute ist das Resort ausserhalb des Dorfs noch im Bau; bis 2022 soll ein erheblicher Anteil realisiert sein. Erst dann wird Andermatt abschliessend zu beurteilen sein. Im Unterschied hat das Bürgenstock Resort seinen Betrieb 2017 aufgenommen, wobei das Hoteldorf bereits vor 30 Jahren in den Fokus der Denkmalpflege und des Ortsbildschutzes geriet. Das Bürgenstock Resort beruht auf einer Neukonzeption und mehreren Neubauten. Dennoch bleiben die Geschichte und der gewachsene Charakter des Hoteldorfs im Ortsbild ablesbar.

Sowohl auf dem Bürgenstock als auch in Andermatt sind Städtebau, Architektur und Denkmalpflege wichtige Bausteine der Entwicklungsgeschichte. Zum inhaltlichen Profil der Resorts tragen Qualitätsfragen aller drei Fachbereiche unterschiedlich bei. Versprachen in Andermatt die Anfänge eine Aufbruchstimmung, macht sich inzwischen Ernüchterung breit. Liess der Totalumbau des Bürgenstocks zu Beginn Schlimmes befürchten, ist daraus eine solide Architekturanlage hervorgegangen. Beide Projekte legen Grundsteine für eine Neuauflage der traditionellen Tourismusarchitektur in der Schweiz. Der Zeitpunkt ist ideal, die Rolle der zeitgenössischen Architektur für den Tourismus zu überdenken und ihren Wert zu erkennen.
 

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