Zwei Sei­ten ei­ner Me­dail­le

Aus dem Beruf des Baumeisters haben sich in den letzten 200 Jahren die Disziplinen des (Bau-)Ingenieurs und des Architekten entwickelt. Diese Spezialisierung hat paradoxerweise zur Folge, dass sich die Zusam­menarbeit im Alltag oft nicht sehr fruchtbar gestaltet. Die Publikation beleuchtet die Möglichkeiten einer Mehrwert generierenden Zusammenarbeit aus unterschiedlichen Per­s­pektiven.

Publikationsdatum
04-05-2012
Revision
01-09-2015

Die Autorin Aita Flury hat dafür die von ihr herausgegebene Publikation «Dialog der Konstrukteure», die 2006 als Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Zürcher Architekturforum erschien, überarbeitet und um neue Positionen und Beiträge erweitert. Das Buch, das vom Bund Schweizer Architekten BSA initiiert wurde, ist in die vier Teile Theorie, Recherche, Praxis und Lehre gegliedert. «Metadialog» nennt Aita Flury ihre comicartige Collage, die über 30 Seiten konzeptuell und visuell ein experimentelles Gegengewicht zu den Textbeiträgen darstellt. Als engagiertes Statement zeigt sie verschiedene Aspekte der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Berufe auf. Es geht Flury dabei auch darum, «die Separierung der Wörter von den Dingen oder der Theorie zur Praxis» zu überwinden.

Neugieriges Grenzgängertum

Sinnbildlich für den angestrebten Dialog ­zwischen den Disziplinen steht eine E-Mail-Korrespondenz zwischen Flury und dem Inge­nieur Jürg Conzett, in der die beiden das Tragwerk des Tetto Gigantesco der Società Ippica Torinese von Gabetti e Isola zu entschlüsseln suchen. Conzett ist in mehreren Texten zu Forschungen und Projekten im Buch präsent. Damit kommt sowohl sein, so Aita Flury, «neugieriges Grenzgängertum» zwischen den Disziplinen als auch sein Talent für die anschauliche Vermittlung von komplexen Sachverhalten zum Ausdruck. Zudem war Conzett der Ingenieur, der den Aufbruch der Schweizer Architekturszene und wichtige Bauten von Meili Peter, Gigon Guyer, Valerio Olgiati, Peter Zumthor, Miller Maranta, Hagmann und Jüngling, Staufer Hasler oder Gion Caminada begleitet hat. Für viele dieser Bauwerke ist charakteristisch, dass das Tragwerk ein architektonisches Thema ist, wie es nur in einer intensiven, von gegenseitigem Respekt geprägten Zusammenarbeit entstehen kann. Andere Aspekte der Durchdringung von Bautechnik und Formfragen präsentiert der Essay des Architekten Christian Penzel über die unterschiedlichen Vorgehensweisen der Ingenieure Fazlur Khan (SOM), Peter Rice und Cecil Balmond (beide Arup Associates). Gerade die von Cecil Balmond gemeinsam mit Rem Koolhaas entwickelte Strategie des «Informal» – ein Versuch, den rationalistischen Reflex der Moderne zu revidieren und aus Rastern und Wiederholung auszubrechen – bildet einen spannenden Gegensatz zu den oft streng konzipierten Tragwerken der Schweizer Architektur der vergangenen zwei Jahrzehnte.

Den Dialog ermöglichen

Mit den Stimmen der unterschiedlichen Autorinnen und Autoren und der reichen Materialsammlung ist das Buch ein Versuch, die Mentalitäten, Schwerpunkte und Interessen der Bauingenieure aus Sicht der Architekten zu verstehen und für den Entwurf fruchtbar zu machen – so suggeriert es zumindest der «Metadialog», der sich mehrheitlich mit den Ingenieuren, deren Tradition und Selbstverständnis befasst. Ob es auch umgekehrt funktioniert 
Dass die Autorin den Begriff Ingenieur auf das Tragwerk beschränkt, schliesst weitere Disziplinen wie etwa Bauphysik oder Gebäudetechnik aus – auch sie entstanden aus dem Baumeisterberuf, wenn auch später. Das ist schade. Jedoch ist die Publikation – gerade auch vor dem Hintergrund des flammenden Appells von Aita Flury an alle Beteiligte, sich zu engagieren – eine spannende und lehrreiche Lektüre. Und wenn in den Studiengängen der Hochschulen solche disziplinenverbindende Inhalte vermehrt in den Curricula erscheinen und derart leidenschaftlich vermittelt werden, kann die gesamte Baukunst nur profitieren.

Anmerkung

  1. Ein Video der ETH-Veranstaltung «Dialog der Konstrukteure» ist abrufbar unter: http://www.multimedia.ethz.ch/misc/2011/bsa
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